Streit im Rathaus:Geschichten, wie hinterfotzig sich die Bürgermeisterbüros beharken

Streit im Rathaus: Josef Schmid (links) und Dieter Reiter: Ihre Büros liegen aneinander - trotzdem dauert der Transport mancher Unterlagen Wochen.

Josef Schmid (links) und Dieter Reiter: Ihre Büros liegen aneinander - trotzdem dauert der Transport mancher Unterlagen Wochen.

(Foto: Robert Haas, Montage: SZ)
  • Die Stimmung zwischen den Regierungsparteien ist nach der geplatzten Referentenwahl aufgeheizt.
  • Oberbürgermeister Dieter Reiter lässt keine Gelegenheit aus, zu demonstrieren, dass ihm niemand etwas kann.
  • In vielen Streitpunkten wird die CSU erst spät informiert.

Von Heiner Effern und Dominik Hutter

Mit dem "Wir" hat es Dieter Reiter nicht so. Wieder einmal. Als der Oberbürgermeister im Stadtrat erklärt, wie es zur historischen Panne kam, dass die Wahl von sechs Referenten geplatzt ist, sagt er: "Deshalb habe ich gestern Abend entschieden, dann wählen wir nicht." Bürgermeister Josef Schmid, der direkt neben Reiter sitzt, kommt in Reiters kurzer Rede nicht vor. Ebenso wie die CSU, die nach eigener Lesart die Entscheidung, die in einer gemeinsamen Krisensitzung gefallen ist, maßgeblich beeinflusst hat. Schmid sitzt also neben Reiter und sagt: nichts.

Die zwei mächtigsten Männer der Stadt flüstern im Verlauf einer Sitzung schon, unterhalten sich. Aber reden sie auch miteinander? Das Führungstandem der großen Koalition, das hat sich in den vergangenen Monaten gezeigt, ist in Krisenzeiten eher Risikofaktor als Feuerwehr.

Geschichten, wie hinterfotzig sich die Bürgermeisterbüros beharken

In der Flüchtlingsdebatte haben sich die beiden bereits einen offenen Schlagabtausch über die Medien geliefert, im Rathaus kursieren Geschichten, wie hinterfotzig sich die beiden Bürgermeisterbüros beharken. Hier ein Stich, dort eine Illoyalität - nichts Großes, aber man sei stets bemüht, einander auf die Nerven zu gehen, berichtet ein Rathaus-Insider.

Es habe sich gezeigt, wer in diesem Rathausbündnis der Koch und wer der Kellner ist, hat SPD-Landtagsfraktionschef Markus Rinderspacher kürzlich beim Dreikönigstreffen seiner Partei gesagt - ein Satz, der bei der CSU sehr wohl registriert wurde. Schließlich stellt sie die größere Fraktion. Doch in der Stadt konzentriert sich die meiste Aufmerksamkeit auf den Oberbürgermeister. Und der kommt von der SPD.

CSU-Mann Schmid ist "nur" der Stellvertreter des Mannes, dem er im direkten Duell um das Amt unterlegen ist. Reiter lässt keine Gelegenheit aus, zu demonstrieren, dass ihm niemand etwas kann. CSU und SPD hatten sich am Abend nach der Krisensitzung hoch und heilig versprochen, bis zum nächsten Morgen dicht zu halten. Die SPD gab die Entscheidung trotzdem gleich raus, die CSU mauerte brav. Das reizt Schmid maßlos. Noch vier Jahre werden die beiden Rivalen nun Büro an Büro sitzen. Bis es möglicherweise erneut zur Wahl kommt, wer Koch wird und wer Kellner.

Wochen - für ein paar Meter

Auch die aktuelle Auseinandersetzung passt ins Schema: Die CSU hat erst spät erfahren, was der von der Gemeindeordnung mit einer großen Machtfülle ausgestattete Oberbürgermeister schon längst wusste: Dass es im Sozialreferat Probleme mit der Abrechnung der Betreuungskosten für junge Flüchtlinge gibt. Am 23. Dezember lag der brisante Zwischenbericht auf dem Tisch.

Für die paar Meter bis in Schmids Büro hat er vier Wochen gebraucht. Ein bisschen Erpressung kommt auch noch hinzu. Schließlich soll die SPD gedroht haben, den an dem ganzen Dilemma völlig unschuldigen CSU-Stadtrat Alexander Dietrich nicht zum Personalreferenten zu wählen, falls die CSU nur die Abstimmung über Meier verschieben will, und nicht die Kür aller sechs Referenten.

Reiter und Schmid ringen um die Deutungshoheit. Am Ende geht es um die Frage: Wer hat wem seinen Willen aufgezwungen? Während die Vierzehnender darum kämpfen, wer das Rudel anführt, laufen die Alltagsgeschäfte weiter wie bisher. Ausschusssprecher beider Fraktionen treffen sich, besprechen Themen. "Das läuft auf einer sehr sachlichen, guten Basis", hört man aus beiden Fraktionen.

In München kehren sich die Gepflogenheit der Politik um

Auch deren Chefs strahlen in den Tagen der Krise wenigstens nach außen Gelassenheit aus. CSU-Mann Hans Podiuk sagt, Rempeleien dürfe man nicht immer gleich persönlich nehmen. SPD-Kollege Alexander Reissl soll mit Podiuk gar lieber Zusammenarbeiten als mit den Grünen. Die beiden respektieren und schätzen sich, die gemeinsamen Bündnisrunden werden als überwiegend konstruktiv beschrieben.

OB Dieter Reiter zum Vorwurf, er habe brisante Informationen viel zu lange zurückgehalten

"Wenn ich gewollt hätte, hätte ich am 23. 12. den Bericht auf meinen Schreibtisch gelegt, wäre in den Urlaub gegangen, und hätte ihn überraschend am 30. 1. wiedergefunden. Hätte ich können. Mache ich aber nicht."

In München kehren sich die Gepflogenheit der Politik um. Im Bund, aber auch in den Ländern arbeiten die Regierungen meist pragmatisch zusammen. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) hat zu Sigmar Gabriel (SPD) einen ausgezeichneten Draht. Geht es darum, das Parteirevier zum Gegner abzustecken, schlagen sich die Generalsekretäre und durchaus auch die Fraktionschefs ihre jeweiligen Wahrheiten um die Ohren. Von Reissl und Podiuk sind in München dagegen kaum schrille Töne zu hören.

OB Reiter reizt den Partner auch nicht durch laute Worte, sondern durch das absolutistische "Ich". Auch bei der zweiten beispiellosen Panne, dem Rückzug des Haushalts im vergangenen Oktober, sprach der OB stets davon, dass er entschieden habe, den Entwurf zu überarbeiten. In Rücksprache mit Kämmerer Ernst Wolowicz (SPD). Bürgermeister Schmid? Kam bei der Verkündung des Entschlusses nicht vor. Auch da gab es zunächst Misstöne zwischen den Bündnispartnern.

Die CSU hat stillgehalten und sich zusammengerauft

Offensichtlich wussten die CSU und Schmid relativ lange nichts von den massiven Löchern in den Haushalten 2015 und 2016. Letztlich haben sie still gehalten und sich zusammengerauft und ein gemeinsames Vorgehen vereinbart. Wie auch schon bei der Sanierung des Stadtklinikums, bei der Verkehrsregelung am Marienplatz oder bei der Standortsuche für neue Flüchtlingsunterkünfte. Das ist nicht selbstverständlich bei zwei Parteien, die sich zuvor jahrzehntelang bekämpft haben und schon einmal wegen einer Personalie aneinandergeraten waren.

CSU-Bürgermeister Josef Schmid über den Zustand der Koalition

"Wir sind im Interesse Münchens am Gelingen der Kooperation interessiert, aber unsere Geduld ist nicht grenzenlos. Die Kooperation ist von der SPD an die Grenze der Belastbarkeit geführt worden."

Vor ziemlich genau einem Jahr waren die Rollen genau entgegengesetzt verteilt. Damals kündigte die SPD an, den wegen seiner verschwiegenen Mitgliedschaft in umstrittenen Vereinen in die Kritik geratenen ÖDP-Mann Markus Hollemann nicht zum Referenten für Gesundheit und Umwelt zu wählen. Die CSU knickte schließlich ein und drängte den mit der Situation sichtlich überforderten Bewerber zum Rückzug. Was einige Christsoziale bis heute als übertrieben empfinden. Es ist deshalb gut möglich, dass die harte Haltung der CSU im Fall Meier einem Revanchebedürfnis entspringt. Soll sich doch auch mal die SPD mit einer Personalie blamieren.

Zerbrechen wird das Bündnis wohl nicht an diesem Scharmützel. Zwar betonen beide Seiten immer wieder, es handle sich nicht um eine Liebesheirat, sondern um ein reines Zweckbündnis. Das man bekanntlich wieder beenden kann, wenn es sich nicht mehr lohnt. Den Großkoalitionären ist jedoch klar, dass sie nur gemeinsam weiterregieren können. Jedes andere politische Bündnis wäre neben den Grünen auf mindestens einen Mini-Partner angewiesen.

Derzeit haben CSU und SPD keine Alternativen bei der Partnerwahl

Das hat schon nach der Wahl 2014 nicht geklappt. Reiter, der damals über ein rot-grünes Bündnis mit der ÖDP verhandelt hatte, schlägt noch heute drei Kreuze, dass es nicht zu dieser wackeligen Konstellation gekommen ist. Mit einem Partner, der seine politische Loyalität an ein einziges Kraftwerk koppelt, den Kohleblock im Münchner Norden nämlich. Eine Minderheitsregierung kam für den OB von Anfang an nicht in Frage. Auch die CSU hat keine realistischen Optionen auf eine Koalition jenseits der SPD.

Trotzdem wird auch dieser Streit nicht der letzte gewesen sein. Schon in vier Wochen, wenn die Zahlen des Revisionsamts vorliegen, wird man sich einigen müssen, bis zu welcher Schadensobergrenze Sozialreferentin Brigitte Meier noch tragbar ist. Man muss kein Prophet sein, um vorauszusagen, dass die SPD in dieser Frage etwas milder sein wird.

Reiter und Schmid werden sich also zusammenreißen müssen, wenn es nicht erneut krachen soll. Das wird auch in ihren Fraktionen erwartet, die nicht immer glücklich sind über das Dauer-Duell der Alphatiere. Schon bald wird im Reiter-Büro der nächste Bericht im Fall Meier vorliegen, und dann wird es darauf ankommen: Bleibt er liegen? Oder versuchen es die beiden mal auf eine neue Art? Vielleicht schnappt sich Reiter ja einfach das Papier, geht rüber zu Schmid, klopft an seine Tür und sagt: Wir müssen reden.

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