Projekt in Kalifornien:Heim für Heimatlose

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Klein, mobil und aus Müll gefertigt: Der kalifornische Künstler Gregory Kloehn baut Häuser aus Sperrmüll - und verschenkt sie an Obdachlose. (Foto: Brian Reynolds)

Gregory Kloehn sammelt Sperrmüll, schraubt ihn auf Räder - und baut so bunte, mobile Minihäuser. Die "Homeless Homes" verschenkt der Amerikaner an Obdachlose. Ein soziales Projekt, einst geplant als Kunst.

Von Tanja Mokosch

Gregory Kloehn steht morgens auf, macht sich einen Kaffee, setzt sich in sein Auto und fährt los. Er hält an, steigt aus und durchwühlt einen Müllberg. Inzwischen kennt er die "Dumping-Hotspots", wie er sie nennt - die Orte, an denen in seiner Heimatstadt Oakland der richtig gute Müll zu holen ist. Er lädt Paletten, Sperrholzplatten und eine alte Plane in seinen Van, fährt wieder nach Hause und macht sich an die Arbeit.

"Homeless Homes" nennt der 43-jährige Künstler diese Arbeit, sein Projekt. Der Name ist ein scheinbar unauflösbarer Widerspruch, ein sogenanntes Oxymoron, mit einer sperrigen Übersetzung: Obdachlosenzuhause. Um diesen Widerspruch doch aufzulösen, zimmert Kloehn Dachstühle mit perfekt parallel verlaufenden Balken, verlegt Holzfliesen, sägt Löcher aus und setzt halbhohe Türen ein sowie Fenster, die er zum Beispiel aus alten Waschmaschinentüren fertigt. Am Ende schraubt er Räder unter das schulterhohe Holzhaus. Für seine Werke gelten drei Bedingungen: Klein müssen sie sein, mobil und aus Müll. Die fertigen Häuser verschenkt er an Wohnungslose aus seiner Nachbarschaft.

Das erste Haus war ein Staubfänger

Das hört sich nobel und selbstlos an. Ist es auch, aber geplant war es so nicht. "Ich wünschte, ich könnte sagen, dass ich vorhatte, Obdachlose zu beherbergen, aber meine Motivation war nicht so erhaben", sagt Kloehn. Sein Interesse an Menschen, die auf der Straße leben, hatte zunächst berufliche Motive. Vor etwa drei Jahren arbeitete er an einem Buch über Obdachlose und ihre Architektur. Darüber, wie sie aus Dingen, die sie auf der Straße finden, Orte errichten, an denen sie sich zu Hause fühlen können. "Ich war fasziniert von ihrem Einfallsreichtum", sagt er. "Das hat mich dazu inspiriert, aus den gleichen Materialen, die sie benutzen, etwas zu basteln, das länger hält."

Kunst für Obdachlose
:Mobile Minihäuser

Ein Künstler aus den USA sammelt Sperrmüll und baut daraus mobile Häuser. Der fertigen Werke schenkt er Obdachlosen.

Von Tanja Mokosch

Eine Woche lang hat Kloehn Materialien von der Straße aufgesammelt, gewerkelt, gebastelt und umfunktioniert. Dann war es fertig, das erste mobile Minihaus: "Ein Jäger- und Sammlerhaus aus dem 21. Jahrhundert. Errichtet aus den ausrangierten Früchten des urbanen Dschungels", wie Kloehn sagt. Wenn er so spricht, wird deutlich, dass das Haus für ihn ursprünglich ein Kunstobjekt war, eine Spielerei ohne größere Intention. Es stand zunächst mehrere Monate lang in seinem Atelier herum und staubte ein, während Kloehn weiter an seinem Buch arbeitete.

Doch dann kam Charlene. In einer regnerischen Nacht. "Sie war eine Obdachlose aus der Nachbarschaft, die ich seit zehn Jahren oder länger kannte", erzählt Kloehn. Ob er eine Plane habe, fragte sie, als sie sich draußen trafen. Nein, sagte Kloehn und ging wieder hinein - vorbei an seinem staubigen mobilen Minihaus. Da kam ihm die Idee. "Ich rannte zurück und sagte Charlene, sie solle morgen zurückkommen. Ich hätte ein Zuhause für sie." Charlene kam am nächsten Tag mit ihrem Ehemann Oscar. Gregory Kloehn gab ihnen die Schlüssel und eine Flasche Champagner. "Ich habe ihnen zugesehen, wie sie das Haus die Straße hinunterschoben. Das fühlte sich so gut an, dass ich noch am selben Tag anfing, ein neues zu bauen."

Menschen, die auf der Straße leben, gehören zum kalifornischen Straßenbild wie Palmen zum Hollywood Boulevard. Etwa ein Viertel aller Obdachlosen der USA leben in dem Bundesstaat an der Westküste. Laut Schätzungen der amerikanischen Behörde für Wohnraum und Stadtentwicklung waren dort im Jahr 2013 etwa 137.000 Menschen wohnungslos, davon leben etwa 90.000 auf der Straße - 0,23 Prozent der kalifornischen Gesamtbevölkerung. Damit belegt Kalifornien Platz eins in der Obdachlosenstatistik in den USA. Zum Vergleich: In ganz Deutschland gibt es der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe zufolge etwa 24.000 Menschen, die ohne jegliche Unterkunft auf der Straße leben - vor zwei Jahren waren das etwa 0,03 Prozent der Bevölkerung.

Besonders in den Städten um San Francisco herum steigen die Mietpreise stetig an. Als einer der bedeutendsten Standorte für IT-Unternehmen wie Google und Facebook zieht das Silicon Valley Spitzenverdiener in die Bay Area, zu der auch Gregory Kloehns Heimatstadt Oakland gehört. Selbst für Normalverdiener wird es dort zunehmend schwieriger, bezahlbaren Wohnraum zu finden.

Im Moment leben etwa zehn Obdachlose in Gregory Kloehns Häusern, die beinahe nichts kosten. Neben Sperrholzplatten, Lattenrosten und alten Türen verarbeitet er Fensterscheiben aus alten Autos, gläserne Kühlschrankeinlegeböden und was er sonst noch findet. Auch ein Aquarium kann zum Fenster werden. "Die einzigen Dinge, die ich kaufen muss, sind Nägel, Schrauben, Pinsel und Sägeblätter", sagt er. Sogar die Farbe, mit denen er den Häusern einen bunten Anstrich verpasst, findet er auf der Straße.

Zuhause zum Wegrollen

Auf den ersten Blick könnte man einwenden, dass die "Homeless Homes", klein wie sie sind, ein bisschen wie Hundehütten aussehen. Doch an den Details lässt sich erkennen, wie sehr sich Kloehn in die Obdachlosen hineinversetzt hat. Zum Beispiel an den kleinen Rädern unter den Häusern. Die Räder stammen von alten Einkaufswagen und erfüllen eine wichtige Aufgabe: Die Obdachlosen, so erklärt der Künstler, werden nämlich alle paar Wochen von der Stadt aufgefordert, ihre Plätze zu verlassen und umzuziehen. Anstatt dann alles einzupacken, etwa in einen Einkaufswagen, müssen sie ihr Haus nur an einen anderen Ort schieben.

Auf die fahrbaren Unterkünfte hat die Stadt laut Kloehn bisher nicht reagiert. Aber die Obdachlosen reagieren. Einer habe angefangen zu weinen und sei vor Dankbarkeit auf die Knie gefallen, sagt der kalifornische Künstler. Viele machen Vorschläge, wie er die Häuser noch verbessern könnte. Leider riefen die Unterkünfte auch Missgunst hervor: "Das Haus eines Paares wurde angezündet, ein anderes verbrannt und eines sogar verkauft", erzählt Kloehn. "Es ist nicht leicht da draußen." Deswegen will er noch mehr Häuser bauen.

Eine Stadt aus Sperrmüll

Eine Woche braucht Kloehn etwa, um ein Haus fertigzustellen. Wenn er Hilfe hat, geht es schneller. Und die kommt. "Unglaublich viele Menschen haben sich bei mir gemeldet, weil sie helfen wollen. Ich versuche gerade das zu kanalisieren." Im Moment ist der Künstler aber auf der Suche nach einer neuen Arbeitsstätte. Die Lagerhalle, in der er bisher gearbeitet hat, musste wegen eines Feuers geschlossen werden. Kloehns "Homeless Homes"-Projekt ist selbst obdachlos.

Seine Vision beeinflusst das nicht: Kloehn will Workshops geben, möglichst vielen Leuten zeigen, wie sie die kleinen Häuser bauen können. Außerdem will er ein "How to"-Video drehen und natürlich noch mehr mobile Minihäuser bauen. Am liebsten will er eine ganze Stadt aus Müll erschaffen - eine Obdachlosenstadt, in der jeder ein Zuhause hat.

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