Schwangeren-Betreuung:Geburtshaus will eröffnen, darf aber nicht

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Wartet auf die Genehmigung für das Geburtshaus: Anita Schultze. (Foto: S. Rumpf)
  • Das Geburtshaus an der Theresienwiese ist fertig, aber Kinder dürfen hier noch nicht zur Welt kommen.
  • Die Bürokratie steht einer Eröffnung noch im Weg: Ein Teil des Gebäudes ist als Wohnfläche deklariert.
  • Dabei wäre der Bedarf da. Die Warteliste von Schwangeren ist schon jetzt lang.

Von Lisa Böttinger, München

Die weißen Kissen sind aufgeschüttelt in dem sonnigen Raum an der Lindwurmstraße 92a, die Tagesdecke auf dem Bett wurde so oft glatt gestrichen, dass man keine Falte mehr erkennen kann. Genauso wie das Tuch auf der Wickelkommode, die weiche Unterlage für die, die noch kommen sollen: Neugeborene. Denn die darf es noch nicht geben im Geburtshaus an der Theresienwiese. So zumindest sieht es die Bauordnung der Stadt München vor.

"So langsam sitzen wir auf heißen Kohlen", sagt Anita Schultze, Hebamme und organisatorische Leiterin des zweiten Münchner Geburtshauses. Gemeinsam mit der Hebamme und fachlichen Leiterin der Praxis, Larissa Löffler, hat sie anderthalb Jahre nach passenden Räumlichkeiten für Münchens zweites Geburtshaus gesucht. Nun wartet sie seit Monaten auf die Nutzungsgenehmigung. Eine Nutzungsänderung der Gewerberäume in eine Praxis haben sie erstmals Ende März beantragt. Erst nach dieser dürfen dort offiziell auch Geburten, Vor- oder Nachsorgeuntersuchungen von Schwangeren stattfinden.

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Seit August zahlen Schultze und Löffler monatlich dreieinhalbtausend Euro Miete. Genehmigt ist bisher aber nichts. "Wir können die Schwangeren hier zurzeit nur beraten", sagt Schultze, die mit ihrer Kollegin für das Projekt einen Kredit in sechsstelliger Höhe aufgenommen hat, "um am Anfang durchzuhalten", wie sie sagt. Doch der Anfang zieht sich hin. Dabei ist alles fertig - fast alles. Das zweite Geburtszimmer liegt in Richtung Hinterhof, und von dort aus sieht man auf das, was in Zukunft der Kursraum des Geburtshauses werden soll.

Doch hier stapeln sich Umzugskartons auf Malertischen, die bestellten Gymnastikbälle sind noch verpackt. Bei der Prüfung der Bauakte in der Lokalbaukommission kam heraus, dass dieser Teil des Geburtshauses einem winzigen Vermerk zufolge als Wohnfläche deklariert ist, und zwar bereits seit 1988. Die Vermieterin gibt an, die kompletten Räumlichkeiten aber als gewerblich nutzbar gekauft zu haben - und ließ das Geburtshaus-Team deshalb bedenkenlos einziehen.

Wollen die Hebammen diese Wohnfläche als Praxis nutzen, muss die Stadt einer Zweckentfremdung zustimmen. "Alternativ können die Mieter oder die Eigentümerin einen Ablösebetrag an die Stadt zahlen oder neu geschaffene Wohnfläche in gleicher Größe innerhalb Münchens zur Verfügung stellen", erklärt Cordula Linner, die das Hebammenteam als Sachverständige für Immobilienbewertung und Baugenehmigungen vertritt. Dafür fehlt Schultze und ihrer Kollegin nun aber endgültig das Geld. Die 39-Jährige war vor ihrem Hebammenstudium in der Finanzberatung eines Großunternehmens tätig, sie kennt sich aus mit Vorschriften. "Aber um das hier durchzuhalten, muss man schon einiges an Enthusiasmus haben", sagt sie und schlägt einen roten Ordner auf.

25 werdende Mütter und Väter waren beim vergangenen Info-Abend des Geburtshauses, alle haben Interesse. "Wir werden mit Anfragen überschwemmt", sagt Schultze. In dem roten Ordner führt sie eine Warteliste: für Geburten, Vorsorgen und Wochenbettbetreuungen. Auch eine ambulante Sprechstunde für Mütter, die aufgrund des Hebammenmangels in München keine Nachsorgebetreuung gefunden haben, will sie mit dem freiberuflichen Team des Geburtshauses anbieten.

Stattdessen sitzt Cordula Linner nun zum zweiten Mal über dem Genehmigungsantrag für das Geburtshaus. Zumindest die vorderen Räume sollen endlich offiziell Praxis werden, damit dort Kinder zur Welt kommen können. Drei bis fünf Monate kann das dauern, so schätzt die Architektin. Mittlerweile prüft die Stadt, ob die Räume im Hinterhof als unbewohnbar deklariert werden könnten. Mit diesem sogenannten Negativattest könnte die Fläche schneller umgenutzt werden. Bearbeitungsdauer? "Unklar", sagt Linner.

Eine weitere Chance für das Geburtshaus sei eine Genehmigung "auf Grund vorrangiger öffentlicher Belange", wie das Amt für Wohnen und Migration mitteilen lässt. Dessen Sprecherin betont, man stehe "dem Projekt eines Geburtshauses grundsätzlich positiv gegenüber", sei aber "an die rechtlichen Vorgaben und Verfahren gebunden". Für Schultze ist es keine Frage, ob ein zweites Geburtshaus in München von öffentlichem Interesse wäre. "Die Schwangeren stehen Schlange, und wir müssen sie vertrösten", sagt sie, die Stimme zittert jetzt ein bisschen. Den roten Ordner mit der Warteliste hält sie fest in den Händen. Als nächstes, sagt Schultze, will sie einen offenen Brief an Oberbürgermeister Dieter Reiter schreiben. Da rechnet sie mit weniger Wartezeit auf eine Antwort.

© SZ vom 02.11.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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