Ausstellung:Die Kinder von Föhrenwald

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Die US-Armee brachte nach Kriegsende heimatlose Holocaust-Überlebende in der Siedlung unter - hier die Kinder einer Talmud-Thora-Klasse in Föhrenwald. (Foto: Privat)

Erst kamen Holocaust-Überlebende, dann Vertriebene: Eine Schau zeigt die wechselvolle Geschichte des heutigen Waldram.

Von Benjamin Engel, Wolfratshausen

Für die fünfjährige Annemarie Korntheuer, geborene Brustmann, ist 1956 im heutigen Wolfratshauser Stadtteil Waldram alles neu und ungewohnt. In ihrer Erinnerung tauchen die Bilder immer noch auf. "Das war wie eine Steinwüste, keine Gärten, nichts angelegt, nur die Reihenhäuser sind gestanden", sagt die heute 65-Jährige. Ihre Familie ist im Zweiten Weltkrieg aus Südmähren geflohen, kam zunächst auf einem Bauernhof in Teisendorf im Berchtesgadener Land unter. Schließlich fand ihr Vater in Waldram Arbeit und mit anderen Vertriebenen eine neue Heimat. Korntheuer erinnert sich an eine schön, freie Kindheit. "Die Isarauen waren unsere Spielplätze. Auf den Straßen der Häuser haben wir Räuber und Gendarm gespielt", sagt sie.

Mitte der 1950er-Jahre begann das bisher letzte Kapitel des heutigen Waldram. 1955 hatte das Katholische Siedlungs- und Wohnungsbauwerk das Areal gekauft, die Häuser renoviert und günstig an kinderreiche, heimatvertriebene katholische Familien vergeben. Damals hieß das Areal noch Föhrenwald. Erbaut wurde das Viertel 1939 als nationalsozialistische Mustersiedlung. Nach 1945 richtete die US-Armee dort ein Camp für sogenannte Displaced Persons (DP) ein, heimatlose Holocaust-Überlebende. Einige Überlebende der Todesmärsche der Gefangenen des Konzentrationslagers Dachau wurden dort untergebracht. Später zählte Föhrenwald bis zu 5000 Einwohner. Erst 1957 verließen die letzten jüdischen Bewohner das inzwischen in Waldram umbenannte Viertel, um ein neues Leben zu beginnen.

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Wie die Kinder von Displaced Persons und Heimatvertriebenen in dem Areal in Isarnähe aufwuchsen, thematisiert nun eine neue Foto-Dokumentation. Die Ausstellung "Kinderwelten in Waldram und Föhrenwald - Neuanfänge nach 1945 im Wolfratshauser Forst" verdeutlicht Parallelen und Unterschiede zwischen den beiden Gruppen. Die Schau mit 40 Fototafeln hat Sybille Krafft konzipiert. Die Vorsitzende des Historischen Vereins Wolfratshausen und des Vereins "Bürger fürs Badehaus Waldram-Föhrenwald" betont vor allem einen einigenden Aspekt: "Das Fremdsein in einer ganz neuen Umgebung hatten beide Kinderwelten gemeinsam", sagt sie. Die Isarauen und der Wolfratshauser Forst seien für die Buben und Mädchen Abenteuerspielplätze gewesen. Bis heute gebe es Freundschaften zwischen den jüdischen und Heimatvertriebenen-Kindern. Doch Krafft will auch die Spannungen und das Misstrauen vor allem zwischen den Erwachsenen beider Gruppen nicht verschweigen. "Es gab Auseinandersetzungen und eher wenig Austausch."

Das Projekt basiert auf der Ausstellung "Die Kinder vom Lager Föhrenwald", die Krafft mit dem Historischen Verein Wolfratshausen vor Jahren konzipiert hat. Die aktuelle Ausstellung erweitere den Blick auf die Geschichte des Ortes mit seinen verschiedenen Zeitschichten von der NS-Zeit, der Phase als DP-Lager bis zur Siedlung für Heimatvertriebene, sagt sie. Die wechselvolle Geschichte spiegeln auch die unterschiedlichen Straßennamen. So hieß der heutige Kolpingplatz bis 1945 Danziger Freiheit, dann bis 1957 Independence Place.

Nach 1955 brachte das Katholische Siedlungs- und Wohnungsbauwerk kinderreiche, heimatvertriebene Familien in Waldram unter. (Foto: Privat)

Den Bogen zum Heute spannen schließlich die von Waldramer Grundschülern eingelesenen Texte und Bildunterschriften der Ausstellung - diese sind als Audio-Files beim Rundgang mit Tablet abhörbar und auf der Homepage des Badehaus-Vereins abrufbar. "Die Kinder von heute schaffen den Brückenschlag in die Gegenwart", sagt Krafft.

Zur Ausstellungseröffnung am Sonntag spielen die Waldramer Sängerinnen mit Mitgliedern aus der Familie Brustmann, darunter auch Annemarie Korntheuer. Sie werden zu ihrer Kindheit in Waldram interviewt. Zu den Geschwistern zählt auch der Kabarettist Josef Brustmann. Außerdem ist zur Vernissage der BR-Dokumentarfilm "Die Kinder vom Lager Föhrenwald" zu sehen.

Die Fachberatung Heimatpflege im Bezirk Oberbayern unterstützt das aktuelle Projekt mit 5000 Euro. Der Historische Verein Wolfratshausen und der Badehaus-Verein finanzieren den Rest. Deren Vorsitzende Sybille Krafft hatte sich an Bezirksheimatpfleger Norbert Göttler zur Kooperation gewandt. Viele Mitglieder der beiden Vereine haben sich ehrenamtlich für die Ausstellung engagiert, weswegen Krafft um Spenden bittet. Von Sonntag, 7. Mai, an wird diese dann im Badehaus in Waldram als Dauerausstellung eingerichtet. "Wir feiern an diesem Tag große Eröffnung aus Anlass der 60-Jahr-Feierlichkeiten von Waldram", sagt Krafft.

Annemarie Korntheuer kam als Kind nach Waldram. (Foto: Hartmut Pöstges)

"Kinderwelten in Waldram und Föhrenwald - Neuanfänge nach 1945 im Wolfratshauser Forst", Ausstellungseröffnung mit den Waldramer Sängerinnen am Sonntag, 2. April, 11 Uhr, Maierhof im Kloster Benediktbeuern; Öffnungszeiten der Ausstellung bis Dienstag, 25. April, Sonntag 11 bis 16 Uhr, Dienstag und Samstag 13 bis 16 Uhr, Eintritt frei.

© SZ vom 01.04.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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