Deutscher Held im Ersten Weltkrieg:Das Husarenstück des Gunther Plüschow

Gunther Plüschow, Fliger von Tsingtau, in Uniform

Kapitänleutnant Gunther Plüschow, der "Flieger von Tsingtau", leistete bis 1919 seinen Militärdienst.

Als der Erste Weltkrieg ausbricht, ist Gunther Plüschow des Kaisers Ein-Mann-Luftwaffe in der deutschen Kolonie Kiautschou in China. Dem Marineflieger gelingt eine abenteuerliche Flucht um die halbe Welt.

Von Isabel Stettin

Er war einzige Flieger des Kaisers in Asien, er flüchtete über drei Kontinente und kam schließlich unbeschadet in Deutschland an - und ist vielleicht der einzige Kriegsheld, der keinen anderen Soldaten getötet hat. Was für eine Geschichte!

Gunther Plüschow hat beim Ausbruch des Ersten Weltkrieges ein Husarenstück vollbracht, das ihn bei den Deutschen zum Star machte und noch 100 Jahre später die Menschen wie Gerhard E. Ehlers fasziniert. "Nach einer abenteuerlichen Flucht um die ganze Welt und seinem Ausbruch aus einem englischen Gefangenenlager war er berühmt", sagt der Macher des Freundeskreises Gunther Plüschow, einem eingetragenen Verein, der sich der Erinnerung des Marinefliegers widmet.

Angriff auf Tsingtau, 1914

Angriff auf Tsingtau, 1914 Schützengräben der angreifenden japanischen Truppen auf die Stadt Tsingtau.

(Foto: Süddeutsche Zeitung Photo)

Plüschow wird 1886 in München geboren. Zu seinem Ruhm kommt er allerdings durch einen Auftrag fern der Heimat. Die Kaiserliche Marine beordert den Piloten kurz vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges nach China. Dort hält das deutsche Kaiserreich - bemüht um den Ruf einer Kolonialmacht - seit 1897 die chinesische Region Kiautschou an der Ostküste als Schutzgebiet. Das Zentrum Tsingtau, Hauptsitz der Kolonialverwaltung, soll als Flottenstützpunkt und zu Handelszwecken zur teutonischen "Musterkolonie" ausgebaut werden.

Deutsche Musterkolonie in Fernost

Bis 1914 entwickelt sich das Fischerdorf zur aufstrebenden Stadt samt großer Flottenbasis. Backsteinvillen und Fachwerkhäuser erinnern die stationierten Marinesoldaten und Verwaltungsangestellten an die ferne Heimat. Die "Germania Brauerei" versorgt die Kolonisten mit Bier, gebraut nach dem Reinheitsgebot. Noch heute ist "Tsingtao" für die gleichnamige Brauerei, die größte Chinas, bekannt. Und auch der deutsche Flieger Plüschow ist vor 100 Jahren zufrieden mit seinem Standort.

"Alles, um mich glücklich zu fühlen war vorhanden. Mein schönes Kommando, das Landkommando der Marine", schreibt er, "ich war in Tsingtau, dem Paradiese auf Erden."

Wenige Wochen nach seiner Ankunft droht das deutsche Pachtgebiet in China verloren zu gehen. Europas Großmächte erklären einander den Krieg, was sich auch in Asien auswirkt. Am 5. August 1914 beschließt das Committee of Imperial Defence in London, alle deutschen Kolonien anzugreifen. Das mit Großbritannien verbündete Japan fordert die Deutschen auf, Tsingtau zu übergeben. Nach Ablauf des unbeantworteten Ultimatums am 23. August erklärt auch Japan dem Deutschen Reich den Krieg. Japanische und britische Kriegsschiffe beginnen mit einer Seeblockade und rücken zu Lande mit ihren Truppen voran.

Plüschow fliegt als "Ein-Mann-Luftwaffe" des Kaisers - der einzige deutsche Pilot in Asien. Als das "Auge von Tsingtau" späht er die Truppenbewegungen der Alliierten aus, damit die zahlenmäßig weit unterlegenen Deutschen ihre wenigen Granaten gezielter abfeuern können.

Groschenheft zu Gunther Plüschow, dem Flieger von Tsingtau

Groschenheft zu Gunther Plüschow, dem Flieger von Tsingtau

Im Kriegstagebuch der Belagerung von Tsingtau von 1914 sind auch die Angriffe der Gegner notiert. Plüschow wird beschossen und verteidigt sich mit "Bomben, die er mit eigenen Händen aus Kaffeebüchsen, Dynamit und Schuhnägeln fertigte", schildert Otto von Gottberg. Ob Plüschow jemanden trifft und ob er tatsächlich mit seiner Pistole ein anderes Flugzeug abgeschossen hat, das bleibt unklar und das durfte auch schon vor 100 Jahren bezweifelt werden

Doch dem Politiker und preußischen Landrat Gottberg ist das egal. Er glorifiziert "Die Helden von Tsingtau" in seinem 1915 publizierten Roman. Plüschow wird so zum "Flieger von Tsingtau", den Gottberg wie folgt preist: "Zierlich, fast schmächtig von Gestalt, muß der junge Offizier bullenstark von Willen und Nerven sein."

Gejagt von Scotland Yard

Gunther Plüschow, Flieger von Tsingtau

Gunther Plüschow, Flieger von Tsingtau

Nach zwei Monaten sind die 5000 Verteidiger des verstärkten III. Seebataillons am Ende. Kräfte und Munition sind verbraucht. Mit ihren Kriegsschiffen riegeln die etwa 60.000 Japaner und Briten die Festung Tsingtau komplett ab (mehr zur Geschichte der deutschen Kolonie hier).

Anfang November 1914 erteilt Kommandant Alfred Meyer-Waldeck den letzten Auftrag: Der einzige Flieger soll aus der Festung ausbrechen. Es ist ein verwegenes Unterfangen - doch es gelingt. Plüschow entkommt am Morgen des 6. November 1914 mit dem verbliebenen Flugzeug. An Bord hat er Geheimdokumente der Kolonie. Ein Tag später kapituliert die deutsche Garnison. Die Soldaten sollten bis 1920 in der Kriegsgefangenschaft schmoren.

Plüschow entgeht den Angreifern, muss jedoch 250 Kilometer von Tsingtau entfernt in der Provinz Jiangsu bruchlanden. Dort steckt er sein Flugzeug in Brand und schlägt sich nach Shanghai durch, wo er die Dokumente und Kriegstagebücher der deutschen Botschaft übergibt.

Donington Hall, Kriegsgefangenenlager für Offiziere in der Nähe der Stadt Derby, Erster Weltkrieg

Plüschow ist der einzige Deutsche, dem die Flucht aus Donington Hall, einem Kriegsgefangenenlager für Offiziere in der Nähe von Derby, gelingt.

Plüschow zieht es in die Heimat. Getarnt als Nähmaschinen-Vertreter, Tagelöhner und Seemann beginnt seine Odysee um die halbe Welt. Über das Feindesland Japan fährt Plüschow mit dem Dampfer via Hawaii nach San Francisco. Die USA sind damals noch neutral, sie sollten sich erst später in den Krieg einschalten.

Das deutsche Konsulat unterstützt ihn finanziell. In New York erhält er Schweizer Papiere, als Schlossergeselle schifft er sich ein. Auf einem Schiff der verfeindeten Italiener erreicht er das vom Kriegsgegner Großbritannien kontrollierte Gibraltar. Dort fliegt seine Tarnung auf.

Gesucht von Scotland Yard

Am 8. Februar 1915, seinem 29. Geburtstag, durchsuchen die Briten das Schiff. Sie werden fündig, denn ein Spitzel hat ihn verraten. Als Kriegsgefangener kommt Plüschow nach Großbritannien, ins Offizierslager Donington Hall bei Derby. Doch der Flieger denkt nicht an Aufgabe. In einer Mainacht versucht Plüschow zusammen mit einem weiteren deutschen Offizier den Ausbruch.

"Die Flucht war nicht sehr durchdacht. Eines Tages lag er (Plüschow) im Kriegsgefangenenlager auf dem Rücken herum und ein junger Hirsch gelangte durch den Stacheldrahtzaun. Er dachte sich, wenn der hier hereingekommen ist, kann ich wohl auch herauskommen", so beschreibt Anton Rippon, Journalist und Autor, den Fluchtplan.

Plüschow und sein Gefährte überwinden den Zaun, fliehen ins etwa 25 Kilometer entfernte Derby. Dann fahren sie mit der Eisenbahn nach London. Die Wege der Männer trennen sich. Der andere Entflohene wird wieder gefangen, Plüschow bleibt verschwunden.

Er versteckt sich in den Docks von London. Verkleidet als Hafenarbeiter bleibt er unerkannt, wie die Daily Mail in einem Artikel über Plüschows Flucht schreibt. Scotland Yard begibt sich auf seine Fährte - mit Hilfe eines Steckbriefs fahndet die Polizei nach dem flüchtigen Kriegsgefangen: "Haarfarbe: blond, Augen: blau, Kennzeichen: chinesischer Drache". Plüschow trägt am linken Arm die verräterische Tätowierung, die ihm unter den Briten den Spitznamen "Dragon Pilot" einträgt.

Vom Weltkriegshelden zum Forschungsflieger

Als er von einem holländischen Schiff im Hafen von Tilbury hört, wittert er seine Chance - denn die Niederlande sind neutral. Nach mehreren Versuchen gelingt es ihm, auf das Schiff zu klettern und sich in einem Rettungsboot zu verstecken. Als blinder Passagier verlässt er Großbritannien und gelangt so auf den Kontinent.

Seine Flucht um die halbe Welt endet mit einem Superlativ: Plüschow gilt als der einzige deutsche Kriegsgefangene, dem es je gelang aus Großbritannien zu entkommen.

Wasserflugzeug von Gunther Plüschow, "Tsingtau"

Wasserflugzeug von Gunther Plüschow, D-1313 Tsingtau: 1931 stürzt er mit dieser Maschine in den Tod.

In der niederländischen Hafenstadt Vlissingen geht Plüschow von Bord, er erhält Reisedokumente - und das ersehnte Zugticket in die Heimat. "Es kam mir vor wie eine Ewigkeit: Langsam überquerte der Zug die deutsche Grenze", schildert er später den Moment seiner Rückkehr nach Deutschland. Dort wird er kurz als angeblicher Spion festgenommen, bis ihn ein Offizier erkennt.

Im Juli 1915 trifft er - acht Monate nach Beginn seiner Flucht aus Tsingtau - in Schwerin ein und nimmt seinen Militärdienst wieder auf. Nach Kriegsende arbeitet er als Zeitungs- und Depeschenflieger für Ullstein. Er verdingt sich mit Gelegenheitsjobs, ist als Kinoansager, Autoverkäufer und Motorradrennfahrer tätig. 1928 bricht er mit Kameramann Ernst Dreblow nach Südamerika auf - zum ersten Feuerlandflug der Geschichte.

Tod in Feuerland

Für seine Fans ist Plüschow nicht den Versuchungen anderer Weltkriegsveteranen gefolgt. Trotz seines Heldenstatus' macht er sich nicht gemein mit den Militaristen und der aufkommenden Nazi-Bewegung von Adolf Hitler. "Er ist nicht den leichten Weg gegangen, ist nicht dem Ruf der Freikorps und anderen Rechten gefolgt, bei denen er sicher gute Chancen gehabt hätte", sagt Gerhard Ehlers vom Plüschow-Freundeskreis. "Stattdessen hat er eine Wandlung vom kaiserlichen Marineoffizier und Weltkriegshelden zum Schriftsteller, Forschungsflieger und Filmemacher vollzogen".

Gunther Plüschow wird nur 44 Jahre alt. Der "Flieger von Tsingtau" stürzt am 28. Januar 1931 bei einem Flug über Feuerland ins eisige Wasser. Seit seinem Tod wird den Leistungen des Forschers Plüschow in Argentinien und Chile mit Denkmälern und nach ihm benannten Straßen gedacht.

"In seinem Heimatland hat er die Aufnahme in die 'Liga der erinnerungswürdigen Gentlemen' verpasst", sagt Ehlers. "Dabei könnte man von Plüschow lernen, dass die Erfahrung des Ersten Weltkriegs, gerade eines militärischen Helden, nicht zwingend zu einer Zuwendung zu faschistischem Handeln führen muss."

In einem Brief an seinen Sohn schreibt Plüschow 1930, in der Schule solle man den Schülern lieber etwas über Wissenschaftler lehren, statt über "tausend Generäle", die nichts getan haben "außer daß sie beigetragen haben, wertvolle Menschen gleich in Massen zu vernichtet zu haben".

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