Kabarett in Lenggries:Hirnforschung für Nichtbetroffene

"Aber bitte mit ohne": Der Kabarettist Martin Zingsheim aus Köln philosophiert in Lenggries zum Verzicht und glänzt in einer Endlos-Schleife voller Redewendungen mit virtuoser Atemtechnik.

Von Sabine Näher

Was ist Luxus? Mit "Mein Haus! Mein Auto! Mein Boot!" kann längst keiner mehr punkten. Vielmehr scheint der wahre Luxus heutzutage der Verzicht. "Man will von allem weniger. Aber davon viel", bringt es der Kölner Kabarettist Martin Zingsheim auf den Punkt. Askese heißt das Zauberwort: Weniger Fleisch, weniger Fett, weniger Alkohol. Aber Verzicht ist kompliziert, weiß Zingsheim und führt ein schlagendes Beispiel an. Neulich mit dem Kumpel in der Kneipe: "Haben Sie auch halbe Weiße? Ja? Dann hätt' ich gerne zwei..."

Bairisch spreche er zwar nicht, hatte KKK-Chefin Sabine Pfister den Kölner vorgestellt, sondern lupenreines Hochdeutsch. Aber: "I heer eam gern zu. Auch privat." Er sei sozialkritisch, aber immer lustig. "Und des brauch' ma!", meint Pfister entschlossen, als sie dem Gast die Bühne übergibt. Vor der restlos ausverkauften Kaminstube im Arabella Brauneck Hotel steht dann ein sehr jugendlich wirkender, sympathischer Mann, der offen und freundlich mit seinem Publikum umgeht und eher aufs Florett statt auf den Säbel setzt. Also kein Hau-Drauf-Kabarett, sondern Unterhaltung mit Niveau.

Martin Zingsheim

Ein Kölner in Lenggries: Der Kabarettist Martin Zingsheim philosophierte im KKK über die Familie, die Religion, die Gefahren des Internets und die Stärkung des ökologischen Bewusstseins. Klar ist für ihn: "Man will von allem weniger. Aber davon viel."

(Foto: Manfred Neubauer)

Sein neues Programm hätte auch heißen können "Hirnforschung für Nichtbetroffene", merkt er an, aber dann habe er sich doch für "aber bitte mit ohne" entschieden. Wem es schwer falle, den Trend zum Verzicht persönlich umzusetzen, für den habe er ein probates Mittel: "Schaffen Sie sich Kinder an. Dann bleibt für die Eltern eh nix mehr übrig." Erstaunt es schon, dass der junge Mensch, der locker als Student durchgehen könnte, tatsächlich Vater ist, lässt seine nächste Eröffnung die eine oder andere Kinnlade nach unten klappen: "Wir haben mittlerweile vier Kinder." Oha! "Und Parteien wähle ich nur noch nach der Höhe des Kindergelds." Dass damit unablässig Stoff fürs Kabarett frei Haus geliefert wird, liegt auf der Hand. Wer nun befürchtet, mit den gängigen "Jacqueline-Kevin-Sandkasten"-Geschichten belämmert zu werden, hat den geistreichen Kölner unterschätzt. Er liefert wirklich gute Stories aus der Family, zum Beispiel philosophische Gespräche mit den Kindern: "Ich glaube, das Gehirn überlegt, was der Mund sagen soll", habe sein kleiner Sohn neulich nebenbei so von sich gegeben. "Tja - die Hoffnung hatte ich früher auch mal", merkt Zingsheim an. Neben der Familie geht es um die üblichen angesagten Themen wie die Gefahren des Internets und die ständige Verfügbarkeit via Smartphone und Co. sowie die notwendige Stärkung des ökologischen Bewusstseins. Hier immer Thema Nummer eins: Der Coffee-to-go-Becher. Auch er habe sich jetzt endlich einen Edelstahlbecher gekauft, den er in die Kaffee-Läden mitnehme. "Weil der Pappbecher ist mir einfach immer zu heiß. Ich stell' den jetzt in meinen Becher rein." Und so gewinnt der Kölner abgelutschten Themen einen neuen Aspekt ab und hat die Lacher auf seiner Seite. Eine rhetorische Meisterleistung sind die zur Endlos-Schleife verwobenen Redewendungen, bei denen er kaum Luft zu holen scheint und es dem Zuhörer zunehmend schwindlig wird. Das ist formal absolut virtuos, insbesondere was die Atemtechnik angeht, wirkt aber inhaltlich trotzdem ein wenig ermüdend.

Ein bisschen so wie das, was der Musterschüler bei der Abfrage vor der Tafel abliefert, um den Lehrer zu beeindrucken, während die Mitschüler ein Gähnen unterdrücken. Das Ringen mit Geschlechterklischees, die Entlarvung falscher Rollenmuster - auch das gehört heute selbstverständlich in ein Kabarettprogramm. Zingsheims wertvoller Beitrag: "Also wir haben ja einen männlichen Babysitter, einen Babysitterich. Gut, wir lassen ihn jetzt nicht mit den Kindern allein..." Auch seine Vaterstadt Köln taugt ihm als Thema; der Karneval mit seinen berühmt-berüchtigten Ausschweifungen darf da nicht fehlen. Aber auch der sehr spezielle Kölsche Dialekt, den Zingsheim zum Glück nur punktuell aus dramaturgischen Gründen einsetzt, ist für manchen Lacher gut. Wie auch der lockere Umgang, den die Kölner mit der Hochkultur pflegen: "Telemann? Näää, ich hab' mein' Handyvertrag bei O2!"

Martin Zingsheim

"Also wir haben ja einen männlichen Babysitter, einen Babysitterich. Gut, wir lassen ihn jetzt nicht mit den Kindern allein..."

Worauf ihm persönlich der Verzicht besonders leicht falle, das sei die Religion, bekennt der Kabarettist freimütig. Obacht - das ist ein auf dem oberbayerischen Land immer noch nicht ganz abgekühltes Eisen. Und so wird herzlich gelacht, wenn die Protestanten eins auf den Deckel kriegen und sich Zingsheim zum Beispiel über die Auswüchse des Reformations-Jubiläums mokiert.

Als es gegen die Katholiken geht, herrscht aber eher peinlich berührte Stille im Saal. Da hat der Kölner Freigeist die oberbayerische Mentalität doch falsch eingeschätzt. Oder ganz bewusst provoziert? Bei uns sei die Religion doch eher zum netten Hobby verkommen, während sie im Islam eben noch ernst genommen werde, meint er. Sein Vorschlag einer "Kloster-Comedy" oder "Franziskaner Kleinkunst" in Form von zweistündigem Schweigen wäre aber keine Alternative zu seinem unterhaltsamen Programm.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: