Im Stich gelassen:Der Wert eines Pferdes

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Eckart Müller wird sein Isländer "Svaki" gestohlen. Die Polizei interessiert sich kaum für den Fall - auch nicht, als er einen Verdächtigen präsentiert.

Von Claudia Koestler, Waakirchen

"Dass mir ein oder zwei Autos gestohlen werden, wäre mir absolut lieber gewesen", sagt Eckart Müller und ringt um Fassung. Seit ihm in einer Märznacht 2010 sein geliebtes Pferd "Svaki" von der Weide bei Piesenkam gestohlen wurde, fühlt er sich von Polizei und Justiz im Stich gelassen. "Für viele Straftaten gibt es öffentliche Zeugenaufrufe. Sogar, wenn ein Auto zerkratzt wird. Aber wenn es sich um Tiere handelt, gibt es offenbar wenig bis kein Interesse, einen Diebstahl zu verfolgen", sagt er. Weil ein Täter nicht ermittelt werden konnte, wurden die Ermittlungen damals eingestellt - nach nur rund fünf Wochen.

Müller aber ließ nicht locker und fand Svaki tatsächlich wieder: Sechs Jahre später wurde er von einem Händler in Norddeutschland verkauft. Obwohl Müller den Behörden Namen und Adresse des Händlers übermittelte, wurden die Ermittlungen nicht wieder aufgenommen, was Müller fassungslos macht: "Da präsentiert man einen Verdächtigen quasi auf dem Silbertablett und dennoch passiert nichts." Sein Fazit: "Tiere sind offenbar weniger wert als Sachen."

Zwei Island-Pferde hielt die Familie bis zu dem Diebstahl in einem gepflegten, eigens gebauten Offenstall mit großer Koppel und Paddock. Ringsum war das Gelände mit Strom gesichert, der Paddock zudem mit Holzbalken verschlossen. Von der Straße aus ist das Areal nicht einsehbar, weshalb Müller vermutet, dass die Diebe den Stall vorher ausgekundschaftet haben müssen. In der Nacht zum 21. März 2010 schlugen sie zu. Sie nahmen den leistungsstarken Svaki (Isländisch für "der Heftige" oder "Hitzkopf") mit, ließen aber den zweiten Isländer zurück. Dieser war nach dem Verschwinden seines Kumpels völlig aufgelöst, als die Familie anderntags nach dem Rechten sehen wollte. "Die Diebe wussten, was sie taten. Zufällig war da nichts", sagt Müller.

Der heute 77-Jährige erklärt, es gelte in Reiterkreisen als Fakt, dass "professionell auf Bestellung gestohlen" werde. Müller hat recherchiert, dass es jährlich zwischen 100 und 150 Pferdediebstähle in Deutschland gebe. Zahlen, die das Bundeskriminalamt allerdings nicht verifiziert. Andere Zahlen nennt das BKA aber auch nicht. Nach Auskunft der dortigen Pressestelle werden Pferde- oder auch Viehdiebstähle nämlich nicht statistisch erfasst. Das bestätigt auch das Landeskriminalamt. Dort heißt es, Pferde rangierten unter Diebstählen von "beweglichen Gütern". Es werde zum Beispiel nicht zwischen einem Leiterwagen und einem Lebewesen unterschieden.

Die nach dem Verschwinden von Svaki gerufenen Polizeibeamten machten Fotos und rückten nach wenigen Minuten wieder ab, ansonsten passierte laut Müller wenig. Doch er wollte sich nicht mit Warten zufrieden geben: Müller informierte Reiterkollegen, gab Anzeigen auf, durchforstete das Internet nach Hinweisen, schaltete einen Anwalt ein und verbreitete Suchaufrufe in einschlägigen Foren. Viel Zeit und Aufwand widmete er der Suche nach seinem damals 18-jährigen Islandpferd, doch Svaki blieb wie vom Erdboden verschluckt.

Erst sechs Jahre später tauchte der Fuchswallach wieder auf: Eine Frau aus der Nähe von Kiel suchte für ihre Tiere ein Beistellpferd und schaltete eine entsprechende Anzeige. Daraufhin meldete sich ein Händler. Der Mann betreibt bis heute einen großen Stall nördlich von Hamburg mit Fokus auf Reiten für Kinder und wollte der Frau eines seiner Tiere verkaufen. Dass das Pferd bei der Besichtigung bereits zum Verladen parat stand und die Käuferin keinen Einblick in die Ställe und somit die Haltung und Lebensbedingungen der Tiere erhielt, kam ihr seltsam vor. Die Papiere, die die Abstammung und Herkunft des Pferdes belegt hätten, werde er hinterher schicken. Sie seien gerade nicht zur Hand, behauptete der Verkäufer.

Doch trotz mehrmaligem Nachfragen rückte der Verkäufer keine Papiere heraus. Auch keinen Pferdepass, der seit etwa 2000 für alle Tiere Pflicht ist, sofern sie keine Abstammungsurkunde besitzen, und der bei einem Verkauf vorgelegt werden muss. Die Käuferin wurde immer misstrauischer - und begann zu recherchieren. Dabei stieß sie auf die Suchanzeigen von Müller und entdeckte große Ähnlichkeiten in der Beschreibung des Tieres, obwohl das Fell ihres Islandpferdes durch das Alter grau geworden war. Sie nahm Kontakt zu Müller auf. Die daraufhin ausgetauschten Fotos erhärteten den Verdacht, dass es sich tatsächlich um Svaki handeln könnte. Müller reiste nach Kiel und ist überzeugt: "Es ist wie bei einem Baby, man weiß einfach, dass es das eigene ist, auch wenn man es lange nicht gesehen hat".

Svaki sei jedoch durch das Erlebte stark mitgenommen und deutlich gealtert gewesen, dadurch bereits stark weiß im Gesicht, berichtet Müller. Die Mähne sei dünner gewesen, und er hatte gesundheitlich gelitten. Abgemagert und voller Milben fand er das Pferd vor, es litt unter einer Magenschleimhautentzündung, Hufe und Zähne waren nicht gepflegt. "Das Stadium der Verwahrlosung beziehungsweise der Tierquälerei war erreicht", sagt Müller. Aber: Es war derselbe Körperbau, dasselbe Stockmaß, dieselbe Körperform. Das Pferd hatte denselben felllosen Fleck an der Oberlippe zwischen den Nüstern, dasselbe Brandzeichen und vor allem dieselbe Blessenzeichnung, die über das gesamte Gesicht verlief. "Eine solche Blesse ist sehr selten, und dass die Zeichnung exakt so über die Nüstern verläuft, kann nicht zweimal vorkommen", sagt Müller. Müller reiste aber nicht nur nach Kiel, um alle Zweifel auszuräumen. Er wollte vor allem sehen, ob der Isländer nun pferdegerecht untergebracht und versorgt ist. Die Käuferin habe sich vorbildlich verhalten, lobt Müller. "Er hatte es dort gut", tröstet sich Müller. Etwa eineinhalb schöne Jahre durfte das Pferd dort noch erleben, ehe es kürzlich starb.

Der Diebstahl mag inzwischen verjährt sein. Nicht aber die mögliche Hehlerei. Müller gab den Hinweis auf den dubiosen Pferdehändler an Polizei und Staatsanwaltschaft weiter. Als nichts geschah, versuchte Müllers Anwalt, Akteneinsicht zu erhalten. Doch die Staatsanwaltschaft gewährte diese nicht, "da ein berechtigtes Interesse nicht dargelegt wurde", lautete die Begründung. Doch Müller hofft weiter, dass der Fall nicht einfach in den Akten verschwindet. "Ich würde mir wünschen, dass der Verkäufer zumindest einmal überprüft wird, woher er seine Pferde bezieht, ob es zum Geschäftsmodell dieses Reitstalles gehört, den Betrieb teilweise mit gestohlenen Pferden zu betreiben." Für ihn steht fest, dass es sich um organisierte Kriminalität handelte: "Solchen Menschen muss doch das Handwerk gelegt werden."

© SZ vom 14.11.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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