Claudia Roth macht weiter:Nach der Krise ist vor der Wiederwahl

Lesezeit: 3 min

Ihre Urwahl-Niederlage hat Claudia Roth in ein emotionales Tal gestürzt. Vielleicht auch, weil die 26 Prozent das erste ehrliche Wahlergebnis ihrer Karriere sind - eine Urwahl ist eben etwas anderes als ein Parteitag. Dennoch tut Roth gut daran weiterzumachen.

Thorsten Denkler, Berlin

Claudia Roth wird wieder antreten auf dem Parteitag am kommenden Wochenende in Hannover. Sie will - nun doch - Parteivorsitzende bleiben und sich dem Votum der Delegierten stellen. Eine gute Entscheidung, für sie selbst und für die Partei. Claudia Roth ist das emotionale Aushängeschild der Grünen. Sie lacht und weint, ist sauer und fröhlich und zeigt das alles auch. Wenn es sein muss, mehrmals am Tag. Sie ist im Grunde kein Typ für das harte Geschäft der Bundespolitik. Und doch hält sie sich seit mehr als zehn Jahren an der Spitze der Partei. Länger hat es dort bisher kein Grüner ausgehalten.

Das Ergebnis der Urwahl hat sie offenbar in tiefe Zweifel gestürzt. Sie selbst spricht von einer "herben Klatsche" und "bitterer Enttäuschung". Gerade einmal 26 Prozent der Mitglieder wollten sie neben Jürgen Trittin als Spitzenkandidatin der Grünen sehen. Jetzt ist es Katrin Göring-Eckardt geworden. Die eher zurückhaltende, verbindliche ostdeutsche Reala ist die perfekte Ergänzung zum aufbrausenden Parteilinken aus dem Westen.

Roth hat ernsthaft überlegt, ob sie hinschmeißen soll, ob diese 26 Prozent reichen, sich noch einmal zur Wahl um den Parteivorsitz zu stellen. Wer Roth kennt, weiß, dass das keine rationale Überlegung war, die sie über das Wochenende hin getrieben hat. Es war eine emotionale Krise, ausgelöst durch das wahrscheinlich erste wahrhaft ehrliche Wahlergebnis ihrer Karriere.

Grünen-Parteichefin nach Urwahl
:Claudia kämpft weiter

Einst managte sie eine politische Rockband, seit neun Jahren führt Claudia Roth als Parteivorsitzende die Grünen. Bei der Urwahl der Spitzenkandidaten musste sie eine krachende Niederlage hinnehmen - die Partei will Roth dennoch weiter führen. Ihre politische Karriere

Bildern.

Bisher hat sie sich fünfmal den Voten von Parteitagen gestellt. Ihr schlechtestes Ergebnis bisher lag bei 66 Prozent. Ihr bestes bei 82,7 Prozent. Parteitage sind aber viel berechenbarer als Mitgliederentscheide. Die Obrigkeitshörigkeit ist zwar längst nicht so verbreitet wie bei der Konkurrenz, Geschlossenheitsappelle haben unter Grünen nur eine begrenzte Wirkung. Und doch wusste Roth meist schon vorher, dass sie gewählt werden würde. Die Frage war nur, mit welchem Ergebnis.

Delegierte sind eine für grüne Verhältnisse immer noch halbwegs berechenbare Gruppe. Sie werden wie in anderen Parteien schon vor einem Parteitag auf bestimmte Positionen eingeschworen, sei es von ihren Landesvorständen oder ihren Kreisverbänden, von denen sie entsandt werden. Es gibt Delegierten-Besprechungen kurz vor und während der Parteitage, in denen immer wieder die Positionen auch zu Personen festgelegt werden.

Delegierte sind oft auch Funktionäre. Ortsvereinsvorsitzende, Landeschefs, Vorstandsmitglieder aller Ebenen lassen sich als Delegierte aufstellen. Das Heer der so genannten Karteileichen, Parteimitglieder, die sich nie auf einer Sitzung blicken lassen, wird von ihnen kaum abgebildet.

Hinter einem Abstimmungsverhalten steckt so oft schlichtes Machtkalkül: Wenn ihr unseren Kandidaten unterstützt, dann helfen wir eurem. Manches schlechte Wahlergebnis ist lediglich der Tatsache geschuldet, dass sich die Delegierten eines mächtigen Landesverbandes schlecht behandelt gefühlt haben.

Das ist alles nichts Ehrenrühriges. In der Politik geht es immer um Interessenausgleich, um das Schmieden von Kompromissen. Das ist in Sachfragen nicht anders als in Personalfragen. Daraus ergibt sich auch diese ritualisierte Alternativlosigkeit: Der Parteivorstand stellt ein ausgewogenes Personaltableau vor, oft in wochenlangen Verhandlungen austariert und mit den Landesverbänden abgestimmt.

Wie wichtig solche mühsamen Prozesse für die Funktionsfähigkeit einer Partei sind, zeigen gerade die Piraten. Deren Entscheidungsprozesse erinnern eher an einen Zufallsgenerator. Auf ihren Parteitagen kann jedes Mitglied mitstimmen und jeder kann im Grunde von heute auf Morgen zum Parteichef aufsteigen. Die Parteispitze ist am Ende derart chaotisch zusammengewürfelt, dass die Habwertzeit von Vorstandsmitgliedern nur von einem Zuckerwürfel im Wasserglas unterboten wird.

In den etablierten Parteien haben Gegenkandidaten kaum eine Chance, wenn sie sich nicht vorher schon um ausreichend Unterstützer bemüht haben. Selbst dann sind Überraschungen, wie der gelungene Putsch von Oskar Lafontaine gegen den damaligen SPD-Chef Rudolf Scharping auf dem Mannheimer Parteitag 1995, selten. Nach einer erfolgreichen Wahl ist die Versuchung groß zu glauben, dass tatsächlich 80 Prozent der gesamten Partei hinter einem stünden. Vielleicht erklärt das die tiefe Enttäuschung von Claudia Roth. Sie hatte sich als Parteichefin mit regelmäßig großem Rückhalt auf Parteitagen einfach ein wesentlich besseres Ergebnis ausgerechnet.

Jetzt aber hatte sie mit Renate Künast und Göring-Eckardt zum einen zwei respektable Gegenkandidatinnen - wobei Künasts Ergebnis ebenfalls unterirdisch ist. Und zum anderen gab es kaum eine Möglichkeit der strategischen Einflussnahme. Knapp 35.000 Grünen-Mitglieder haben ihre Stimmen abgegeben. Jedes stand ganz allein vor der Frage, welche Konstellation es für die bessere hält - ohne Delegiertentreffen und Absprachen. Die Urwahl hat so ein gänzlich ungeschminktes Ergebnis hervorgebracht.

Grund sich zu grämen hat Roth dennoch nicht. Sie hat es selbst immer wieder gesagt: Die Urwahl ist eine Abstimmung über die Spitzenkandidaten, nicht über die Parteivorsitzenden.

Spitzenpersonal in spe bei den Grünen
:Roth für Grün in Ewigkeit, Amen

Katrin Göring-Eckardt, Renate Künast, Claudia Roth und Jürgen Trittin - seit Jahrzehnten wird das Bild der Grünen von den gleichen Personen bestimmt. Gibt es wirklich niemanden sonst, der an der Spitze mitmischen könnte? Wir hätten da noch ein paar Kandidaten.

Am Wochenende wird Roth wiedergewählt werden. Vielleicht sogar mit einem ihrer besten Ergebnisse. Weil es jetzt wichtig ist, Roth für den Wahlkampf zu stärken. Weil Gegenkandidaten nicht in Sicht sind. Und nicht zuletzt, weil die Dankbarkeit der Funktionäre in der Partei gegenüber Roth hoch ist. Parteichef zu sein war für Spitzengrüne noch nie sonderlich erstrebenswert. Nach dem Abgang von Reinhard Bütikofer 2008 haben reihenweise grüne Männer dankend abgelehnt. Bis endlich Cem Özdemir sich bereit erklärte, den Job zu übernehmen. Der Parteivorsitz war lange Zeit so etwas wie ein politischer Durchlauferhitzer. Rein gehen, warm werden und wieder raus. Zu viel Arbeit, zu viel Ärger bei zu schlechter Bezahlung.

Roth aber wollte dieses Amt und will es jetzt weiter. Dass sie es auch kann, hat sie in den vergangenen Jahren mehrfach bewiesen. So gesehen ist sie ein Glücksfall für die Grünen. Die Lücke, die ein Rückzug reißen würde, wäre im Moment nur schwer zu füllen.

© Süddeutsche.de - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: