Nahverkehr:Fahrplanwechsel beim MVV - das System stößt an seine Grenzen

Nahverkehr: Gibt es künftig Waben statt Ringe und Zonen? Immer wieder wird über eine Ausweitung des MVV debattiert. illustration: Dennis Schmidt

Gibt es künftig Waben statt Ringe und Zonen? Immer wieder wird über eine Ausweitung des MVV debattiert. illustration: Dennis Schmidt

  • Am kommenden Sonntag tritt der neue Fahrplan in Kraft, der nicht nur zahlreiche Änderungen bei Bussen und Bahnen bringt, sondern auch höhere Preise für die Fahrgäste.
  • Neu im Programm des MVV ist der "Filzenexpress" - doch mit weiteren Zuwächsen tun sich die Verkehrsgesellschaften schwer

Von Marco Völklein

Etwa 15 000 Broschüren haben sie drucken lassen, ein Transparent direkt an der Bundesstraße nahe Wasserburg aufgehängt. Und Trinkbecher mit MVV-Logo und der Silhouette der Stadt angefertigt, um sie am Sonntag mit Glühwein zu füllen - beim großen Eröffnungs- und Integrationsfest am Wasserburger Bahnhof. Mit dem Fahrplanwechsel am Sonntag wird auch der Münchner Verkehrs- und Tarifverbund (MVV) ein kleines Stückchen größer. Der "Filzenexpress", die eingleisige Bahnstrecke von Ebersberg nach Wasserburg, gehört dann zum MVV.

Der Landkreis Rosenheim, der Freistaat und die 13 000-Einwohner-Stadt selbst knüpfen große Erwartungen an diesen Schritt. Schon vor einem Jahr hatte die Deutsche Bahn die Strecke mit Unterstützung des Freistaats ausgebaut. Seither fahren die Züge deutlich öfter, einige rauschen durch bis ins Münchner Stadtgebiet. Nun wird die Fahrt auch noch billiger: Ein Pendler zahlt von Sonntag an für die Monatskarte auf der Strecke Wasserburg-Ostbahnhof nicht mehr 223 Euro wie zuletzt bei der Südostbayernbahn (SOB), einer Tochter der Deutschen Bahn (DB), sondern nur noch 195 Euro. Das macht eine Ersparnis von 12,5 Prozent. Und weil ja der Fahrschein künftig ein MVV-Ticket ist, ist die Anschlussfahrt mit U- oder Trambahn oder einem Bus in München gleich mit drin. Bisher kostete eine solche Fahrt im MVV extra. Nicht nur der Rosenheimer Landrat Wolfgang Berthaler (CSU) hofft, so mehr Pendler zum Umstieg vom Auto auf Bus und Bahn zu bewegen.

Allerdings stoßen solche Erweiterungen rasch an ihre Grenzen - wie das Beispiel Wasserburg zeigt. Denn das MVV-Gebiet endet dort am Bahnhof. Und der liegt im Ortsteil Reitmehring, gut vier Kilometer vor der Stadt. Früher führte mal eine Stichstrecke der DB von Reitmehring hinunter ins Tal zum Endbahnhof am Rande der Altstadt. Doch diese Trasse existiert schon lange nicht mehr. Seither binden Busse die Stadt an den Bahnhof an. Das Problem ist nur: Diese Busse sind künftig nicht Teil des MVV. Wer also von München kommend, sagen wir, einen Ausflug ins Spaßbad Badria auf der anderen Seite des Inns plant, der muss zusätzlich zum MVV-Ticket einen Bus-Fahrschein kaufen. Volle Integration sieht anders aus.

"Über kurz oder lang wird auch das kommen", verspricht MVV-Geschäftsführer Alexander Freitag. "Wir machen einen Schritt nach dem anderen." Das Einbinden des Schienenverkehrs sei grundsätzlich einfacher als gleich ein ganzes Netz an Bussen in das Tarifgebiet zu integrieren. Tatsächlich gingen der Erweiterung des MVV-Raums "langwierige Verhandlungen" voraus, wie auch Rosenheims Landrat Berthaler einräumt. Der Hauptknackpunkt war dabei - wie eigentlich meistens - das Geld.

Weil der SOB-Tarif vom Niveau her etwas über dem MVV-Tarif liegt, entstehen der SOB Mindereinnahmen in Höhe von geschätzt etwas mehr als 100 000 Euro pro Jahr. Diese gleichen der Landkreis und einige Kommunen an der Strecke künftig aus. Doch selbst bei diesem relativ kleinen Betrag zogen sich die Verhandlungen. Bei einer Erweiterung des MVV beispielsweise im Westen nach Landsberg oder im Nordosten bis nach Landshut würden sich die Summen rasch in siebenstellige Bereiche steigern. Das macht es schwierig.

Deshalb dürfte sich auch die geplante große Erweiterung des MVV hinziehen. Die Idee ist die: Weil immer mehr Pendler aus Städten und Regionen außerhalb des eigentlichen MVV-Gebiets nach München reindrängen, könnte über kurz oder lang der gesamte Raum der "Europäischen Metropolregion München", kurz EMM, in den MVV integriert werden - oder sogar gleich ein neuer EMM-Verbund geschaffen werden. Dieser würde sich von Garmisch-Partenkirchen im Süden bis Eichstätt im Norden, von Dillingen und Kaufbeuren im Westen bis nach Traunstein und Altötting im Osten erstrecken. Ein Großraum, der in ein paar Jahren die Grenze von fünf Millionen Einwohnern überschritten haben wird.

Die Frage dabei wird nicht nur sein, wie ein solcher Tarif konkret aussehen soll, wo also Zonengrenzen und Ringsegmente verlaufen. Oder ob das Tarifgebiet künftig in Waben aufgeteilt wird, so wie in vielen anderen Regionen. Die noch viel kniffligere Frage wird sein, wer welchen Anteil aus den Fahrgeldeinnahmen erhält - derzeit teilen sich die Deutsche Bahn und die Münchner Verkehrsgesellschaft (MVG) die jährlichen MVV-Einnahmen von zuletzt 766 Millionen Euro mit den acht MVV-Landkreisen sowie kleineren Anbietern wie dem Meridian oder der SOB. In einem neuen Verbund würden auch die Stadtwerke Augsburg, diverse Busfirmen sowie 20 Landkreise und fünf kreisfreie Städte mitmischen. Kritiker sagen ohnehin: Statt viel Zeit und Kraft damit zu vergeuden, sich über einen neuen Großtarif zu zanken, wäre es besser, neue Strecken zu bauen oder bestehende zu sanieren, um das Angebot zu verbessern - und die Autofahrer so in den öffentlichen Nahverkehr zu locken.

Um diesen ganzen Ärger zu umgehen, haben Gutachter zuletzt vorgeschlagen, zunächst einmal einen "Dachtarif" zu entwickeln, der für Fahrten zwischen den einzelnen Teilverbünden des EMM-Raums gelten soll. Unter dem Dach könnten die Einzeltarife, also der MVV für München oder der AVV für Augsburg weiter existieren. Vom Frühjahr 2016 an, so ist zu hören, soll dieser Dachtarif nun entwickelt werden. Anfang 2017 soll dann darüber entschieden werden. Und zum Fahrplanwechsel im Dezember 2019 könnte der Dachtarif Wirklichkeit werden. Wo dann der Glühwein ausgeschenkt wird, ist noch offen.

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