EU-Sondergipfel:Das große Zittern

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Wer wird was? Und wer unterstützt wen? Heute Abend wollen die EU-Staats- und Regierungschefs den Präsidenten des Europäischen Rates und einen Außenminister küren - doch der Brüsseler Sondergipfel könnte scheitern.

Martin Winter, Brüssel

Auf der Suche nach ihrem Spitzenpersonal gerät die Europäische Union immer mehr in Schwierigkeiten. Sogar ein Scheitern des außerordentlichen Gipfels wird nicht mehr ausgeschlossen, auf dem die Staats- und Regierungschefs der 27 Mitgliedsländer an diesem Donnerstagabend den Präsidenten des Europäischen Rates und den Hohen Vertreter für die Außen- und Sicherheitspolitik küren wollen.

Spitzenposten zu vergeben: Auf dem EU-Sondergipfel in Brüssel suchen die EU-Staats- und Regierungschefs nach einer Lösung. (Foto: Foto: Reuters)

Es könne durchaus sein, "dass nichts dabei herauskommt", sagte ein Außenminister, der aber nicht genannt werden will. Bereits Anfang der Woche hatte die schwedische Europaministerin Cecilia Malmström einräumen müssen, dass ihre Regierung bei der Kandidatensuche "immer noch nicht" fündig geworden sei. Als gegenwärtigem Ratsvorsitzenden der EU obliegt es dem schwedischen Ministerpräsidenten Fredrik Reinfeldt, seinen europäischen Kollegen mehrheitsfähige Personalvorschläge zu machen.

Doch da Reinfeldt dem Vernehmen nach trotz über zweiwöchiger Suche immer noch keine wirklich konsensfähigen Kandidaten präsentieren kann, wächst die Kritik am schwedischen Regierungschef. Unter hohen Diplomaten, unter anderem aus Großbritannien und Deutschland, werden die Stimmen lauter, die ihm die Schuld für die Misere zuweisen. Er habe zu langsam und zu dilettantisch verhandelt und damit nicht nur zugelassen, dass mögliche Kandidaturen zerredet wurden, sondern dass immer neue auf den Tisch kamen.

Trotzdem wird von Reinfeldt erwartet, dass er den Gipfel mit einem einzigen Personalvorschlag pro Posten eröffnet, von dem er "wenigstens glaubt", dass er mehrheitsfähig ist. "Das ist seine Aufgabe als Vorsitzender", heißt es in Brüssel. Er könne nicht einfach eine ganze Liste von Namen auf den Tisch legen. Doch ob seine Vorschläge sich dann durchsetzen, gilt als offen. Denn es gibt mindestens zwei Probleme, die noch nicht gelöst, politisch aber hoch aufgeladen sind.

Zum einen versucht der britische Premierminister Gordon Brown hartnäckig, seinen Vorgänger Tony Blair als Präsidenten des Europäischen Rates, also der Versammlung der Staats- und Regierungschefs, durchzusetzen. Solange es keinen klaren Konsens über die Besetzung gebe, könne man die Kandidatur des Labour-Mannes schließlich weiter betreiben, heißt es in britischen Kreisen.

Brown setzt dabei auf einen Sogeffekt: Hinter Blair stünden auch Spanien, Italien, Polen und fast alle osteuropäischen Länder. Das könnte den französischen Präsidenten Sarkozy dazu bringen, die Front zu wechseln. Sarkozy, der früher für Blair war, hatte sich kürzlich auf die deutsche Seite geschlagen und unterstützt den christdemokratischen belgischen Regierungschef Hermann Van Rompuy, der bislang noch die Favoritenrolle innehat.

Geht die britische Rechnung auf, dann wird der EU ein zweites Problem beschert: Wer soll Außenminister werden? Denn bislang gilt es informell als ausgemacht, dass dieser Posten an die Sozialdemokraten fällt. Und zumindest die Mehrheit der kontinentalen Sozialdemokraten will ihn auch haben, weil mit ihm die Vizepräsidentschaft der EU-Kommission und damit eine Menge Macht verbunden ist.

Unübersichtliche Lage

Wird Blair aber gegen den ausdrücklichen Willen vieler in seiner sozialdemokratischen Partei Präsident des Europäischen Rates, dann fällt der Außenminister an die konservativ-christdemokratische Europäische Volkspartei (EVP). Das wäre das Ende der Ambitionen des italienischen Sozialdemokraten Massimo D'Alema und das Scheitern der Strategie des Vorsitzenden der sozialistischen Fraktion im Europäischen Parlament, Martin Schulz, der versucht hat, Blair zu verhindern, um den Außenministerposten für seine Partei zu sichern.

Ein Sieg Blairs würde aber auch die EVP in Bedrängnis bringen. Denn genau wie die Sozialisten ist auch sie nicht übermäßig mit geeigneten Kandidaten für das Amt des Hohen Vertreters gesegnet. In Frage kämen der schwedische Außenminister Carl Bildt, der aber als unberechenbarer Solist gilt, und die ehemalige österreichische Außenministerin Ursula Plassnik, die bislang nicht durch eigenständige Initiativen aufgefallen ist.

Am Vorabend des Gipfels war die Lage noch so unübersichtlich, dass sich selbst wettfreudige Briten in Brüssel weigerten, ihr Geld auf einen der Namen zu setzen. Niemand mag ausschließen, dass auf dem Gipfel Namen oder Kandidatenkombinationen aus dem Hut gezaubert werden, an die bislang niemand dachte - wie etwa die Lettin Vaira Vike-Freiberga oder andere, die schon als aussichtslos abgetan wurden, wie etwa der Luxemburger Jean-Claude Juncker.

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