SPD:Brigitte Meier geht - nach ihrem eigentlich erfolgreichsten Jahr

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Einfühlsam und kühl, professionelle Managerin und ursozialdemokratische Genossin: Die Sozialreferentin war immer beides. Nun gibt sie die Leitung des Referats ab.

Von Dominik Hutter

Krasser könnte der Kontrast kaum sein: Auf der einen Seite die sichtlich angespannte Frau im schwarzen Sakko, die mit tränenerstickter Stimme und verzweifeltem Blick um Unterstützung bei der Unterbringung von Flüchtlingen bittet. Das Internet-Video entstand im Herbst 2015 auf dem Höhepunkt des Flüchtlingsdramas am Hauptbahnhof - und die Reaktionen auf die Bilder aus einer SPD-Konferenz pendelten irgendwo zwischen Bewunderung für ein derart rühriges Engagement und dem Vorwurf der überforderten Heulsuse.

Und auf der anderen Seite gibt es die pragmatische Sozial-Managerin, die im Kälteschutzprogramm für Obdachlose keine Decken ausgeben will, um keine Anreize für Armutsflüchtlinge aus Südosteuropa zu schaffen - bitte keine jugendherbergsähnlichen Verhältnisse in einer Einrichtung, die doch für Notfälle gedacht ist. Wohlfahrtsverbände wie auch Teile der eigenen Partei waren baff, damals im Januar 2014, und witterten Kaltherzigkeit in einem Bereich, der doch von Einfühlungsvermögen geprägt sein sollte.

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Brigitte Meier ist beides: gnadenlose Hüterin der Sozialgesetze und empathische SPD-Sozialfrau. Professionell und burschikos. Verbindlich und schnippisch. Wahrscheinlich ist das der Grund, dass sie so oft angeeckt ist in ihrer sechsjährigen Amtszeit als Sozialreferentin der Stadt München. Angezählt war Meier schon mehrmals, es gab das Elendshaus in Kirchtrudering, das jahrelang fast leer stehende Stiftungsgebäude an der Pilotystraße, die Decken des Kälteschutzprogramms und die verschleppten Erstattungsanträge bei den Unterbringungskosten für Flüchtlinge.

Letztere sind der offizielle Grund, dass die 51-Jährige nun zum Monatsende hinwirft. Tatsächlich sind von dem anfangs attestierten Schaden von fast 180 Millionen Euro maximal 1,7 Millionen übrig geblieben. Das reicht eigentlich nicht für einen Finanzskandal, Meiers Rückzug war letztlich eher politisch bedingt: Die CSU wollte die ungeliebte Sozialreferentin loswerden, möglicherweise auch als Revanche für das von der SPD befeuerte Scheitern des CSU-Kandidaten fürs Gesundheits- und Umweltreferat, Markus Hollemann.

Und die SPD hat ihre Referentin einfach fallen gelassen. Hätte Meier sich mehr Unterstützung aus der eigenen Partei gewünscht, vielleicht auch vom Oberbürgermeister? Die Frau mit der dunklen Lockenmähne schaut nur bedeutungsvoll, nickt ein wenig. Nein, überschlagen haben sich die Sozialdemokraten nicht in Sachen Meier-Rettung. Das geben selbst viele Genossen zu.

Niemand muss in Traglufthallen oder Zelten übernachten

Dabei kann Meier eigentlich auf das erfolgreichste (und anstrengendste) Jahr ihrer Karriere zurückblicken. Tausende Flüchtlinge mussten in einer ohnehin schon aus allen Nähten platzenden Stadt untergebracht werden. Meiers Behörde hat das bewältigt, und noch immer muss niemand in Traglufthallen oder gar in Zelten übernachten.

"Das hat uns doch etwas überrollt", sagt die studierte Sozialpädagogin über das vergangene Jahr. Der Hauptbahnhof mit seinen Zehntausenden Neuankömmlingen, die vielen unbegleiteten Minderjährigen, die intensiv betreut werden müssen. Dazu kommt noch die stark steigende Zahl der Münchner Wohnungslosen, die sich in den vergangenen Jahren mehr als verdoppelt hat. "Der eigentliche Erfolg ist es, dass es der Stadt immer wieder gelingt, den sozialen Frieden zu wahren", sagt die gebürtige Simbacherin.

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Dabei sprächen alle Daten eigentlich für ein soziales Pulverfass: der wachsende Unterschied zwischen Arm und Reich, die hohen Mieten, die vielen Zuzügler aus dem In- und Ausland. "Bisher haben wir es aber gut hingekriegt, dass keine Konkurrenzsituation zwischen Flüchtlingen und Wohnungslosen entsteht", sagt Meier. Es gebe nach wie vor keine Stadtviertel, in die man nachts nicht mehr gehen kann, offener Rassismus sei glücklicherweise selten.

2014 wollte Meier als Oberbürgermeisterin kandidieren

Mit Sozialem ist Meier schon ihr ganzes Berufs- und Politikerleben beschäftigt. Erst ist sie in Ramersdorf in der offenen Jugendarbeit tätig. 1996 zieht sie in den Stadtrat ein und wird sozialpolitische Sprecherin der SPD-Fraktion. Nach einer erfolglosen Kandidatur zur Jugendamtschefin 2006 sammelt sie bei der Arbeiterwohlfahrt Erfahrungen als Führungskraft. 2010 wird sie Nachfolgerin des langjährigen Sozialreferenten Frieder Graffe. Und muss gleich das Jobcenter neu strukturieren, dessen Vorläufermodell für rechtswidrig erklärt wurde.

Mit Meiers Namen verbunden sind auch diverse Projekte für Senioren, das ASZ-plus etwa, der Einstieg in die Neuorganisation des Sozialreferats mit seinen gut 4000 Mitarbeitern, verschärfte Kontrollen gegen die Zweckentfremdung von Wohnungen, das Programm "Bilden statt Betteln", die Mediatoren-Teams am Gärtnerplatz wie auch das "Young Refugee Center". Im nächsten Jahr soll die Internetvermittlung von Sozialwohnungen ans Netz gehen, eine Art Sozial-Immoscout.

Bei der Wahl 2014 wollte die Frau, die sich in ihrer Anfangszeit als Stadträtin so gerne für junge Themen und die Imbisskultur engagiert hatte, sogar als Oberbürgermeisterin kandidieren. Sie unterlag aber im innerparteilichen Ringen dem heutigen Amtsinhaber Dieter Reiter. Kommunalpolitik will sie nun auch nach ihrem Rückzug aus dem Sozialreferat betreiben - in ihrem Wohnort Feldkirchen-Westerham. Beruflich will sie im Sozialbereich bleiben. Erst einmal aber ist eine kleine Auszeit geplant - mit vielen Ausritten, wie sie sagt. "Mein Pferd ist 30 geworden."

© SZ vom 23.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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