Suchthilfe in München:Neue Substanzen und andere Probleme

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Der Drogennotdienst L43 in der Landwehrstraße versucht, Süchtigen Halt und einen geregelten Tagesablauf zu geben. (Foto: Alessandra Schellnegger)

Sie tauschen gebrauchte Spritzen gegen saubere. Notdienste wie L43 in der Landwehrstraße helfen den 5.000 Drogensüchtigen in München. Bei einem Besuch der Bundes-Drogenbeauftragten wird klar, was den Suchthelfern fehlt.

Von Florian Fuchs

Im Alter von 15 Jahren hat er das erste Mal einen Joint geraucht, später ist er bei Heroin hängengeblieben. Sebastian Meier dachte erst, er hat die Sucht im Griff. Aber dann setzte er "alles in den Sand", wie er sagt. Er verlor seine Frau, seinen Job als Karosseriebauer und schließlich seine Wohnung.

Meier, der eigentlich anders heißt, ist nun 48 Jahre alt, und er hat sich wieder aufgerappelt: Im "Drogennotdienst L43" in der Landwehrstraße arbeitet er inzwischen sechs Stunden täglich als Hausmeister. Heute aber hat er eine andere Aufgabe, heute soll Meier Besuch durchs Haus führen. Die Drogenbeauftragte der Bundesregierung Marlene Mortler (CSU) ist da. Meier zeigt die Räumlichkeiten, dann sagt er: "Die Stelle ist gut für mich. Sie gibt meinem Tag Struktur."

Ein geordneter Tagesablauf, das wird hier schnell deutlich, ist wichtig für Menschen, die von ihrer Drogensucht wegkommen wollen. Aber so etwas weiß Mortler natürlich schon, seit vier Monaten ist sie im Amt. Bei ihrem Antrittsbesuch in München erfährt die Bundestagsabgeordnete von Suchthilfe-Experten der Institutionen Prop, Condrobs und Caritas jedoch auch von Problemen, die sie aus deren Sicht anpacken muss: So machen den Suchthelfern neue psychoaktive Substanzen zu schaffen, es gibt zu wenig Arbeit und Wohnraum für chronisch suchtkranke Menschen - und die Arbeit von Substitutionsärzten müsste attraktiver werden.

120 Besucher pro Tag

In München, da sind sich die Experten einig, ist die Versorgung von Süchtigen, die Ersatzdrogen bekommen, viel besser als im ländlichen Raum. "Wer hier substituiert werden will, der kriegt auch Hilfe", sagt Andreas Czerny, Geschäftsführer von Prop. Etwa 5000 Menschen in der Stadt sind drogenabhängig, rund die Hälfte davon wird substituiert.

In den Drogennotdienst L43 etwa, den Prop betreibt, kommen täglich 120 Besucher. Pro Jahr tauschen die Mitarbeiter hier 9000 gebrauchte gegen saubere Spritzen. Die Klienten, wie sie Drogenabhängige hier nennen, bekommen Schlafplätze und Hilfe. Ein paar Häuser weiter unterhält die Caritas eine Methadonambulanz.

Gerade aber im Umkreis der Stadt und im ländlichen Raum werden die Versorgungslücken größer. Drogensüchtige, die sich helfen lassen wollen, müssen teilweise täglich 150 Kilometer weit fahren, um zu einer Hilfsstelle oder einem Arzt zu gelangen. Der Mangel an Ärzten, die Substitution und damit ein niedrigschwelliges Angebot für Drogenabhängige anbieten, hat aus Sicht der Experten verschiedene Gründe. So rentiert sich die Arbeit finanziell kaum, dafür müssen sich die Mediziner aber zusätzlich qualifizieren, um den Job überhaupt übernehmen zu dürfen.

Drogensüchtige nehmen meist mehrere Substanzen gleichzeitig

Zugleich ist die Arbeit riskant. Drogensüchtige nehmen meist mehrere Substanzen gleichzeitig, von denen man nicht genau weiß, wie sie bei dem jeweiligen Klienten interagieren. Wenn der Betroffene aber neben Substitutionsmitteln wie Methadon oder Diamorphin zusätzlich Drogen oder Alkohol konsumiert, kann es durch diesen sogenannten Beikonsum Probleme geben.

Passiert dem Klienten aus einem solchen Grund etwas, kann man den Ärzten aus Sicht der Experten zu leicht Fahrlässigkeit vorwerfen - obwohl die Gefahr für die Mediziner schwierig einzuschätzen ist. Schlimmstenfalls verlieren sie ihre Approbation oder müssen gar ins Gefängnis. Die Richtlinien, kritisieren die Experten, sind viel zu schwammig.

Zumal neue psychoaktive Substanzen teilweise gar nicht im Körper nachzuweisen sind. Während in Nordbayern und an der Grenze zu Tschechien vor allem Crystal Meth Probleme bereitet, verbreiten sich in München in jüngster Zeit verstärkt die sogenannten "Badesalze". Diese synthetischen Drogen lösen in kürzester Zeit dramatische Wahnvorstellungen und Angstzustände aus.

Sie werden von den Produzenten aber ständig anders zusammengemixt, sodass die Käufer oft gar nicht genau wissen, was sie da einnehmen. "Das scheint eine Art Sport unter Konsumenten geworden zu sein. Man nimmt es, ohne vorher zu wissen, welche Wirkung es diesmal hat", sagt Klaus Fuhrmann von Condrobs.

Sebastian Meier hat Glück gehabt

Die Helfer der sozialen Träger versuchen verstärkt auch gegen diese Substanzen vorzugehen, sie haben aber noch mit anderen Problemen ihrer Klienten zu kämpfen. Es sei extrem schwierig, klagen die Fachleute, Arbeit für die Betroffenen zu finden. Sebastian Meier zum Beispiel, der im L43 täglich Diamorphin erhält, leistet seine Tätigkeit als Hausmeister im Zuge eines geförderten Arbeitsmodells.

Er hat Glück gehabt, die Mittel für solche Jobs wurden stark gekürzt. Die Fachleute fordern den Ausbau bedarfsgerechter Zuverdienstmöglichkeiten für Menschen, die auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt kaum Chancen haben. Sie fordern außerdem bezahlbaren Wohnraum, was gerade in München problematisch ist. Condrobs hat hier 300 Wohnplätze für seine Klienten, Meier etwa ist in einem betreuten Wohnprojekt für Drogenabhängige über 40 Jahren untergebracht. "Es ist sehr schwierig, die Leute unterzubringen", sagt Fuhrmann.

Mortler nimmt an diesem Tag einen ganzen Packen voll Bitten und Forderungen mit, die Vertreter der sozialen Träger wünschen sich auch Substitutionsprogramme für Gefängnisse und eine Regelfinanzierung für Präventionsangebote. Zusagen will die Abgeordnete aber noch nicht geben. Sie wird erst noch zu Antrittsbesuchen in anderen Städten erwartet. Und will sich dann konkret an die Arbeit machen.

© SZ vom 17.05.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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