Prozess gegen Ex-Polizeichef in Schweden:Supercop und Sadist

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Göran Lindberg zeigte sich gern als Feminist - nun ist der schwedische Ex-Polizeichef als Vergewaltiger angeklagt. Er soll unter anderem eine 17-Jährige gequält und missbraucht haben.

Gunnar Herrmann

Das geheime Leben des Musterpolizisten enttarnten seine Kollegen an einer Tankstelle. Dort verhafteten sie im Januar den 64-jährigen Göran Lindberg. Der Zugriff kam überraschend, nicht nur für den Festgenommenen selbst: Lindberg war einst einer der ranghöchsten Polizeichefs Schwedens.

Ein Schock nicht nur für die schwedische Polizei: Einem ihrer rangöchsten ehemaligen Polizeichefs werden 23 Sexualdelikte zur Last gelegt - darunter Vergewaltigung und der Missbrauch Minderjähriger. (Foto: Archivbild: AFP)

An jenem Tag im Januar hatte er einen Koffer mit Utensilien wie Gleitmittel, Dildos, Viagra und Lederriemen bei sich. Den Ermittlern zufolge war er auf dem Weg zu einer 14-Jährigen, die er in ein Hotelzimmer bestellt hatte.

Und es soll nicht das erste Mal gewesen sein, dass Lindberg sich an Minderjährigen verging. Die Staatsanwaltschaft legt dem Polizeichef insgesamt 23 Sexualdelikte zur Last, die ihm sechs bis acht Jahre Gefängnis einbringen könnten. Der Angeklagte bestreitet die meisten Vorwürfe. In dieser Woche beginnt nun vor einem Stockholmer Gericht der aufsehenerregende Prozess.

Der Supercop spricht vor den UN

Für viele ist es ein Schock, dass ausgerechnet Lindberg wegen Missbrauchs und Vergewaltigung angeklagt wird. Der seit 2009 pensionierte Polizist war früher Rektor der schwedischen Polizeihochschule und dann Chef des Distrikts Uppsala. Während seiner Zeit an der Spitze der Staatsgewalt zeichnete er sich besonders durch seinen Kampf für Frauenrechte aus.

Er war ein Vorzeigebeamter, den man gerne auch ins Ausland schickte, um Schweden, das Musterland der Emanzipation, zu repräsentieren. So hielt Lindberg unter anderem Vorträge bei den UN über die Erfolge Schwedens im Kampf gegen den Frauenhandel. In seiner Freizeit unterstützte er eine Hilfsorganisation, die Opfern sexueller Übergriffe beisteht.

Spitzname "Kapitän Kleid"

Im Dienst setzte er sich für Beförderung weiblicher Beamten ein. Die Kollegen tauften ihn wegen seines Engagements auf den Spitznamen "Kapitän Kleid". Vor allem den Politikern und den Medien gefiel das gut. Sie sahen in dem Polizeichef einen Vorkämpfer gegen alte patriarchalische Strukturen.

Dass Lindberg nach Dienstschluss alles andere als ein Feminist war, dämmerte zuerst einigen Ermittlern von der Mordkommission. Die untersuchten im vergangenen Jahr den rätselhaften Tod eines 60-Jährigen, der von einem Balkon gestürzt war. Der Fall entwickelte sich nach und nach zu einem Skandal. Der 60-Jährige war offenbar kurz vor einem Treffen mit einer Prostituierten ums Leben gekommen. Die Ermittler fanden zwar keinen Mörder, aber auf dem Handy des Mannes jede Menge Hinweise auf einen Zuhälterring für Männer mit ausgefallenen sexuellen Vorlieben. Ihm gehörten laut schwedischen Medienberichten mehrere Topmanager an, einige aus der Gruppe werden nun ebenfalls vor Gericht gestellt.

Die Verwunderung der Beamten muss groß gewesen sein, als sie bei der Spurensuche plötzlich auf den Namen des feministischen Polizeichefs stießen. Göran Lindberg hatte sich neben seinem Leben als oberster Polizist von Uppsala offenbar noch eine zweite Existenz in der Unterwelt aufgebaut und spielte in dem Zuhälternetz seit Jahren eine zentrale Rolle. Er soll mehrmals Frauen an zahlende Kunden vermittelt und auch Gruppensexorgien in Hotelzimmern organisiert haben.

Allein dies wäre schon genug für einen großen Justizskandal, denn Prostitution ist in Schweden streng verboten; Freier und Zuhälter werden hart bestraft. Lindberg wird neben Verstößen gegen das Prostitutionsgesetz aber zudem vorgeworfen, mehrere Mädchen vergewaltigt zu haben. In einem besonders schlimmen Fall hatte er der Anklage zufolge eine 17-Jährige mit Lederriemen ans Bett gefesselt, sie geprügelt und sadistisch gequält, während er sich an ihr verging.

Den Kontakt zu seinen Opfern soll der Polizeichef zum Teil unter falscher Identität über Schülerseiten im Internet hergestellt haben. So näherte er sich auch der 14-Jährigen, die er am Tag seiner Verhaftung treffen wollte. Doch diesmal hatte die Polizei den Mann beschattet und konnte das Schlimmste gerade noch verhindern.

Vermutlich sind noch nicht einmal alle Einzelheiten über das Doppelleben des Supercops bekannt. Staatsanwalt Håkan Roswall hält bislang große Teile der 3000-seitigen Anklageschrift geheim, was von einigen Medien heftig kritisiert wurde. Völlige Offenheit sei gerade in diesem Fall geboten, argumentierte ein Kolumnist der Boulevardzeitung Expressen, schließlich stelle der Justizapparat einen seiner eigenen Leute, und noch dazu einen Chef, vor Gericht. Da sei es besonders wichtig, genau zu dokumentieren, dass alles mit rechten Dingen zugeht.

In einem seiner seltenen Gespräche mit Journalisten hielt Staatsanwalt Roswall dagegen, er müsse die Identität der zum Teil minderjährigen Zeugen schützen, auf deren Aussagen ein großer Teil der Beweisführung ruhe. Es sei wichtig, dass die Zeugen das Gefühl bekommen, ihm vertrauen zu können, sagte er. "Sonst erfahren wir nie alle Details über die Verbrechen", erklärte er.

Karl Harling, der Anwalt des Angeklagten, bezweifelt dagegen, dass die Beweise überhaupt stichhaltig genug für einen Schuldspruch in allen Punkten sind. Sein Klient habe gestanden, in einigen Fällen für Sex bezahlt und damit gegen das Prostitutionsverbot verstoßen zu haben, sagte Harling zu Expressen. Lindberg bestreite aber, an Vergewaltigungen oder anderen Gewaltverbrechen beteiligt gewesen zu sein. Der Prozess beginnt am Dienstag.

© SZ vom 28.06.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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