Bundesparteitag der Grünen:Müsli-Bürger an der Macht

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Die Grünen sind berechenbar geworden - und das wollen sie auch sein. Der Parteitag verlief ohne Spannung, ohne Streit. In den Inhalten bleiben sie zwar eine linke Partei, ihr Auftreten aber ist bürgerlich. Die Müsli-Bürger haben die Macht übernommen.

Thorsten Denkler, Hannover

Am späten Samstagabend hätte es noch spannend werden können auf dem Parteitag der Grünen in Hannover. Eine Debatte zur Beschneidung stand auf der Tagesordnung. In mehreren Anträgen forderten Delegierte: Eine Beschneidung von Jungen allein aus religiösen Gründen, ohne medizinische Indikation, müsse abgelehnt werden.

Was wäre los gewesen, hätten diese Anträge eine Mehrheit bekommen? Die Beschneidungsdebatte wäre wieder voll entbrannt. Demnächst steht im Bundestag das Gesetz darüber zu Abstimmung. Diese Anträge haben aber keine Mehrheit bekommen, die Gegenanträge auch nicht. Die Grünen haben zwar fleißig debattiert, aber die Entscheidung auf irgendwann einmal verschoben. Nur wird es dann das Gesetz schon geben.

Ähnlich erging es auch anderen strittigen Anträgen: Hartz-Sanktionen sofort abschaffen? Abgelehnt. Ausstieg aus der kapitalfinanzierten privaten Rentenvorsorge? Abgelehnt. Überhaupt die Rentendebatte? Nicht geführt.

Der Bundesparteitag verlief ganz nach Plan. Einigkeit sollte das Signal sein. Nicht mal in den Personalfragen gab es Ausrutscher. Parteichefin Claudia Roth wurde mit 88,5 Prozent wiedergewählt. Das war zwar nur das zweitbeste Ergebnis ihrer Karriere als Parteivorsitzende. Aber reichlich genug, um nach der herben Urwahl-Niederlage wieder entspannt schlafen zu können.

Machtübernahme der Müsli-Bürger

Cem Özdemir schnitt mit 83 Prozent nicht ganz so gut ab. Aber das lag mehr an seiner anbiedernden Rede denn an seiner Amtsführung. Er behauptete allen Ernstes, er arbeite "super gut" mit "der Claudia" zusammen. Dabei hat er im vergangenen halben Jahr alles getan, um eine Spitzenkandidatur der lieben Claudia zu verhindern.

Kein Vorstandsmitglied kam auf unter 80 Prozent. Nicht mal die Parteiratswahlen bargen Überraschungen. Altvordere wie Bärbel Höhn oder Renate Künast kamen sauber durch. Von einem Signal für einen Generationenwechsel wollten die Delegierten offenbar noch nichts wissen.

Der Parteitag verlief ohne Spannung, ohne Streit. Im Januar 2013 wird in Niedersachen gewählt. Da ist ein geschlossenes Bild wichtig. Das Irritierende ist: Daran mussten die Parteivorderen die Delegierten nicht mal erinnern. Das haben sie selbst hinbekommen.

So etabliert und angekommen waren die Grünen vielleicht noch nie. Manche würden sagen: bürgerlich. Nicht in den Inhalten. Da bleiben die Grünen eine linke Partei. Aber im Habitus. Links im Herzen, bürgerlich im Auftreten. Das ist die im Ergebnis etwas einschläfernde Formel, mit der die Grünen im Moment am besten zu beschreiben sind. Sie sind berechenbar geworden und wollen das auch sein. Auch das hat die Wahl von Katrin Göring-Eckardt zu Spitzenkandidatin deutlich gezeigt. Die Müsli-Bürger haben die Macht übernommen.

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