Bundespräsident: Die FDP nach der Wahl:Fahndung nach dem Störenfried

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Leise Selbstzweifel übertönt die FDP mit Schuldzuweisungen: Viele Liberale sehen in Horst Seehofer den Schuldigen für die Schmach bei der Wahl. Der CSU-Chef wolle nicht nur den Liberalen, sondern auch der Kanzlerin schaden.

Peter Blechschmidt, Berlin

Als Philipp Rösler nach dem zweiten Wahlgang die vier Etagen zum Fraktionssaal der FDP hinaufsteigt, erwartet ihn auf dem Treppenabsatz seine Frau mit den Zwillingstöchtern im Doppel-Kinderwagen. Der junge Gesundheitsminister nimmt seine Frau lange in die Arme, streicht den beiden Mädchen über die Köpfe und rückt noch die Abdeckung des Kinderwagens zurecht, um die Kinder vor neugierigen Blicken zu schützen. Mehr Zeit bleibt ihm nicht für seine Familie an diesem Tag der verkorksten Bundespräsidentenwahl.

Sieht so Vertrauen aus? Angela Merkel, Horst Seehofer und Guido Westerwelle am Mittwoch in der Bundesversammlung. (Foto: dpa)

Rösler, der als eine der Zukunftshoffnungen der FDP gilt, hat seit der Bundestagswahl im vorigen Herbst schon manchen verkorksten Tag in Berlin erleben müssen. Gerade in dieser Woche könnte sich entscheiden, wie es mit seiner Reform des Gesundheitswesens weitergeht, ob er sie überhaupt zustande bringt. Rösler ist ein optimistischer Mensch, der sich auch nicht so leicht unterkriegen lassen will. Doch die kleine Szene mit seiner Familie wirkt wie ein großes Fragezeichen: Wofür lädt man sich das alles auf?

Das fragen sich am Abend, nachdem Christian Wulff dann endlich zum Präsidenten gewählt worden ist, viele Liberale, die in der warmen Sommernacht auf einer der Terrassen des Reichstagsgebäudes Bilanz ziehen. Hin und her wird gewogen, welche Auswirkungen dieser Ablauf der Wahl wohl haben könnte. Dass die Koalition selbst im dritten Wahlgang nicht in der Lage war, ihre satte Mehrheit zusammenzubringen, nagt am Selbstverständnis. Dem gegenseitigen Vertrauen in der Koalition ist die hohe Zahl der Abweichler, welche die Liberalen wie selbstverständlich in der Union verorten, nicht förderlich.Wesentlich mehr als die vier FDP-Wahlmänner, die offen ihr Votum für den rot-grünen Bewerber Joachim Gauck angekündigt haben, seien es nicht gewesen, die Wulff die Gefolgschaft verweigert hätten. Da sind sich die Liberalen sicher.

FDP-Generalsekretär Christian Lindner versucht zwar schon am Abend, Schuldzuweisungen zu stoppen. Er selbst hat am Nachmittag, als er sich unbeobachtet glaubte, von "chaotisierenden Elementen" in der Koalition gesprochen. Ein Agenturreporter hat das aufgeschnappt und flugs in die Welt gesetzt. Seine eigene Unbedachtheit ärgert ihn inzwischen fast mehr als der chaotische Ablauf der Wahl. "Die Aufrechnerei bringt doch nichts", sagt Lindner am Abend. Aber auch er mag seine Enttäuschung nicht verbergen. "Statt ein Signal des Aufbruchs zu geben, gehen wir in die Sommerpause mit dem Eindruck, die wursteln weiter", sagt er frustriert.

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Und der Frust sitzt tief bei den Liberalen. Auch bei ihnen gibt es mehr als vier, die starke Sympathien für den Kandidaten Gauck empfunden haben. Doch die meisten haben die Logik akzeptiert, dass-entgegen vielen Behauptungen aus der Opposition, von ehemaligen Bundespräsidenten oder in den Medien - auch die Wahl des über den Parteien stehenden Bundespräsidenten natürlich ein Vorgang mit starker machtpolitischer Komponente ist. Sie haben eingesehen, dass ein zweiter oder dritter Wahlgang, ein Scheitern gar des Kandidaten Wulff die Koalition erheblich schwächen würde. Deshalb haben sie sich dieser Argumentation gebeugt, "und jetzt lässt uns die Union im Regen stehen", heißt es auf der Reichstagsterrasse.

Dabei sehen die Liberalen vor allem einen Störenfried: den bayerischen Ministerpräsidenten und CSU-Vorsitzenden Horst Seehofer. Den haben sie im Verdacht, dass er die FDP um jeden Preis klein machen will, damit er sie bei der nächsten Landtagswahl in Bayern nicht mehr als Koalitionspartner braucht. Bis dahin ist es zwar noch lange hin, aber die Liberalen glauben, dass es für Seehofer gar nicht früh genug sein kann, mit der Demontage der FDP zu beginnen. Bestes Beispiel sei der Umgang der CSU mit Gesundheitsminister Rösler, ein Umgang, den die Liberalen als schlicht unterirdisch bezeichnen. Rational sei Seehofers Kurs nicht mehr nachzuvollziehen, sagen Bundestagsabgeordnete. In den Ausschüssen könne man mit den Kollegen von der CSU gut zusammenarbeiten. Aber die Diskrepanz zwischen Berliner CSU und Münchner CSU sei unerträglich. Wenn man sich in Berlin auf etwas verständigt habe, komme mit Sicherheit wieder ein Querschuss aus München.

Dass Horst Seehofer am liebsten auch Kanzlerin Angela Merkel los würde, gilt für viele Liberale als ausgemacht. "Wenn die Granden der CSU sagen, ihre Truppe steht, dann weiß man doch schon, was Sache ist", mosert ein Parlamentarier nach dem gescheiterten zweiten Präsidentenwahlgang.

Viele in der FDP ärgern sich auch, dass in der Öffentlichkeit fast immer die Liberalen als die Störenfriede in der Koalition gesehen werden. Wenn nun die Analyse der Präsidentenwahl zeige, dass das Gros der Abweichler aus der Union gekommen sein müsse, dann hätte das wenigstens ein Gutes. Es würde verdeutlichen, wo die wahren Schuldigen sitzen, heißt es.

An diesem Abend sind viele Liberale bis hinein in die höchsten Ränge mit sehr nachdenklicher Miene zu beobachten. Zwölf Stunden später überwiegt die Erkenntnis, nun müsse man Ruhe einkehren lassen und Ergebnisse liefern. Erste Gelegenheit dazu bietet die Gesundheitspolitik, die am Donnerstag und Freitag ganz oben auf der Tagesordnung steht.

© SZ vom 02.07.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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