Flüchtlingspolitik:Innenministerium will keine Zahlen zum Familiennachzug nennen

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Geflüchtetes Kind kurz nach der Ankunft am Bahnhof Schönefeld (Brandenburg). (Foto: dpa)
  • Das Innenministerium reagiert ausweichend auf eine Anfrage der Linken: Wissenschaftlich belegbare Daten gebe es nicht.
  • Das Auswärtige Amt und das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung haben Zahlen zum Familiennachzug zu Syrern und Irakern veröffentlicht.
  • Demnach wollen weniger Angehörige zu in Deutschland lebenden Flüchtlingen nachziehen als noch vor einem Jahr befürchtet wurde.

Ausgerechnet während der Sondierungsgespräche für die neue Bundesregierung muss das Innenministerium eine heikle Frage beantworten. Es geht um den Familiennachzug zu Flüchtlingen in Deutschland - also um einen zentralen Streitpunkt zwischen den potentiellen Koalitionspartnern.

Die Linke hat den sogenannten Nachzugsfaktor für Syrer und Iraker schriftlich angefragt. Dieser Wert besagt, wie viele Familienmitglieder pro Flüchtling durchschnittlich nachziehen werden. Das Innenministerium gibt in seiner Antwort an, dass sich der Faktor gar nicht errechnen lasse. "Wissenschaftlich belegbare Zahlen, wie viele Familienangehörige der Kernfamilie im Schnitt zu einem in Deutschland anerkannten international Schutzberechtigten nachziehen, gibt es nicht", heißt es in der Antwort, die der SZ vorliegt.

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Dabei hat das Auswärtige Amt vor kurzem Zahlen bekanntgegeben, anhand derer sich der Faktor errechnen ließe. Demnach versuchen rund 70 000 Syrer und Iraker gerade, zu Verwandten in Deutschland zu ziehen. Im Sommer 2016 rechnete das Bamf noch mit Hunderttausenden.

Auch eine neue Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) kommt zu dem Ergebnis, dass der Nachzug künftig deutlich geringer ausfällt als bisher angenommen. Der Grund dafür: Viele Geflüchtete seien ledig oder ihre Kinder und Ehepartner befänden sich bereits mehrheitlich in Deutschland. Die Studie hat Flüchtlinge aus verschiedenen Ländern in Deutschland zu ihren Familienverhältnissen befragt. Aus den Antworten und den bisherigen Nachzügen leiten die Wissenschaftler einen Faktor von weniger als 0,5 ab.

Die Linke argumentiert anhand der bisher angekommenen Familien und gestellten Anträge, dass der Faktor sowohl für Syrer als auch für Iraker bei 0,5 liege und nicht über ein 1,0 steigen werde, wenn subsidiär Schutzberechtigte ihre Familie wieder nachholen dürfen. Der subsidiäre Schutz ist für Menschen aus Kriegsgebieten gedacht, aktuell vor allem für Syrer. Im März 2016 hat die Bundesregierung entschieden, den Familiennachzug für subsidiär Schutzberechtigte für zwei Jahre auszusetzen. Sie dürfen erst ab März 2018 wieder Anträge stellen und Termine ausmachen, um dann monatelang auf eine Entscheidung zu warten.

Die Union will den subsidiär Schutzberechtigten den Familiennachzug auch über das kommende Frühjahr hinaus verbieten. Die Grünen - mit der FDP möglicher Partner von CDU und CSU in einer Jamaika-Koalition - lehnen dies ab. Die Dimension der Entscheidung ist allerdings unklar. Wie viele zusätzliche Flüchtlinge würden nach Deutschland kommen, wenn die subsidiär Schutzberechtigten ihre Familien wieder nachholen dürften?

Die IAB-Studie prognostiziert, dass der Zuzug zu den 128 000 subsidiär Schutzberechtigten zwischen 50 000 und 80 000 Menschen liegen würde.

Ein Sprecher des Innenministeriums sagte der Nachrichtenagentur epd zufolge, es seien eine Reihe methodischer Fragen zu klären, bevor man zu der IAB-Studie Stellung beziehen könne. Im Einzelnen sei nicht klar, ob die Auswahl der befragten Flüchtlinge repräsentativ sei und auch unbegleitete Minderjährige einbezogen worden seien, die ihre Eltern nach Deutschland nachholen könnten. Die Methodik der Studie ist allerdings online verfügbar. Neben dem genauen Auswahlverfahren klärt das IAB im Methodenteil auch, dass unbegleitete Minderjährige nicht in die Befragung aufgenommen wurden.

Die Gesetze zum Familiennachzug sollen verhindern, dass Kinder mit ihren Eltern auf gefährlichen Routen flüchten. Bereits in Deutschland angekommene Flüchtlinge dürfen unter bestimmten Voraussetzungen ihre engsten Angehörigen auf sicherem Weg über Visa nachholen.

© SZ.de/jsa/dpa/epd - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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