SZ-Adventskalender:Große Angst und heimliche Unterstützung

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Wer armen, alten und einsamen Menschen helfen will, muss erst ihr Vertrauen gewinnen.

Sylvia Böhm-Haimerl

- Armen, alten und oft auch einsamen Menschen hilft der Bernrieder Bürgermeister Josef Steigenberger ganz unbürokratisch. Er steckt einen Geldschein in ein Couvert und wirft es anonym bei den Bedürftigen in den Briefkasten. Manchmal kommt ein Brief zurück ins Rathaus, ebenfalls ohne Absender. Im Brief steht nur das Wort "Danke" - ohne Unterschrift. Aber jeder weiß was gemeint ist. "Den Leuten offen etwas anzubieten würde sie brüskieren, sie würden nie Hilfe annehmen", weiß Steigenberger aus Erfahrung.

Auch beim Sozialen Netz Bernried (SoNe) ist die große Scham bekannt, insbesondere bei älteren Menschen, die nicht mehr von ihrer Rente leben können, obwohl sie ihr Leben lang gearbeitet haben. Gerade in kleinen Dörfern, wo jeder jeden kennt, fällt es vielen schwer sich einzugestehen, dass man Hilfe benötigt. "Sie haben Angst, dass ihr Schicksal bei den Nachbarn bekannt wird", sagt der Vorsitzende Peter Stahl. Nicht einmal die Tafel werde angenommen. Die Einrichtung zur Unterstützung von Bedürftigen hat der Verein im vergangenen Jahr gestartet.

Standbetreiber stellen an jedem Markttag ein paar Lebensmittel für Bedürftige zur Verfügung. Obwohl die Zahl der Menschen, die nicht genug zum Leben haben, wegen der steigenden Lebenshaltungskosten von Jahr zu Jahr zunimmt, kommt niemand, um Gemüse oder Obst abzuholen. Deshalb hat der Verein jetzt einen Fahrdienst eingerichtet: Ehrenamtliche Helfer bringen die gespendeten Lebensmittel mit ihren Privatautos direkt ins Haus. Das klappt sehr gut, hat Stahl festgestellt. Denn man fühlt sich nicht so beobachtet.

Auch finanzielle Zuwendungen aus dem neu gegründeten Spendenfonds "Bernrieder halfen Bernriedern" werden dankbar angenommen - wenngleich nur zögerlich. Nach den Erfahrungen von Vorstandsmitglied Ingrid Klemm-Beyer nehmen die Bedürftigen Hilfen erst dann an, wenn sie sich sicher sind, dass im Dorf niemand etwas davon erfährt. Doch es dauert bis die Betroffenen ihre Hemmschwelle überwunden und Vertrauen gefasst haben, erklärt ihr Vorstandskollege Bernd Schulz. "Das ist ein riesengroßer Schritt." Es gebe Menschen in Bernried, denen nach Abzug von Miete und Nebenkosten nur noch 100 Euro im Monat zum Leben bleiben. Dann könne es passieren, dass ihnen der Strom abgestellt wird, weil sie ihn nicht mehr bezahlen können. "Die können nicht mal zum Arzt gehen, weil sie sich die Praxisgebühr nicht leisten können", so die Erfahrung von Schulz. Innerhalb von wenigen Monaten konnte der Verein vier Bürger unterstützen. Doch jetzt ist der Fonds leer. Durch Spenden aus dem SZ- Adventskalender könnte der Fonds jedoch wieder aufgefüllt werden.

Laut Stahl sind mehr als 30 Prozent aller Bernrieder älter als 60 Jahre. Vor allem die Frauen sind von der Altersarmut betroffen. Doch nur selten kommen die Bedürftigen selbst zum Sozialverein. Um ihr Vertrauen zu gewinnen, will der Verein nun ein offenes Bürgercafé einrichten. Für Möbel, Kaffeemaschine und einen Fernseher für Filmvorführungen hofft der Verein ebenfalls auf Spenden aus dem SZ-Adventskalender.

So wie in Bernried helfen zahlreiche Nachbarschaftshilfen in den kleinen Gemeinden alten und armen Menschen, etwa durch Erzählcafés, Seniorennachmittage oder Freizeitangebote. Die größte Anlaufstelle dieser Art gibt es in der Kreisstadt im Starnberger Seniorentreff. Zwar ist die Scham im anonymen städtischen Bereich nicht ganz so groß. Doch nach Angaben der Sozialpädagogin Christine Offtermatt brauchen auch hier die ganz Einsamen Hilfen, die sie über die Schwelle bringen.

Dies wird durch ein breit gefächertes Programm gewährleistet, das laut Offtermatt von rund 100 Ehrenamtlichen auf die Beine gestellt wird. Rund 1000 Besucher nehmen es jedes Jahr gerne an. Auch das tägliche Mittagessen dient der Kontaktpflege. "Da haben sie jemanden, der ihnen zuhört", erklärt Offtermatt. Um noch besser helfen zu können, sollen diese Ehrenamtlichen geschult werden. Als Dankeschön für den unentgeltlichen Einsatz will Offtermatt den Helfern einen Ausflug pro Jahr schenken. Mit rund 3250 Euro aus den Spenden des SZ-Adventskalenders könnte das Hilfsangebot verbessert werden.

© SZ vom 08.12.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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