Auszeichnung:Turbo für die Integration

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Der Wackersberger Verein Asylplus hat vor zwei Jahren mit Deutschkursen auf ein paar ausrangierten Rechnern angefangen. Mittlerweile lernen Flüchtlinge in 100 Sprachzentren an 2000 Computern. Dafür gibt es den oberbayerischen Integrationspreis.

Von Klaus Schieder, Wackersberg

Angefangen hat alles im Wohnzimmer von Waltraud Haase in Oberfischbach. 2014 kam die Mathematikerin auf den Gedanken, Asylsuchenden einen gebrauchten Computer zu geben, damit sie über kostenlose Deutschkurse im Internet, die sie sammelte und auf einer Plattform bündelte, in eigenem Tempo die Sprache lernen. Als Mitarbeiter hatte sie damals nur ihren Mann und Muafaq Al-Mufti, selbst Asylbewerber aus Syrien, als Material lediglich ein paar ausrangierte PCs.

Aus den bescheidenen Anfängen ist beinahe explosionsartig ein großes Erfolgsprojekt geworden: Zwei Jahre später hat der Verein "Asylplus", den sie im November 2014 zusammen mit Thomas von Rüden gründete, bundesweit 100 Lernzentren für Flüchtlinge geschaffen. Zur Verfügung stehen dort 1500 Google-Chromebooks und 500 weitere PCs. In Schulen, in Bibliotheken, in Flüchtlingsunterkünften und anderen Orten. Dafür bekommt der Verein an diesem Dienstag den oberbayerischen Integrationspreis in München verliehen.

Thomas von Rüden erinnert sich an die ersten Computer, die von Firmen und Privatleuten gestiftet wurden. "Das waren alte Mühlen, die mühevoll konfiguriert werden mussten", sagt der Vorsitzende von Asylplus. Das war auch noch 2015 so. Unterdessen kamen immer mehr Flüchtlinge auf dem strapaziösen Weg über die Balkan-Route nach Deutschland, dem Verein fehlte es trotz lobender Berichte in Zeitungen, Rundfunk und Fernsehen am Equipment. "Irgendwann haben wir gedacht, wir kriegen das nicht gebacken", erzählt Rüden. Die große Wende trat ein, als das US-Unternehmen Google fünf Millionen Dollar in 25 000 Chromebooks für Geflüchtete steckte - internetbasierte Laptops, die eigentlich für den Unterricht an amerikanischen Schulen gedacht sind.

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Die "Asylplus"-Vorsitzende will Flüchtlingen das Leben erleichtern. In Kürze sollen sie sich wichtige Auskünfte per App im Smartphone einholen können.

Von Klaus Schieder

Was dann geschah, schildert Rüden so: In München habe der Leiter der Google-Filiale an der Erika-Mann-Straße gesehen, "wie die Ströme von Flüchtlingen am Hauptbahnhof vorbeigezogen sind". Angesichts der Szenen vor seinem Büro habe er sich mit seinen Mitarbeitern überlegt, was das Unternehmen tun könne. Das Ergebnis: Zusammen mit der humanitären Organisation "Net Hope" schrieb Google bundesweit Chromebooks aus - und Asylplus erhielt als einer der ersten deutschen Vereine und Organisationen den Zuschlag für 500 Laptops. "Die haben wir so effizient verteilt, dass wir gleich 500 weitere Chromebooks bekamen", sagt Rüden. Inzwischen sind es nochmals 500 mehr.

Ausgestattet wurden damit etwa 100 Lernzentren im Bundesgebiet. Das erste war 2014 im Jugendcafé in Bad Tölz eingerichtet worden. Diese Treffs befinden sich unter anderem in allen Stadtbibliotheken von München, in fast allen Kommunen im Landkreis München, in vielen Grund-, Mittel- und Berufsschulen. Betrieben werden sie nicht alleine vom Verein, sondern von Trägern wie Caritas oder Arbeitersamariterbund, Helferkreisen in Asylunterkünften, Schulen.

"Wir stellen die Hardware und die Software zur Verfügung und weisen ein, alles andere müssen sie dann selbständig machen", erklärt Rüden. Alles andere würde auch die personellen Kapazitäten des Vereins überschreiten, der vier Festangestellte und etwa 100 ehrenamtliche Kräfte zählt. Der Vorteil der Chromebooks sei, dass man von einem Ort aus auf alle 1500 Geräte zugreifen könne, so der Vorsitzende. "Sie sind auch so konfiguriert, dass sie nur dort funktionieren, wo sie funktionieren sollen." Wenn der Nutzer einen der Laptops starte, sei er gewissermaßen fabrikneu, "es gibt darin keinen Abfall".

Das Angebot von Asylplus reicht indes längst über den bloßen Deutschkurs hinaus. Es gibt Programme über das Leben in Deutschland, über das Schulsystem, über den Zugang zu einer Universität, über die Suche nach einem Job. Die Flüchtlinge können berufsspezifisches Deutsch lernen, etwa für Pflegekräfte, und erfahren, wo und wie man sich richtig bewirbt. Ein Arbeitsplatz, sagt Rüden, "ist das Einzige, was integrationsfördernd ist, für die Flüchtlinge und für die Gesellschaft". Der Verein habe es sich zum Ziel gesetzt, "Perspektiven zu schaffen, nicht nur aufzuzeigen".

Die Kritik am Tölzer Modell, dass dies kein Ersatz für einen pädagogisch geführten Sprachkurs sei, nimmt der Vereinsvorsitzende gelassen. Das sei schon richtig, meint er. Auf der anderen Seite müssten die Schutzsuchenden beim computergestützten Unterricht selbständig arbeiten, "das verlangt Fleiß, Initiative und Durchhaltevermögen". Allesamt Eigenschaften, die später von Arbeitgebern geschätzt würden. Außerdem gebe es das Angebot des Vereins "für die Gesellschaft mehr oder weniger zum Nulltarif".

Sie habe nur etwas gemacht, "was eigentlich schon längst fällig war", sagte Haase einmal über ihr Konzept. Die Auszeichnung mit dem oberbayerischen Integrationspreis, den Sozialministerin Emilia Müller überreicht, sieht der Vereinsvorsitzende "in erster Linie als eine Anerkennung unserer Arbeit".

Umso mehr, als sich das bayerische Kultus- und das bayerische Sozialministerium im Mai 2015 noch geweigert hatten, das Tölzer Modell herkömmlichen Sprachkursen gleichzustellen. Allerdings stimmte damals der Landtag der entsprechenden Petition von Asylplus einstimmig zu. Zusammen mit vier anderen Initiativen gehört der Verein für Ministerin Müller zu den "wunderbaren Beispielen für die großartige Vielfalt der Integrationsangebote und den hohen Integrationswillen, der überall in Bayern zu finden ist". Rüden hofft nun, dass damit auch leichter öffentliche Gelder an Asylplus fließen.

© SZ vom 06.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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