Großbritannien:Britisches Unterhaus stimmt für Beginn der Brexit-Verhandlungen

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  • Das britische Unterhaus hat nach zweitägiger Debatte dem Gesetz zum Austritt aus der EU mit großer Mehrheit zugestimmt.
  • Als Nächstes muss das Oberhaus das Gesetz prüfen - es wird bis zum 7. März wohl ebenfalls zustimmen.
  • Damit kann Premierministerin May wie geplant Ende März die offizielle Benachrichtigung über den "Brexit" in Brüssel einreichen, um die zweijährigen Austrittsverhandlungen in Gang zu setzen.

Von Christian Zaschke, London

Das britische Parlament hat am Mittwochabend dafür gestimmt, dass die Regierung Brüssel auch offiziell vom Austrittswunsch aus der EU unterrichten soll. Ein entsprechender Gesetzentwurf wurde mit großer Mehrheit gebilligt.

Ein Urteil des britischen Supreme Courts hatte die Abstimmung nötig gemacht. Ursprünglich hatte die Regierung die Auffassung vertreten, auch ohne Zustimmung des Parlaments gemäß Artikel 50 der EU-Verträge die Austrittsverhandlungen in Brüssel beginnen zu können. Das Gericht hatte anders entschieden, weil es der Ansicht war, dass gemäß den Regeln der ungeschriebenen Verfassung des Landes eine Entscheidung von solch enormer Tragweite nicht ohne Zustimmung des Parlaments getroffen werden könne. Die Regierung von Premierministerin Theresa May hatte daher ein äußerst knapp formuliertes Gesetz vorgelegt, das wenig mehr als hundert Wörter umfasst.

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Der Supreme-Court erklärt, das Parlament muss dem Brexit zustimmen. Die Regierung sollte dafür dankbar sein.

Kommentar von Christian Zaschke

Zwei Tage lang haben die Abgeordneten darüber diskutiert, am Dienstag leidenschaftlich bis tief in die Nacht, am Mittwoch ernst bis in die Dunkelheit des Abends. Es war eine teilweise erhellende und weise Debatte, deren Ausgang jedoch immer klar war: Dass Großbritannien aus der EU austreten wird, ist seit dem Referendum vom 23. Juni des vergangenen Jahres klar, in dem 51,9 Prozent der britischen Wähler für den Brexit gestimmt haben.

Das Gros der Parlamentarier votierte am Mittwochabend dafür, dass die Regierung den Austritt aus der EU gemäß der Entscheidung der Mehrheit der britischen Wähler vom vergangenen Juni vorantreiben darf. 650 Sitze hat das britische Unterhaus, 498 Parlamentarier entschieden sich dafür, die Austritts-Verhandlungen mit der EU aufzunehmen. Damit ist die Sache im Grundsatz entschieden.

Das Oberhaus wird sich dem Willen des Unterhauses wohl nicht widersetzen

Der recht komplizierte britische Gesetzgebungsprozess bedeutet jedoch, dass das Gesetz nun zunächst gründlich von den parlamentarischen Ausschüssen begutachtet werden muss. Anschließend wird es in der Mitte der kommenden Woche eine neuerliche Lesung im Parlament geben und eine neuerliche Abstimmung. Diese wird allerdings aller Erfahrung nach genau so ausfallen wie die Abstimmung von diesem Mittwoch.

Der weitere Prozess geht so: Mit der nächsten Lesung hätte das Gesetz das Unterhaus passiert und muss dann vom Oberhaus geprüft werden. Es gilt als sicher, dass das ungewählte Oberhaus sich dem Willen des Unterhauses nicht widersetzen wird. Erwartet wird, dass die Zustimmung des Oberhauses vor dem 7. März erfolgt. Das ließe Premierministerin Theresa May genügend Zeit, die offizielle Benachrichtigung über den Brexit wie geplant vor Ende März in Brüssel zu hinterlegen. Diese Benachrichtigung würde einen maximal zwei Jahre währenden Prozess über die Bedingungen des Austritts einleiten.

Ehemaliger EU-Botschafter: Größte Verhandlung seit dem Zweiten Weltkrieg

Wie harsch dieser Prozess werden könnte, hat an diesem Mittwoch Ivan Rogers dargelegt, der bis vor Kurzem Großbritanniens Botschafter bei der EU war. Rogers sprach vor dem Europa-Ausschuss des britischen Parlaments und entwarf ein düsteres Bild der Verhandlungen. Es werde Beschimpfungen geben, sagte er, das Ganze werde in einer Atmosphäre großer Streitlust ablaufen und sehr öffentlich sein. Denn: "In Brüssel sickert alles ziemlich schnell durch." Rogers war von Mays Vorgänger David Cameron eingesetzt worden und gilt als pro-europäisch. Ende vergangenen Jahres hatte er sich den Zorn der Brexit-Befürworter zugezogen, weil er als Botschafter berichtet hatte, dass die Regierungschefs auf dem Kontinent davon ausgingen, dass es zehn Jahre dauern könne, ein Handelsabkommen mit Großbritannien zu schließen.

Seine jüngsten Aussagen dürften die EU-Gegner noch mehr erzürnen. Die EU könnte den Briten eine Austrittsrechnung von bis zu 60 Milliarden Euro präsentieren, sagte er. Während die Brexit-Befürworter glauben, die Verhandlungen seien innerhalb von zwei Jahren inklusive Handelsabkommen über die Bühne zu bringen, befand Rogers, der als einer der besten EU-Kenner des Landes gilt: "Es ist eine Verhandlung in einer Größenordnung, wie wir sie noch nie erlebt haben, zumindest nicht seit dem Zweiten Weltkrieg." Rogers war Anfang Januar von seinem Brüsseler Posten zurückgetreten.

© SZ vom 02.02.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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