Die AfD in Sachsen:Gekommen, um unterzugehen

Political Parties React To Saxony Election Results

Eine rosige Zukunft für die AfD? Nicht unbedingt.

(Foto: Getty Images)

Fast zehn Prozent für die AfD in Sachsen, die Partei jubelt. Doch nüchtern analysiert ist der Erfolg kleiner, als die Parteistrategen wahrhaben wollen. Noch ist nicht ausgemacht, ob die AfD Bestand haben wird. Oder wie die Piraten bald wieder in der Bedeutungslosigkeit verschwindet.

Von Thorsten Denkler, Berlin

Was sind 9,7 Prozent? Eine Sensation? Ein Paukenschlag? Oder "einfach nur Wahnsinn", wie manche AfD'ler im Rausch der Siegesnacht in die Mikrofone jauchzten? Am Tag danach ist es erlaubt, diese Frage nüchterner anzugehen.

Ein paar Zahlen, um wieder auf den Boden der Tatsachen zu kommen. Hinter diesen pompös wirkenden 9,7 Prozent stecken gerade mal 160 000 Stimmen. Und das ist schon leicht aufgerundet.

Gemessen an der Zahl der Wahlberechtigten kommt die AfD lediglich auf 4,8 Prozent. Hätte die Wahlbeteiligung, wie im Schnitt der Länder üblich, bei 60 Prozent gelegen, wäre die AfD mit 7,5 Prozent in den Landtag eingezogen. Ein gutes Ergebnis für einen politischen Neuling, sicher. Aber mit einem Paukenschlag hätte das nichts mehr zu tun gehabt.

Die Wahlbeteiligung aber war diesmal äußerst gering. Nur 49,2 Prozent der Wahlberechtigten sind überhaupt wählen gegangen. Ein weiterer Minusrekord in der bundesrepublikanischen Wahlgeschichte. Und nichts, worauf eine Partei ihre Zukunft aufbauen kann.

AfD-Chef Bernd Lucke hatte am Wahlabend verkündet, seine Partei sei jetzt "endgültig" in der deutschen Politik angekommen. Nun, endgültig ist da gar nichts. Das hat nicht nur die FDP mal wieder grandios bewiesen. Die FDP gehörte zum Inventar der Bundesrepublik wie Frühstücksdeckchen auf deutschen Esstischen. Und doch hat sie am Sonntag nicht nur ihre letzte Regierungsbeteiligung in Deutschland verloren. Sondern wurde, wie in vielen anderen Ländern inklusive des Bundestages, auch noch gleich aus dem Parlament katapultiert.

Die Piraten hatten einen ähnlichen Hype erlebt wie heute die AfD. In das Berliner Abgeordnetenhaus zogen sie 2011 mit 8,9 Prozent. Es folgten 2012 das Saarland (7,4), Schleswig-Holstein (8,2) und das einwohnerstärkste Bundesland Nordrhein-Westfalen mit 7,8 Prozent.

Viel Zeit um sich selbst zu demontieren

Der Piraten-Wahn war danach schlagartig vorbei. Statt mit Inhalten fielen sie mit innerparteilichem Streit auf. Bundestagwahl 2013: 2,2 Prozent. Jetzt in Sachsen waren es nur noch 1,1 Prozent.

Ein ähnliches Schicksal könnte die AfD erleiden. Mit der Europawahl haben ihre Wähler die AfD zwar - wieder mit Hilfe einer sehr niedrigen Wahlbeteiligung - auf sieben Prozent gespült. Sachsen aber ist das erste Bundesland, in dessen Parlament die AfD Abgeordnete entsenden kann. In zwei Wochen folgen Thüringen und Brandenburg. Auch dort wird es die AfD wahrscheinlich schaffen.

Im kommenden Jahr wird lediglich in Hamburg und Bremen gewählt. Beides keine Städte, in denen Liberale je zu großen Höhenflügen aufgebrochen wären. Die nächste wirklich wichtige Wahl wird erst im Frühjahr 2016 stattfinden: in Baden-Württemberg. Wenn die AfD es da schafft, satt in den Landtag zu kommen, muss die Debatte sicher neu geführt werden, ob sie im Parteiensystem angekommen ist. Eineinhalb Jahre Zeit bleiben ihr bis dahin. Eineinhalb Jahre aber auch, um sich bis dahin selbst wieder komplett zu demontieren.

Welche Vorteile die AfD gegenüber den Piraten hat

Die Chancen dafür stehen nicht schlecht. Je erfolgreicher die Partei wurde, desto heftiger sind ihre innerparteilichen Machtkämpfe. Fast im Wochentakt treten irgendwo Führungskräfte aus der Partei aus, werden Landesvorsitzende weggemobbt oder profilieren sich Einzelne, begleitet von erschreckend viel Applaus, mit steilen Thesen zu Familie, Homosexualität und Ausländern.

Gegenüber den Piraten aber hat die AfD allerdings drei Vorteile:

1. Sie hat offenbar einflussreiche und großzügige Geldgeber, die sich vom professoralen Getue der überdurchschnittlich vielen älteren Herren in der Partei beeindrucken lassen. 2. Sie ist streng hierarchisch organisiert. Streit gibt es zwar, und Führungsposten werden so schnell frei wie anderorts Plätze in der S-Bahn. Parteichef Bernd Lucke aber steht nahezu unangefochten an der Spitze. Sollte er eines Tages fallen, dann dürfte die AfD mit ihm fallen. 3. Sie hat tatsächlich die ein oder anderen inhaltlichen Leitplanken - etwa in der Euro-Frage.

Allerdings wählen die Menschen die AfD selten wegen ihrer Inhalte. Sondern vor allem aus Protest. Es sind die von den etablierten Parteien Enttäuschten, die der AfD oder der NPD ihre Stimme schenken. Das verwundert in Sachsen, einem wirtschaftlich halbwegs erfolgreichem Bundesland. Sachsen aber hat diesbezüglich ohnehin eine wenig ruhmreiche Vergangenheit. 2004 bekam die NPD dort 9,2 Prozent. Das Protestwählerpotenzial ist in diesem Land traditionell groß.

"Neue Volkspartei" AfD?

Hinzu kommt: Auch im Wirtschaftswunderland Sachsen gibt es abgehängte, Menschen in prekären Lebenssituationen oder solche, die grundsätzlich glauben, alles laufe immer schlecht. Genug zumindest, um einer Protestpartei wie der AfD mit wenig Stimmen in den Landtag zu helfen. Wie gesagt, die AfD haben in Sachsen nur 160 000 Menschen gewählt. Nicht mal ein Drittel der Einwohner von Leipzig oder Dresden.

Besonders bluten musste die seit Anbeginn der demokratischen Zeiten regierende CDU. Sie verlor 33.000 Stimmen an die AfD. Angesichts ihrer knapp 650 000 Stimmen, ist das allerdings verschmerzbar. Alle anderen, viel kleineren Parteien, gaben zwischen 8000 (SPD) und 18 000 Stimmen (Linke) an die AfD ab. Erwartungsgemäß saugte die AfD auch noch von der NPD Stimmen ab, die wohl deswegen knapp den Wiedereinzug in den Landtag verpasste.

Von einer "neuen Volkspartei" aber, wie Lucke nach der Europawahl schwärmte, ist seine AfD in Wahrheit wohl noch Lichtjahre entfernt.

Anmerkung der Redaktion: Um Missverständnisse auszuschließen, haben wir den Text am 2. September an einer Stelle konkretisiert. Im dritten Absatz ist nicht mehr von einer hypothetischen Wahlbeteiliung von 100 Prozent die Rede, sondern nun von der Zahl der Wahlberechtigten. Die Rechnung im dritten Absatz, dass die AfD, hätte die Wahlbeteiliung hypothetisch bei 60 Prozent gelegen, 7,5 Prozent der Stimmen erhalten hätte, berücksichtigt nicht, dass die Partei auch zusätzliche Stimmen aus der Zahl der dann zusätzlichen Wähler bekommen hätte können. Allerdings ist davon auszugehen, dass Protestparteien ihr Wählerpotenzial besser ausreizen als andere Parteien.

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