Berlin:Tod einer Schwangeren

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Holzkreuze, Blumen und Kerzen erinnern am Malchower See in Berlin-Hohenschönhausen an Maria, die dort bei lebendigem Leib verbrannte. (Foto: Oliver Mehlis/dpa)

Weil sie das Kind in ihrem Bauch nicht abtreiben will, wird die 19-jährige Maria P. aus Berlin grausam ermordet. Vor Gericht zeigt sich ihr ehemaliger Freund ungerührt.

Von Verena Mayer, Berlin

Supermaria. So nannte sich die 19-jährige Maria P. auf Facebook. Die Schülerin hatte ja auch so viel vor sich. Eine Ausbildung machen, als Köchin arbeiten. Und sie war schwanger, wollte das Kind bekommen und aufziehen. Doch Supermaria durfte nichts von alledem erleben. In einem Waldstück in Berlin wurde ihr mit einem Messer in den Bauch gestochen, sie wurde mit Benzin übergossen und angezündet. Maria P. starb qualvoll, am ganzen Körper brennend.

Angeklagt sind der Vater des ungeborenen Kindes und sein Schulfreund, beide 20. Die zwei betreten den Gerichtssaal gelassen wie Kumpels, die zusammen losziehen wollten und nur zufällig in einem Mordprozess gelandet sind. Der eine, Daniel M., hat die Arme voller Tattoos, der andere, Eren T., Marias Exfreund, erzählt der Richterin lässig aus seinem Leben. Nur zur Tat wollen weder er noch Daniel M. etwas sagen.

Die beiden sollen in einer Januarnacht 2015 einen Schlagstock, ein Brotmesser und einen Kanister Benzin in ein Auto gepackt und Maria P. in einen Wald gelockt haben, um sie dort zu töten. Ein offenbar sorgsam geplantes Verbrechen, zudem eines der grausamsten, das die Hauptstadt seit Langem erlebt hat. Was trieb die beiden Jugendlichen dazu? Eine psychische Krankheit, die Lust am Töten? Oder durfte Maria P. womöglich nicht leben, weil die Familie von Eren T. etwas gegen die Schwangerschaft hatte?

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Als Hauptverdächtiger gilt ihr Freund, doch er schweigt: Die schwangere 19-Jährige, die in einem Waldstück mit Benzin übergossen und angezündet wurde, muss noch versucht haben, sich zu wehren. Das Verbrechen erschüttert Berlin.

Von Verena Mayer

"Das Auffälligste an ihm ist das Unauffällige," sagt eine Gutachterin

Fragen, mit denen sich das Berliner Landgericht seit mehr als vier Monaten beschäftigt. Die psychiatrische Sachverständige nennt erst einmal ein paar ernüchternde Zahlen. 320 Frauen wurden in Deutschland im Jahr 2011 getötet, die Hälfte von ihren Partnern oder Expartnern. Dass Frauen Opfer ihrer Partner werden, ist also bittere Realität.

Andererseits, sagt die Gutachterin, seien die meisten Täter 40 Jahre oder älter, und sie töten aus langen Beziehungen heraus oder dann, wenn diese zu Ende gehen und Männer glauben, ihren Lebenssinn zu verlieren. All das sei hier nicht der Fall.

Eren und Maria verband eine typische Teenager-Liebe. Whatsapp-Nachrichten, Disco, irgendwann Sex, und nach ein paar Wochen war Schluss. Es ging noch ein paar Mal hin und her, und Maria wurde ungewollt schwanger. Sie beschloss, das Kind zu bekommen und gemeinsam mit ihren Eltern aufzuziehen. Auch das ist nicht besonders ungewöhnlich.

Im Prozess kreist daher alles um Eren T. Schwarze Locken, dunkle Augen, man kann sich gut vorstellen, warum Maria P. ihn süß fand. Und warum sie in jener Nacht zu ihm ins Auto stieg, als er sie auf Whats-app "Schatz" nannte und sagte, sie solle mit ihm kommen, er habe eine Überraschung für sie vorbereitet.

Vor Gericht redet Eren T. wie ein Schüler, der seinen Charme spielen lässt, weil er keine Ahnung vom Stoff hat. Zeugen beschreiben ihn als freundlich und cool, Eren T. trank nicht, nahm keine Drogen, war nicht gewalttätig. Die psychiatrische Gutachterin konnte nichts Pathologisches feststellen. "Das Auffälligste an ihm ist das Unauffällige."

Er war eine Art Kronprinz

Aber Eren T. war es gewohnt, so zu leben, wie es ihm passte. Seine Familie war in den Siebzigerjahren aus der Türkei eingewandert, die Eltern arbeiteten schwer, der einzige Sohn war eine Art Kronprinz. Die vier Schwestern mussten ihn respektvoll "Ağabey", großen Bruder, nennen, selbst die älteren Mädchen. Eren T. musste nichts und durfte alles, Probleme wurden ihm aus dem Weg geräumt. Zur Schule ging er, wenn er Lust hatte, meistens spielte er aber Fußball oder zog mit seinen Cousins durch die Gegend, manchmal auch mit seinem Kumpel Daniel M.

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Viermal wechselte Eren T. die Schule, fing eine Ausbildung an, brach sie wieder ab, jobbte als Pizzabote und schlichtete Regale. Eines Tages fand er, "ich kann nicht nur abhängen, ich muss was zustande bringen". Er bewarb sich bei der Polizei, hatte dann aber keine Lust, zum Vorstellungsgespräch zu gehen. "Warum gerade die Polizei?", fragt die Richterin. Recht und Ordnung hätten ihn interessiert, sagt Eren T. "Nach jeder guten Tat hat man ein gutes Gefühl."

Baki C. weiß noch, wie er das erste Mal mit der Familie Kontakt hatte. Baki C. ist Marias Stiefvater, ihr leiblicher Vater starb, als sie ein Kind war. Ein stämmiger Mann, der nur von "Mariechen" redet und so aufgewühlt ist, dass man ihn kaum versteht. Als Maria P. schwanger war, rief Eren T.s Vater ihn an und sagte, Maria müsse abtreiben. Seine Familie akzeptiere das Kind nicht und habe zudem "eine andere Mentalität". Baki C. sagte, er könne nichts tun, Maria sei volljährig.

Das nächste Mal hörte er von der Familie, nachdem Eren T. wegen Mordes an seiner Stieftochter verhaftet worden war. Da rief wieder Eren T.s Vater an und sagte: "Herzliches Beileid, meine Familie ist kaputt." Baki C. redet jetzt noch unverständlicher. So, als könne er diese Erinnerungen löschen, wenn er sie nicht deutlich ausspricht.

Im Zeugenstand hat er eine Rose vor sich auf dem Tisch liegen, es ist Marias Geburtstag. Maria P. wäre inzwischen 20, ihr Kind ein Jahr alt. Die Rechtsmedizinerin sagt, dass das Baby im Bauch bereits ausgereift war, Fingernägel und Haare hatte. Es war ein Mädchen.

Eren T. hört sich das an, wie er sich alles anhört. Mit freundlichem Gesicht, aber unbeteiligt. So, als müsse er eine Schulstunde absitzen. Im Prozess wird nicht klar, ob die Familie wegen des Kindes Druck auf Eren T. ausübte. Oder ob der Vater, als er Marias Familie zur Abtreibung überreden wollte, einmal mehr versuchte, die Probleme seines einzigen Sohnes aus der Welt zu schaffen. So wie wenige Stunden nach der Tat. Da begleitete er seinen Sohn zur Polizei, denn Eren T. wollte seine Exfreundin Maria als vermisst melden. Dem Polizisten, der die Anzeige aufnahm, kam das sofort "ersponnen" vor, er dachte: Der Junge hat etwas mit dem Verschwinden zu tun. Aber der Vater habe alles geglaubt, was der Sohn erzählte.

Daniel M. hat eine kriminelle Vorgeschichte

Und dann waren da noch Eren T.s Freunde. Die Psychiaterin sagt, in Eren T.s Umfeld seien Mädchen und Frauen auf eine Weise abgewertet worden, die man nur "verroht" nennen könne. Ständig sagte einer "Schlampe", ein Jugendlicher hatte auf dem Handy die Nummer seiner Freundin unter dem Wort "Fotze" gespeichert. Eren T. sagte, jemand sollte Maria niederschlagen, ihr in den Bauch treten, "damit das Baby herausfällt". Keiner widersprach, schon gar nicht Daniel M.

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Der sitzt die ganze Zeit wie versteinert da und starrt auf eine Wand. Auch er bestreitet die Tat. Im Gegensatz zu Eren T. hat er jedoch eine kriminelle Vorgeschichte. Er suchte Kontakt zur Rockerszene, war wegen Körperverletzung und unerlaubten Waffenbesitzes polizeibekannt. Seinen Ausbildungsplatz hatte er verloren, weil er einem Lehrling die Haare angezündet hatte. Und immer wieder sprach er mit Eren T. über das Töten, fragte ihn: Was wäre, wenn Maria tot ist, was ist das für ein Gefühl, einen Menschen umzubringen?

Irgendwann muss sich in Eren T. wohl ein Schalter umgelegt haben. "Selbstkorrumpierung" nennt es die Gutachterin. Ein Mensch könne sein inneres Gewissen so lange beeinflussen, bis er Dinge tut, die er sonst nie tun würde. Ein Problem beseitigen, einen Menschen aus der Welt schaffen, der ihn daran hinderte, so weiterzuleben, wie er es gewohnt war. Sorglos, ohne Verantwortung. Und in Daniel M. mit seinen Tötungsfantasien hat Eren T. wahrscheinlich den idealen Helfer gefunden. Der Staatsanwalt sagt, Daniel M. habe "zu seinem Vergnügen" getötet.

Der Staatsanwalt fordert die Höchststrafe

Im Gerichtssaal gucken die beiden Jugendlichen sich nicht an. Bei der Polizei haben sie erst erzählt, sie hätten Maria P. nur erschrecken wollen, später haben sie sich gegenseitig belastet. Ihre Verteidiger fordern Freisprüche.

Maria P. lebte wohl noch mehrere Minuten, als sie brannte. Sie lief ein Stück durch den Wald, versuchte, sich die brennende Jacke abzustreifen. Der Staatsanwalt sagt, Maria P. habe "unerträgliche Qualen körperlicher und seelischer Art" erlitten. Er fordert für beide Angeklagte die Höchststrafe, 15 Jahre Jugendhaft wegen gemeinschaftlichen Mordes. Am Freitag soll das Urteil fallen.

Er habe sich Eren T.s Zeugnisse angesehen, sagt einer der Richter abschließend. Alle Noten darin waren schlecht, lauter Fünfen und Sechsen. Nur in einem Fach sei Eren T. immer gut gewesen. In Ethik.

© SZ vom 17.02.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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