Bahamas-Leaks:Fall Kroes stellt die Glaubwürdigkeit der EU-Kommission in Frage

Bahamas

Ex-EU-Kommissarin in Erklärungsnöten: Neelie Kroes war Direktorin einer Firma auf den Bahamas. Illustration: Peter M. Hoffmann

(Foto: Peter Hoffmann)

Die frühere Kommissarin hat nicht öffentlich gemacht, dass sie Direktorin einer Firma auf den Bahamas war. Damit hat sie gegen geltende Regeln verstoßen.

Von Daniel Brössler und Frederik Obermaier

Europa soll integer sein, und die Regeln der Europäischen Union sind klar: Mitglieder der EU-Kommission dürfen "weder entgeltliche noch unentgeltliche Nebentätigkeiten ausüben". Kein Mitglied der Kommission soll andere Interessen vertreten als die der Union. Deshalb sollen Politiker nach dem Ausscheiden aus der Kommission auch mindestens 18 Monate verstreichen lassen, bis sie neue Verpflichtungen eingehen. Zuletzt ist der ehemalige Kommissionspräsident José Manuel Barroso in die Kritik geraten, weil er als Berater und "Präsident ohne Geschäftsbereich" bei der US-Investmentbank Goldman Sachs angeheuert hat. Die Frist hat er zwar eingehalten, ein Verdacht jedoch bleibt.

Jetzt leidet der Ruf der Kommission wieder: Ausgerechnet Neelie Kroes, die "Eiserne Lady" aus Rotterdam, unbarmherzige Verfolgerin von Unternehmenskartellen, zunächst von 2004 an oberste Wettbewerbshüterin, dann ab 2010 bis 2014 Digital-Kommissarin , taucht in den Bahamas-Leaks auf. Laut den Unterlagen, die eine Quelle der Süddeutschen Zeitung zugespielt hat, war Kroes Direktorin einer Firma namens Mint Holdings Limited mit Sitz auf den Bahamas - einer notorischen Steueroase. Nun ist es an sich nicht illegal, einer Briefkastenfirma vorzustehen. Kroes jedoch war den Dokumenten zufolge von 2000 bis 2009 Direktorin - also auch während ihrer Amtszeit als EU-Wettbewerbskommissarin. Offensichtlich hat sie damit gegen den Verhaltenskodex der EU-Kommission verstoßen.

Gerade im Fall von Kroes ist dies bemerkenswert. Die Millionärin, die vor ihrer Brüsseler Zeit niederländische Verkehrsministerin und Leiterin der Privatuniversität Nyenrode bei Utrecht war, stand schon während ihrer Nominierung als EU-Kommissarin in der Kritik. Die Tochter eines Transportunternehmers hatte da bereits den Aufsichtsräten etlicher Firmen angehört. In Brüssel hieß es damals, keine Kandidatin für die EU-Kommission habe je so enge Verflechtungen mit der Wirtschaft - und damit mögliche Interessenskonflikte - aufgewiesen wie Kroes.

Und dann enthüllte das Wall Street Journal noch, dass die Niederländerin ihre Arbeit als Lobbyistin für den Rüstungskonzern Lockheed Martin nicht offengelegt hatte. Gewählt wurde die energische Niederländerin trotzdem. Sie schwor, sich in ihrer Amtszeit aus sämtlichen Geschäften herauszuhalten. So hielt sie es auch in ihren "declarations of interest" fest: jenen Dokumenten, in denen EU-Kommissare ihre Verbindungen zu Firmen und Stiftungen während der vergangenen zehn Jahre offenlegen müssen.

Im Falle von Kroes waren es lange Listen: ein Aufsichtsratsposten bei McDonald's, einer bei PricewaterhouseCoopers, einer beim Rüstungshersteller Thales, einer bei Volvo - sämtliche Posten hatte sie demnach spätestens bei Amtsantritt 2004 niedergelegt. Ein Direktorenposten bei einer Mint Holdings mit Sitz auf den Bahamas taucht in dem Dokument nicht auf. Nicht 2004, nicht 2010 und auch nicht in ihrer letzter Erklärung aus dem Jahr 2014.

"I am not a pussycat" - Ich bin keine Schmusekatze - ist ein oft zitierter Satz von Kroes. Auch ehemalige Mitarbeiter erzählen, dass sie nicht zimperlich ist. Entsprechend reagierte sie vor einigen Tagen auf eine erste Anfrage zu den Bahamas-Leaks und ihrer Verbindung zur Mint Holdings in der Karibik: Das alles stimme nicht, sagte sie in einem Telefonat mit Journalisten der niederländischen Zeitungen Trouw und Het Financieele Dagblad, mit denen die SZ zusammenarbeitet.

Sie wurde zu den einflussreichsten Frauen der Welt gewählt

Laut Dokumenten aus dem bahamaischen Firmenregister, die der SZ vorliegen, ist die Sache inzwischen aber eindeutig: Zur Firma Mint Holdings Limited, die anfangs Mint Limited hieß, ist dort unter der Registernummer 108529B vom 4. Juli 2000 bis 1. Oktober 2009 neben anderen als Direktorin vermerkt: Neelie Kroes. Ein anderer Direktor der noch immer aktiven Firma war demnach mindestens bis Juli 2015 ein Jordanier namens Amin Khaled Badr El-Din. Er ist auch im Rüstungsgeschäft tätig und war in der Vergangenheit an einem Deal mit dem Konzern Lockheed Martin beteiligt - für den Kroes einst als Lobbyistin tätig war. El-Din zufolge wurde die Mint Holdings einst gegründet, um Teile des US-Energiekonzerns Enron zu kaufen. Der Deal sei aber geplatzt.

Es folgt also eine neue Anfrage an jene Frau, die vom Magazin Forbes schon fünfmal zu den 100 einflussreichsten Frauen der Welt gezählt worden ist und die früher - als Verkehrsministerin der Niederlande - fast so beliebt war wie Königin Beatrix. Diesmal kommt die Antwort von einer Rechtsanwaltskanzlei aus Amsterdam: Ja, es sei korrekt, dass Kroes im Jahr 2000 zur Direktorin der Bahamas-Firma ernannt worden sei. Das Unternehmen sei gegründet worden, um womöglich Geld einzusammeln für - unter anderem - den Kauf von Teilen des US-Energiekonzerns Enron. Soweit sei es jedoch nicht gekommen, die Verhandlungen seien bereits im Jahr 2000 abgebrochen und die Firma nie operativ tätig geworden.

Bahamas-Leaks: Neelie Kroes ist im Online-Register der Bahamas nicht zu finden (oberer Screenshot). Auf den geleakten Dokumenten taucht ihr Name aber auf.

Neelie Kroes ist im Online-Register der Bahamas nicht zu finden (oberer Screenshot). Auf den geleakten Dokumenten taucht ihr Name aber auf.

(Foto: Bahamas-Register)

Nun ist es aber so, dass Kroes laut Dokumenten nach 2000 noch neun Jahre lang Direktorin der Firma blieb und dass die Mint Holdings später offenbar sehr wohl aktiv war. "Es wurde ein administrativer Fehler gemacht", erklärt der Anwalt von Kroes. Wie man erst jetzt, nach Anfrage der Medien, festgestellt habe, sei dieser Fehler erst 2009 behoben worden. Kroes sei davon ausgegangen, dass sie nicht mehr Direktorin sei. Die 75-Jährige werde aber nun den amtierenden Präsidenten der EU-Kommission, also Jean-Claude Juncker, über das "Versehen" informieren und die "volle Verantwortung" dafür übernehmen. Wie eine Sprecherin Junckers der SZ bestätigte, ist dies am Mittwoch geschehen. "Wir werden die Informationen analysieren, bevor wir uns weiter äußern", sagte sie weiter. Im Fall seines Vorgängers Barroso hat Juncker dessen Privileg gestrichen, vom Protokoll empfangen zu werden und beim Betreten von EU-Gebäuden nicht durch eine Sicherheitsschleuse gehen zu müssen.

Die Bahamas-Geschäfte könnten finanzielle Folgen haben

Der Fall Kroes stellt die Glaubwürdigkeit der Kommission abermals in Frage. Dass ausgerechnet die frühere Wettbewerbskommissarin, die sich gerne als Sauberfrau im Kampf gegen Kartelle und Subventionen gerierte und 2008 mit dem European Taxpayers Award ausgezeichnet wurde, Direktorin einer Briefkastenfirma in einer verrufenen Steueroase war, wirft Fragen nach der Unabhängigkeit der Brüsseler Kommissare auf. Zumal Kroes ja gerade mit der Energiebranche, in der sich die Mint Holdings engagieren wollte, auch als Wettbewerbskommissarin regelmäßig zu tun hatte.

Kroes hätte unbedingt alle Geschäftsverbindungen offenlegen müssen, sagt Vicky Cann von der Organisation Corporate Europe Observatory: "Die Regeln sind sehr klar und ein Fehler dieser Art ist schwer nachvollziehbar."

Die Bahamas-Geschäfte könnten für Kroes jetzt finanzielle Folgen haben: Sollten Kommission oder Parlament den Gerichtshof der EU anrufen und dieser auch zu dem Schluss kommen, dass die Niederländerin gegen den Verhaltenskodex der Kommission verstoßen hat, könnten ihr ihre Pension sowie andere Vergünstigungen gestrichen werden.

Mitarbeit: Will Fitzgibbon, Gaby de Groot

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