Bayerischer Wald:Dem Wolf ist der Mensch ein Wolf

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"Weidetiere statt Wolfsreviere": Unter diesem Motto stand eine Bauerndemonstration Anfang Oktober in München. In Bayern leben zwei wilde Wolfspaare. (Foto: Peter Kneffel/dpa)

Der Umgang mit dem Ausbruch der Raubtiere im Bayerischen Wald zeigt, wie sehr die Tiere polarisieren. Tierschützer und Wolfsgegner liegen über Kreuz.

Von Matthias Köpf

Draußen in den Weiten des Bayerischen Waldes beschleicht manch einen eher die Angst. In den sozialen Medien im Internet aber überwiegen die Wut und die Enttäuschung der Naturschützer: Ausgerechnet ein Nationalpark lässt Jagd machen auf ein paar Wölfe, die Ende vergangener Woche aus einem seiner Freigehege entkommen sind.

Zuvor hatten Unbekannte offenbar absichtlich das Schloss des Gatters geöffnet. Eines der Tiere war noch in der ersten Nacht von einem Regionalzug überfahren worden, ein zweites erlegten die Berufsjäger des Nationalparks am Sonntag. Der dritte Wolf wurde am Dienstagvormittag geschossen, so dass nun noch drei Tiere durch den Bayerischen Wald und den angrenzenden tschechischen Nationalpark Šumava streifen, die miteinander das größte zusammenhängende Waldgebiet Mitteleuropas bilden.

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Angesichts der aktuellen Diskussion über die Rückkehr der wilden Wölfe wolle man Konfliktsituationen mit dem Menschen vermeiden, "um den wilden Wölfen ein Leben in unseren Wäldern nicht von vornherein unmöglich zu machen". So jedenfalls begründet die Nationalparkverwaltung den Abschuss der Tiere, die ihr ganzes bisheriges Leben in Gehegen verbracht und deshalb zu wenig Scheu vor Menschen hätten. Ihr erlerntes Verhalten sollen die Tiere nicht an das wild lebende Wolfsrudel weitergeben, das seit diesem Jahr durch den Bayerischen Wald zieht.

Doch der Wolf, der vor allem in der Nacht oft enorme Strecken zurücklegt, braucht zum Leben nicht unbedingt weitläufige Waldgebiete. Er ist längst in der Kulturlandschaft angekommen. Seit vor zwei Jahrzehnten die ersten Tiere aus Polen und Tschechien wieder nach Deutschland eingewandert sind, lassen sich vor allem in Sachsen und Brandenburg, in den drei anderen östlichen Bundesländern und auch in Niedersachsen und Schleswig-Holstein Wölfe meist an Waldrändern blicken.

Mancherorts ziehen nachts einzelne Tiere oder ganze Rudel durch Dörfer. Manchen Joggern sitzt seither die Angst im Nacken, Waldkindergärten schicken ihr Personal zur Fortbildung im Umgang mit dem Wolf. Schafzüchter und Bauern fürchten um ihre Nutztiere, die Jäger bangen um ihr Wild. Sie rufen schon seit Längerem nach einer Veränderung des Jagdrechts.

Denn obwohl sie zur großen Freude der Naturschützer in Deutschland nicht mehr unmittelbar vom Aussterben bedroht sind, stehen die Wölfe auf europäischer und nationaler Ebene unter strengem Schutz. Dies hilft zwar Wölfen wenig, die aus einem Gehege kommen wie die entlaufenen Tiere im Bayerischen Wald. Sie sind schlicht Eigentum des Nationalparks. Doch auch grundsätzlich gelten Wölfe gar nicht als Wild im Sinne des Jagdrechts. Nur in Sachsen stehen sie auf der Liste der jagdbaren Tiere, dort allerdings mit ganzjähriger Schonzeit. Trotzdem sind illegale Abschüsse nach den Autounfällen wohl die zweithäufigste Todesursache bei den Wölfen.

Schützen haben schon Wolfskadaver geradezu demonstrativ in der Landschaft liegen lassen. Naturschützer konterten, indem sie Belohnungen für Hinweise auf die Wilderer aussetzten. Nach Angaben des Bundesamts für Naturschutz vom vergangenen Jahr ist jedenfalls nur ein knappes Zehntel aller seit dem Jahr 2000 tot aufgefundenen Wölfe nachweislich eines natürlichen Todes gestorben.

Wenn erst einmal das Wort vom "Problemwolf" in der Welt ist, dann wird es ohnehin gefährlich - vor allem für den Wolf. Das Wort ist in Analogie zum "Problembären" gebildet, wie Bayerns damaliger Ministerpräsident Edmund Stoiber 2006 den berühmten, berüchtigten und dann bald erlegten Bären JJ1 alias "Bruno" bezeichnet hatte. Ähnliches droht "Problemwölfen" wie dem Rüden mit der amtlichen Bezeichnung MT6, den Wolfsfreunde aber als "Kurti" betrauern. Er ist Ende April 2016 in Niedersachsen von einem Scharfschützen der Polizei erschossen worden. Diesen ersten behördlich genehmigten Abschuss eines Wolfes in Deutschland begründete das Umweltministerium in Hannover damit, das sich Kurti immer wieder Menschen genähert hatte.

Wölfe sollen schon mehrere Hundert Schafe gerissen haben

Streit über den Wolf gab es in Niedersachsen aber auch schon zuvor. Inzwischen ist er sogar Thema im Landtagswahlkampf. Ein knappes Dutzend Rudel aus etwa zehnmal so vielen Tieren soll es in Niedersachsen geben - und diese Wölfe sollen inzwischen schon mehrere Hundert Schafe gerissen haben. Die Schäfer fürchten um ihre Heidschnucken und an den Küsten sogar um die Herden, die an den Deichen das Gras kurz halten.

Die lassen sich schwerlich mit der Hilfe von abgerichteten Hunden sowie mit hohen, stabilen und am besten auch in den Boden hineinreichenden Zäunen vor Angriffen schützen, wie es die staatlichen Wolfsberater empfehlen. Oppositionskandidaten aus CDU und FDP fordern, den Wolf ins Jagdrecht aufzunehmen und - in Grenzen - zum Abschuss freizugeben.

Die rot-grüne Landesregierung und die noch amtierende Bundesumweltministerin Barbara Hendricks (SDP) lehnen eine Aufnahme ins Jagdrecht zwar weiter ab, haben sich aber immerhin auf eine härtere Gangart verständigt: Notfalls wollen sie nun ganze "Problemrudel" abschießen lassen. Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt (CSU) hat zur Freude von Jäger- und Bauernverbänden in Brüssel ohnehin eine Lockerung des Artenschutzes für den Wolf verlangt.

Und auch ganz im Süden der Republik war der Wolf schon im Visier, noch ehe Unbekannte die Tiere aus dem Gehege im Bayerischen Wald entkommen ließen. Anfang Oktober hatten in München 300 Almbauern gegen den Wolf demonstriert.

© SZ vom 11.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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