"Zwei Herren im Anzug":Irritierend

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Josef Bierbichler nimmt an der Vorpremiere seines Films in Wolfratshausen teil. Plaudereien nach einem gewaltigen und düsteren Film.

Von Wolfgang Schäl, Wolfratshausen

Es war ein etwas irritierendes Erlebnis, das sich dem Publikum am Mittwoch bei der Vorpremiere von Josef Bierbichlers gewaltigem Opus "Zwei Herren im Anzug" im Wolfratshauser Kinocenter bot. Da war zunächst der Film, eine Flut von düsteren, grellen, ins Surreale tendierenden Bildern über die Gäste hinweggefegt, die sich nach fast zweieinhalb Stunden mit vorsichtigem Applaus bedankten; danach der Einmarsch der gut gelaunten Matadoren: Bierbichler höchstselbst, Regisseur, Hauptakteur und Autor des Romans "Mittelreich", an den sich der jetzt vorgestellte Historienfilm anlehnt, im Schlepptau vier Mitglieder des Teams, darunter sein Sohn im Film und im echten Leben, Simon Donatz.

Sie alle präsentierten sich in gelöster Stimmung, plauderten über Erlebnisse beim Drehen, bis es dann doch zur Sache ging: zu einer verhängnisvollen Episode in der NS-Zeit und einem daraus resultierenden Schuldkomplex, der sich als Kern eines Beziehungsproblems zwischen dem Vater, dem Gastwirt Pankraz, und seinem Sohn Semi herausstellt. Das alles schildert der Film nicht in strenger Chronologie, sondern in fragmentarischen, sich überlagernden Rückblenden, die im Gesamteindruck wirken, als wären hier die Bruchstücke eines geborstenen Hinterglasbildes neu zusammengefügt worden.

"Der reale Bezug war mir wichtig", sagt der Regisseur

"Zwei Herren im Anzug" beschreibt die Jahrzehnte von 1914 bis 1984, in denen sich deutsche Geschichte mit dem Werdegang einer bayerischen Gastwirtsfamilie verwebt. Ausgangssituation ist eine Szene in einem leeren Gastraum: Theres (Martina Gedeck), die Frau von Pankraz und Mutter von Semi, ist gestorben, die Gäste sind nach dem Leichenschmaus gegangen, der Vater und der 35-jährige Sohn Semi sitzen einander gegenüber, ein echter Dialog kommt nicht zustande. Menschliche Nähe kann Pankraz seinem Sohn nicht bieten, konnte es nie. Allein der Versuch, das Kind zu berühren, löste beim Vater einst Brechanfälle aus. So beschränkt sich Pankraz auf den vergeblichen Versuch, seinen Sohn der Kirche wieder nahezubringen, ein sinnloses Unterfangen. Denn Semi ist von der existenziellen Sinnfrage beherrscht, warum er überhaupt auf der Welt ist. Seine Abneigung gegen die Religion speist sich nicht zuletzt aus dem sexuellen Missbrauch, den er im Internat erlebt hat - es ist erkennbar das Kloster Ettal. "Der reale Bezug war mir wichtig", sagt Bierbichler.

Teile des Films sind dagegen einer möglichen Wirklichkeit nachempfunden. Aber ob real oder nicht: Die Handlung ist opulent illustriert. Höhepunkt ist ein ins Groteske übersteigerter, grellbunter in die Nachkriegsjahre projizierter Faschingsball, in dem eine junge Frau (Catrin Striebeck) mit Hakenkreuzabzeichen lustvoll und kapriziös mit der NS-Zeit kokettiert. Ebenso fulminant eine realistisch inszenierte Sturmszene und die ironisch mit der Bildwelt der Kirche spielende Himmelfahrt der alten Mare. Da entschwebt jemand vom Wohnzimmersessel aus der irdischen Welt. Daneben auch zutiefst Bestürzendes: eine Szene, in der Semi seine sterbende Mutter besteigt, um wieder in ihren Schoß und damit zu seinem Ursprung zurückzukehren - eine stoisch detailliert ins Bild gesetzte, abstoßende Szene, die Bierbichler aber nicht als sexuelle Handlung verstanden wissen will, sondern als ein Töten, weil die Mutter ihn nicht vor dem Vater und vor dem Missbrauch im Kloster Ettal geschützt habe. Bestürzend schließlich jene Episode, die verdeutlicht, warum Pankraz mit seinem Sohn nicht über die eigene Vergangenheit reden kann: Er hat einen Lastwagen gesteuert, mit dessen Abgasen in Polen Juden, vor allem Kinder ermordet wurden. Das Schuldgefühl darüber ist letztlich der Grund, warum er seinen Sohn konsequent auf Distanz gehalten hat. Den rätselhaften Schlusspunkt setzen zwei seltsame ältere Herren, die gemeinsam ins Wasser gehen. Am Ende schwimmen zwei schwarze Hüte auf den Wellen, ebenso wie am Anfang. Haben die beiden die Welt verlassen, wie Mare? Man weiß es nicht.

© SZ vom 23.03.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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