Tierschutz:"Erschießen, sofort! Auch die Mutter!"

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In den 1930er Jahren kreuzte der Niederländer Leendert Saarloos Wolf und Hund und begründete damit den Saarlooswolfhund - hier eine späte Nachfahrin. (Foto: picture alliance / Julian Strate)

In Thüringen haben ein Hund und eine Wölfin sechs Junge gezeugt. Nun könnten die Mischlingstiere möglicherweise getötet werden - für den Artenschutz.

Von Thilo Adam

Der Vater hat sich aus der Verantwortung geschlichen, von dem Rummel um seine Welpen weiß er vermutlich nichts. Im Winter zeugte ein namenloser, schwarzer Labradormischling mit einer Wölfin, die unter der Kennung GW-267-f registriert ist, sechs Junge. Sechs Tiere, die es laut Artenschützern überhaupt nicht geben darf. Denn anders als zum Beispiel Maultiere (halb Pferd, halb Esel) oder Liger (halb Löwe, halb Tiger) sind sie fortpflanzungsfähig. Damit, so argumentieren Artenschützer, sind die Mischlinge eine genetische Bedrohung für die geschützte Wolfspopulation. Aber was nun? Die Jungtiere töten? Einsperren? In Ruhe lassen?

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Wegen dieser Fragen kochen die Emotionen hoch, weit über den betroffenen Kreis Gotha hinaus. Zehntausende unterzeichneten Online-Petitionen für den Schutz der Tiere, radikale Tierschützer verschickten Morddrohungen. Auf Aufnahmen von Fotofallen nahe der Kleinstadt Ohrdruf waren die Jungtiere laut Thüringer Umweltministerium zweifelsfrei als Mischlinge identifiziert worden. Auch deshalb wird ihr Abschuss diskutiert, obwohl das Tierschutzgesetz vorschreibt, niemand dürfe einem Tier "ohne vernünftigen Grund Schmerzen, Leiden oder Schäden zufügen".

Auch ein örtlicher Schäfer fordert: "Erschießen, sofort!"

In Deutschland wurden im Jahr 2000 die ersten Wolfswelpen in Freiheit geboren, nachdem sie lange Zeit ausgerottet waren. Seitdem erobern sich die Wölfe ihren alten Lebensraum zurück. Das kritisieren Schäfer überall im Land, die um ihre Tiere fürchten. In Ohrdruf zeigt die Zahl der gerissenen Schafe, dass nicht nur die Wölfin, sondern inzwischen auch ihre Jungen jagen. In ihren ersten drei Jahren hier habe die Wölfin zweimal Schafe gerissen, im vergangenen halben Jahr wurden etwa 80 Tiere nach Wolfsangriffen getötet, meldet der Landesverband Thüringer Schafzüchter.

Landwirt Christian Schneider hatte bis vor Kurzem eine kleine Herde von etwa 90 Schafen. Er fordert: "Erschießen, sofort! Auch die Mutter!" 39 Schafe habe er inzwischen an GW-267-f und ihre Nachkommen verloren, fast die Hälfte seiner kleinen Herde. "Dazu kommt der Stress bei den Überlebenden", sagt er. "Viele lammen nicht mehr, manche haben Föten abgestoßen." Erst am Wochenende wurden seine Tiere wieder Opfer eines Angriffs, direkt am Stall, keine 50 Meter vom nächsten bewohnten Haus entfernt. Ein trächtiges Schaf und eine Ziege starben, zwei Schafe wurden verletzt, die Herde brach in Panik aus und verteilte sich im ganzen Ort. Schneider gibt wegen dieser Vorfälle seine Schafzucht zum Jahresende auf.

Einer, der GW-267-f kennt wie kein Zweiter, ist Wolfsexperte Silvester Tamàs. Er ist der Vorsitzende des Naturschutzbunds Deutschlands im Saale-Holzland-Kreis und beobachtet die Wölfin, seit sie 2014 aus der Lausitz nach Thüringen einwanderte. "Früher hat die Wölfin wild gejagt", sagt er. Heute reiße sie Schafsherden, weil sie die Jungtiere mitversorgen müsse. Und dabei auf sich allein gestellt ist: "Normalerweise ziehen Wolfspaare die Jungen gemeinsam groß, hier ist die Mutter auf sich allein gestellt."

Auch den streunenden Hund hat er im Wolfsrevier öfter beobachtet, erzählt Tamàs, inzwischen fehlt von ihm jede Spur.

Einfangen und kastrieren ist keine Option

Beim Thüringer Umweltministerium weiß man, wie sensibel die anstehende Entscheidung ist. Gemeinsam mit dem Naturschutzbund, dem Bund für Umwelt- und Naturschutz und dem bundeseigenen Dokumentations- und Beratungszentrum zum Wolf (DBBW) werden derzeit verschiedene Szenarien durchgespielt. Die Jungtiere einzufangen, zu kastrieren und wieder freizulassen, sei keine Option, aus Angst, dass diese Tiere durch ihren Hundeanteil weniger menschenscheu sein könnten, als normale Wölfe, heißt es vom Thüringer Umweltministerium. Also: gefährlicher.

Auch in ein Gehege einsperren wolle man die Mischlinge nicht. Denn beim einzigen vergleichbaren Fall Deutschlands in Sachsen 2004 litten die ebenfalls in Wildnis geborenen Mischlinge derart unter ihren Käfigen, dass sie später eingeschläfert werden mussten. Lange haben die Verantwortlichen allerdings nicht mehr Zeit für die Entscheidung, sagt Wolfsexperte Tamàs. Bald werden sich die Jungtiere von der Mutter trennen, auf Wanderschaft gehen und ihr eigenes Revier suchen.

© SZ vom 24.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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