Szene München:Niemand ist so spießig wie der Münchner Dialektverfechter

Augustiner Bräustuben in München, 2016

Wird hier Bier gezapft? Natürlich nicht! Das ist Helles.

(Foto: Robert Haas)

Wehe, man sagt "Weihnachtsmarkt" statt "Christkindlmarkt" oder "Straßenbahn" statt "Tram". Oder wagt es, einfach ein "Bier" zu bestellen.

Kolumne von Elisa Britzelmeier

Wer im 21. Jahrhundert wissen will, wie etwas funktioniert, der fragt Google, und weil Google schlau ist, weiß die Suchmaschine schon während des Tippens, was man meinen könnte. "München ist" demnach wahlweise bunt, blau oder rot. Und, auch das ergänzt Google automatisch: München ist langweilig, München ist wie ein Dorf, München ist dämlich und München ist arrogant.

Bevor jetzt gesagt wird, dass Google ganz schön voreingenommen ist, muss ergänzt werden: "München ist" auch "toll" und "-anbul", aber das nur am Rande. Im Großen und Ganzen scheint München aber ganz schön spießig zu sein, wenn man der Autovervollständigung glaubt.

Wer München kennt, weiß, dass das übertrieben ist, aber doch einen wahren Kern hat. Selten ist es so wahr wie beim Münchner Dialektverfechter. Wehe, man sagt "Weihnachtsmarkt" statt "Christkindlmarkt" oder "Straßenbahn" statt "Tram". Da juckt es den Dialektverfechter in den Fingern, und wenn er gerade im Internet ist, dann schreibt er seinen Protest auch gleich hin, muss ja mal gesagt werden. Es gibt ihn aber auch in der Kneipe. Wer gern ein Bier hätte, bekommt eine Frage zur Antwort: "ein Helles?!" - auch wenn auf der Tafel mit den Getränken ausschließlich "Augustiner Hell" steht. Und wer ein Weizen bestellt, bekommt gar nichts. Von "Brötchen" und "Semmeln" möchte man da gar nicht erst anfangen.

"München ist" heißt für die anderen: weltoffen und tolerant

Dagegen neulich, im Allgäu, wo die Menschen zwischen Bergen in Tälern wohnen und bestimmt nicht "Helles" oder "Weißbier" sagen: Man bestellt trotzdem zwei Helle, kein Fragen, kein Stirnrunzeln, keine Zurechtweisung, die Gläser werden einfach auf den Tisch gestellt.

Sprachforscher würden dem Münchner Dialektverfechter ja sagen: Es gehört zur Sprache, dass sie sich verändert, so ist das nun mal. Aber das ist ihm selten nahe zu bringen, am Tresen nicht und im Internet schon gar nicht. "München ist", das heißt für viele andere: weltoffen und tolerant. Die trinken einfach in Ruhe ihr Bier. Oder eben ihr Helles.

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