Lesung mit Musik:Mann und Hund

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Ludwig Retzer (links) und der Tölzer Thomas-Mann-Forscher Martin Hake gestalteten eine kurzweilige Matinee in der Alten Madlschule. (Foto: Harry Wolfsbauer)

Eine kurzweilige Matinee beleuchtet das innige Verhältnis der Familie Mann zu einem vierbeinigen Familienmitglied aus Bad Tölz. Martin Hake, Ludwig Retzer und Toni Fischer fesseln die Zuhörer eineinhalb Stunden lang.

Von Sabine Näher, Bad Tölz

Wie viel Autobiographisches im Werk eines prominenten Autors zu finden ist, diese Frage beschäftigt nicht nur die Germanisten, sondern auch die Leserschaft. Im Falle von Thomas Manns Erzählung "Herr und Hund" ist die Quellenlage eindeutig, denn Mann schildert hier seinen eigenen Hund Bauschan. Dieser kam zur Familie Mann durch die Vermittlung der Inhaberin des Tölzer Cafés Kogler. Eine Lesung mit historischen Hintergrundinformationen zu Bauschans Leben mit dem großen Schriftsteller bot eine Matinee am Sonntag in der Alten Madlschule.

Der Tölzer Thomas-Mann-Forscher Martin Hake erläuterte die historische Quellenlage, Ludwig Retzer las ausgewählte Passagen der Erzählung sowie aus Manns Erinnerungen und Toni Fischer mit seiner Zither oblag die musikalische Ausgestaltung. Das hätte auch dröge werden können, doch die sehr gut recherchierte und informativ aufbereitete Veranstaltung war äußerst kurzweilig und fesselte die Zuhörer eineinhalb Stunden. Großen Anteil daran hatten die historischen Fotos und Stadtpläne, auf denen sich der Weg der wanderfreudigen Familie von ihrem damals noch außerhalb der Stadt gelegenen Sommerdomizil über die Marktstraße und die Isarbrücke hinüber in den Badeteil zum Café Kogler anschaulich nachvollziehen ließ. Ein Pferdefuhrwerk auf der Brücke, daneben ein paar Passanten: Wer gerade im dichten Autoverkehr den Weg genommen hatte, konnte ins Träumen kommen.

Im Cafe Kogler schlägt das Mitleid mit dem ausgehungerten Tier in Liebe um

Sehr schön auch die vielen Familienfotos, die zumeist Katia Mann und die Kinderschar rund um die Tölzer Villa zeigen. Auch der Schriftsteller nebst Schwiegervater beim Spaziergang (beide erstaunlich elegant gekleidet für das ländliche Ambiente ringsum) sind zu bestaunen. Nur der Hund, um den es bei dieser Matinee heute eigentlich geht, ist nur auf einem einzigen Bild zu sehen. Und auch nur sein schwanzwedelndes Hinterteil.

Dafür ist sein Vorgänger Percy auf einem Bild verewigt, das nicht in der Tölzer, sondern in der Münchner Villa aufgenommen wurde. Auch Bauschans Leben spielte sich auf dem Land und in der Stadt ab. Wobei dem aus Huglfing stammenden Tier die Stadt immer suspekt blieb. Beim ersten Ausgang mit dem Herrchen in die Münchner Innenstadt rannte er erst kopflos neben einer Tram her, um dann in wilder Flucht davon zu stürmen und erst ein paar Tage später völlig eingeschüchtert vor der Haustür zu stehen. Fortan begleitet er Mann nur noch, wenn dieser die Villa am Isarufer jenseits des Englischen Gartens verlassend nach rechts biegt. Dann geht es in die Freiheit, zum Spaziergang in die Isarauen. Wendet er sich dagegen nach links, Richtung Straßenbahn, trottet der Hund enttäuscht nach Hause zurück. Auch diese Wege werden anhand von Stadtplänen und Bildern der Villa veranschaulicht.

Wie eng das Verhältnis Manns zu Bauschan war, belegen die von Retzer in natürlichem Erzählton, mit seiner schönen bayerischen Färbung vorgetragenen Erinnerungen des Schriftstellers. Wie sie das völlig abgemagerte, erst ein halbes Jahr alte Tier ("Bislang bekam er bloß Kartoffelschalen zu fressen") erstmals in der Küche des Café Kogler zu Gesicht bekommen, wie bei den Kindern Mitleid sofort in Liebe umschlägt und sich schließlich auch die Erwachsenen ein Herz fassten ("Was würde aus ihm werden, wenn wir ihn verschmähten?"), wie der erste Gang nach Hause von den Tölzern belächelt wird, als sie des "Skelettchens" ansichtig werden, wie das Tier erst scheu ist, dann immer zutraulicher wird und ihm schließlich nicht mehr von der Seite weicht (solange er nicht zur Tram geht), all das beschreibt Mann liebevoll. Kommt er spät im Dunkeln nach Hause, fühlt er sich plötzlich "wild umtanzt": Bauschan hat ihn von der Haltestelle abgeholt. Wie der Hund vor Freude tobt, wenn es zum Spaziergang geht ("Sein Leben beginnt, wenn ich ausgehe") und wie er ihn gähnend mit Verachtung straft, wenn der Gang allzu kurz ausfällt: Man spürt die Verbundenheit von "Herr und Hund". Gunter Böhmers herrliche Buch-Illustrationen ersetzen die fehlenden Fotos von Bauschan aufs Schönste. Dass Mann das Tier frei jagen lässt ("Der Blutdurst hatte uns beide erfasst"), befremdet ein wenig. Dass Bauschan kein erfolgreicher Jäger war, obwohl sein Herr ihm "den Sieg wünscht", tröstet.

© SZ vom 11.04.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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