Arbeitsministerin von der Leyen:Ursulas Romanze mit Europa

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Es reicht Ursula von der Leyen längst nicht mehr, dröge Arbeitsmarktzahlen zu verkünden. Die Arbeitsministerin hat ein neues Lebensthema gefunden: Die Rettung des Euro. Kaum jemandem gelingt es so gut wie ihr, das Thema mit Gefühlen aufzuladen - schon gar nicht Kanzlerin Merkel.

Stefan Braun

Manchmal liefern auch kleine Auftritte große Eindrücke. Als die Bundesarbeitsministerin Mitte der Woche vor die Mikrofone tritt, um die jüngsten Arbeitsmarktzahlen zu kommentieren, bekommt das Publikum nicht eine, sondern zwei Ursula von der Leyens geboten. Erst erlebt man eine nüchterne, routinierte, fast müde wirkende Arbeitsministerin, die trocken berichtet, dass der Aufschwung noch da sei, die Dynamik aber abnehme. Ein Bild, das nicht schlecht ist, weil es doppelt zutrifft: auf den Arbeitsmarkt und auf die Frau, die diesen Arbeitsmarkt bewertet.

Ihr Ressort wird ihr zunehmend zu klein: Arbeitsministerin Ursula von der Leyen versucht sich gerade in Sachen Euro-Rettung zu profilieren und hofft so, sich als mögliche Nachfolgerin von Kanzlerin Merkel zu empfehlen. (Foto: dapd)

Als dieser Teil nach zähen Minuten vorbei ist, steht plötzlich eine strahlende, heftig gestikulierende Ursula von der Leyen auf der Bühne. Befragt nach Europa, wirkt von der Leyen, als habe man sie gerade aufgeweckt. Wer wissen will, ob die CDU-Politikerin ihre jüngsten Europa-Äußerungen auch wirklich ernst meint, erhält eine glasklare Antwort. Das Thema beschäftige sie seit Jahrzehnten, sie sei in Brüssel geboren, und im Angesicht der Euro-Krise sei es höchste Zeit, mehr Europa durchzusetzen. Und überhaupt sei dieses Thema für sie nicht eines von vielen. "Europa - das ist ein Lebensthema für mich." Dabei breitet sie ihre Arme weit nach links und rechts aus, als wollte sie ausdrücken: Auch wenn ihr das nicht für möglich haltet - genauso ist es.

Lebensthema? Donnerwetter. Größer geht's kaum mehr für einen Politiker. Und das unterstreicht wohl am besten, dass von der Leyen wieder politische Witterung aufgenommen hat. Sie, die gegen Widerstände das Elterngeld erkämpfte und im Duell mit den unionsgeführten Bundesländern auch den Kita-Ausbau durchsetzte, hat für sich ein neues, noch größeres Thema gefunden. Dass sie am Wochenende im Spiegel mit Verve für "Vereinigte Staaten von Europa" eintrat, ist kein kurzes Gastspiel auf fremdem Terrain. Es ist zum politischen Programm der stellvertretenden CDU-Vorsitzenden angewachsen.

Die Naivität der Frau aus Niedersachsen

Begonnen hatte die neue Welle indes nicht mit dem Interview vom vergangenen Montag. Begonnen hatte es mit einem Ausflug der Arbeitsministerin in die Details der europäischen Euro-Rettung. Zu Beginn der Vorwoche hatte sie gefordert, schwächelnde Euro-Staaten sollten mit Gold oder anderen Werten zusätzliche Sicherheiten geben, bevor sie weitere Hilfen erhalten würden. Das klang auf den allerersten Blick plausibel, stieß aber in der eigenen Regierung auf Ablehnung. Der Bundesfinanzminister rüffelte sie in der Fraktionssitzung, die Kanzlerin und der Unionsfraktionschef taten das vor den Mikrofonen. Dabei klangen alle drei für einen Moment, als lächelten sie über die Naivität der Frau aus Niedersachsen.

Genau so einen Eindruck aber lässt eine Ursula von der Leyen nicht im Raum stehen. Ihre Antwort war so keck wie entschieden: "Ich will Vereinigte Staaten von Europa." Das ist die selbstbewusste, kampfeslustige von der Leyen früherer Jahre, die ganz nebenbei erklärt, dass sie ihre Goldidee weiter für richtig halte, aber im Kabinett dafür halt leider keine Mehrheit finde. Andere würden sich nach diesen Rüffeln erst mal zurückziehen. Von der Leyen tut das Gegenteil: Sie setzt eins drauf - und lässt keine Frage mehr offen.

Als sie kurz Zeit findet zum Gespräch in ihrem Ministerium, muss sie gar nicht viele Worte machen, um ihre Entschlossenheit unter Beweis zu stellen. Ihre Augen funkeln beim Schwärmen für Europa so spitzbübisch, wie das sonst vor allem bei kleinen Kindern der Fall ist, denen ein besonders frecher Streich geglückt ist. Und dabei sitzt die Ministerin so knapp auf der Kante des Sofas, dass niemandem verborgen bleibt, wie sehr sie auf dem Sprung ist. Mag sein, dass die letzten Monate für sie ein bisschen langweilig waren; mag auch sein, dass ihre enttäuschten Hoffnungen, Bundespräsidentin zu werden, sie noch lange geschmerzt haben. Jetzt aber ist klar: Madame hat wieder Biss.

Damit, das ist die erste Folge von mehreren, bekommt die Debatten vom Sommer über eine ausgeblutete, leer gelaufene CDU erst mal eine neue Wendung. Zumal neben der Ministerin mit höheren Zielen auch Kabinettskollegen die Debatte befeuert haben. Von der Leyens neue Leidenschaft hat freilich weitere Konsequenzen. Denn die 52-Jährige schafft es wie kaum jemand sonst in der CDU-Führung, ein Thema mit Gefühlen aufzuladen. Sie lieferte jetzt das Bild von der "Romanze" Europa, die in die Jahre gekommen ist. Sie vergleicht die Lage mit der Frage: "Wollen wir heiraten?" Und sie ist es, die darauf bislang am deutlichsten mit "Jaaaa!" antwortet.

Politik mit Stimmung befeuern, zuspitzen, Wucht entfalten - das bleibt ein Markenzeichen der Frau aus Niedersachsen und lenkt den Blick auf die größte Schwäche von Angela Merkel. Wo von der Leyen Luft reinschießt, nimmt die Kanzlerin Luft raus. Im besten Fall kann sich so etwas als Arbeitsteilung ergänzen. Gerade jetzt aber, da in der Euro-Krise besondere Überzeugungskraft gefragt ist, leuchtet von der Leyen noch mal mit dem Scheinwerfer auf Merkels Manko.

Zumal das Verhältnis zwischen beiden nicht ohne Verletzungen geblieben ist, ganz unabhängig von der Versicherung, dass man sich nach dem Konflikt um die Bundespräsidentenfrage ausgesprochen habe. Richtig Ärger hat es sogar gegeben, als von der Leyens Staatssekretär in Vorbereitung der aktuellen Euro-Gesetze das Kanzleramt provozierte mit der Botschaft, es sei zu wenig erklärt worden.

Sie agiert gut, aber isoliert

In diese Nickligkeiten passt, dass mit von der Leyens neuem Aufschlag Spekulationen ausgebrochen sind, sie habe sich damit als Nachfolgerin der Kanzlerin in Stellung bringen wollen. Nicht um Merkel zu stürzen, wohl aber, um ihr dereinst nachzufolgen. Nun gibt es zwar niemanden, der am Ehrgeiz der Ministerin auch nur leise Zweifel hätte. Aber es gibt viele, die von der Leyens wirkliche Chancen trotzdem als gering erachten. Zu wenig eigene Gefolgschaft, zu wenige Freunde in der Fraktion - und in den Inhalten Merkel zu ähnlich. Sollte diese nach einer Wahlniederlage abtreten, käme von der Leyen derzeit für eine Mehrheit in Partei und Fraktion nicht wirklich in Frage. "Sie agiert gut, aber in einer , splendid isolation'", heißt es in den Reihen der Fraktionsführung.

Das allerdings bedeutet nicht, dass von der Leyen nicht an die Zeit nach Merkel denkt. Sie tut es, und andere tun es auch. Das gilt vor allem für Norbert Röttgen, den zweiten ehrgeizigen Stellvertreter im CDU-Vorsitz. Längst nämlich haben sich die beiden, die sich politisch in den meisten Fragen sehr nahe stehen, als potentielle Konkurrenten ausgemacht. Da es also wenige Widersprüche in der Sache gibt, geht es um Auftritt und Tonlage, wenn man Punkte sammeln möchte. Augenscheinlich wurde das ausgerechnet in der letzten CDU-Präsidiumssitzung vor anderthalb Wochen, in der sich beide ausführlich und mit Verve für einen proeuropäischen Kurs aussprachen. "Das war ein Schaulaufen nach dem Motto: Wer kann es besser?", erzählt ein Präsidiumsmitglied im Rückblick.

Nicht wenige in der CDU-Führung erkennen in von der Leyens neu-alter Vehemenz eine Reaktion auf Röttgens letzte Erfolge. Im vergangenen Jahr erkämpfte er sich den CDU-Landesvorsitz in Nordrhein-Westfalen, dann bot ihm die Atomwende eine große Bühne zur eigenen Profilierung. "Beide wollen noch mehr - und beide kämpfen", heißt es deshalb bei vielen. Dabei teilen sie nicht nur in vielen Fragen die gleichen Überzeugungen. Sie teilen sich auch ein Problem: Dass sie in der Fraktion und in der Partei die Leute nicht zusammenführen, sondern in Anhänger und scharfe Gegner spalten. Das könnte dazu führen, dass beide derzeit einflussreich sind, aber in der Nach-Merkel-Zeit beide keine Mehrheit auf sich vereinen werden.

© SZ vom 02.09.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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