Tafeln:Noch ist genug für alle da

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An den Essensausgaben im Landkreis nimmt der Andrang der Bedürftigen seit Jahren zu. (Foto: Stefan Schaubitzer/dpa)

An den Lebensmittelsausgaben im Landkreis gibt es bisher kaum Konflikte. Den Aufnahmestopp der Essener Tafel für Flüchtlinge können gleichwohl einige verstehen - denn die Zahl der Bedürftigen wird immer größer.

Von Vinzenz Neumaier, Garching

Werner steht geduldig in der Schlange und wartet auf seine Nummer. Heute ist es die 18. Mehrere Minuten dauert es, dann ruft die Mitarbeiterin vom Garchinger Tisch seine Nummer auf. Der groß gewachsene Mann mit dem gepflegten weißen Bürstenschnitt und dem akkuraten schwarzen Hemd geht zur Essensausgabe, inspiziert die Produkte und füllt seine Einkaufstaschen: zwei Laibe dunkles Bauernbrot, ein Karton Eier, Obst und Tomaten. Am Ende sind seine vier Jutebeutel voll.

Seit eineinhalb Jahren kommt Werner regelmäßig zum Garchinger Tisch, der Lebensmittelausgabe für Bedürftige in der Stadt, um sich hier kostenlos mit Nahrungsmitteln einzudecken. Früher war er selbständig, dann wurde er krank und musste aufhören zu arbeiten. "Ich hab meine Reserven aufgebraucht", sagt Werner, der seinen Nachnamen nicht nennen möchte. Er schämt sich für seine Situation und dafür, dass er auf gespendete Lebensmittel angewiesen ist.

Knapp 50 Bedürftige sind an diesem Freitagvormittag zur Lebensmittelausgabe nahe der Kirche Sankt Severin in Garching gekommen. Viele hier haben die Diskussion um die Essener Tafel verfolgt, die mit ihrer Entscheidung, vorerst nur noch Deutsche als neue Kunden zuzulassen, diese Woche Schlagzeilen gemacht hat. Werner kann die Entscheidung der Tafel in Essen verstehen. Auch in Garching würden sich ausländische Bezieher manchmal vordrängeln. Weniger deutsche Klienten würden deswegen aber nicht zum Garchinger Tisch kommen, ist seine Beobachtung.

An den Essensausgaben im Landkreis nimmt der Andrang der Bedürftigen seit Jahren zu. (Foto: Stefan Schaubitzer/dpa)

Zwar unglücklich, aber nachvollziehbar findet Claudia Mammach, die Fachdienstleiterin für soziale Dienste bei der Caritas, die Entscheidung der Essener Tafel. Die Situation in Garching sei mit der in Nordrhein-Westfalen nicht vergleichbar, sagt sie. Zwar sind in den vergangenen Jahren mehr Flüchtlinge zu den Tischen und Tafeln im Landkreis München gekommen, aber dass anerkannte Asylbewerber deutsche Kundschaft verdrängen, kann Mammach für ihren Aufgabenbereich nicht feststellen.

Einen Ausschluss von Flüchtlingen wie in Essen schließt die Caritas im Landkreis München kategorisch aus. "Ein Aufnahmestopp für eine Gruppe widerspricht den Grundsätzen", sagt Gabriele Stark-Angermeier, die Kreisgeschäftsführerin des kirchlichen Sozialverbands. Sorgen machen den Mitarbeitern der Caritas, die insgesamt 7 Essensausgaben im Landkreis betreut, andere Umstände: Die Tafeln und Tische melden seit Jahren steigende Zahlen an Bedürftigen. Knapp 1600 Menschen mit Nahrungsmitteln versorgt mittlerweile allein die Caritas an ihren Essensausgaben.

Nicht nur Flüchtlinge hätten den Anstieg ausgelöst, sagt Stark-Angermeier. Auch immer mehr ältere Menschen kämen zu den Tischen. Laut Claudia Mammach vom Garchinger Tisch werden mittlerweile so viele Klienten versorgt, dass nicht mehr viel Luft nach oben ist. "Der gesamte Landkreis ist am Maximum, wenn nicht einen Ticken drüber."

Ein Bild, das auch Peter Möws vom Verein Kirchheim-Heimstettener Tafel bestätigt, die sich um Bedürftige in Aschheim, Feldkirchen und Kirchheim kümmert. Seit einigen Jahren kämen immer mehr Menschen, um sich mit Lebensmitteln einzudecken. Knapp 70 Klienten versorgt die Kirchheim-Heimstettener Tafel mittlerweile. Etwa 25 von ihnen sind Flüchtlinge. Gegen den Vorwurf, dass sich Migranten bei der Essensausgabe rabiater als Deutsche verhalten würden, wehrt sich Möws: "Es gibt schwarze Schafe überall, nicht nur bei Asylbewerbern."

Schlechtere Erfahrungen mit Flüchtlingen bei den Tischen hat Johannes Schuster vom Isartaler Tisch in Pullach gemacht. Flüchtlinge gingen bei der Verteilung eher "mit dem Ellbogen" vor. Ältere Frauen und Familien seien deshalb seltener gekommen, sagt Schuster. Der Vorsitzende des Isartaler Tisches hat den Eindruck, viele Flüchtlinge wüssten nicht, dass das Angebot der Tafel von ehrenamtlichen Helfern organisiert wird und nicht vom Arbeitsamt stammt.

Diesem Phänomen hat der Isartaler Tisch mit dem Verein "Mensch zu Mensch" entgegengewirkt. Mitglieder des Vereins haben mit den Flüchtlingen am Ort geredet und seitdem habe sich die Situation gebessert. Den Aufnahmestopp der Essener Tafel kann Johannes Schuster dennoch nachvollziehen. In Pullach zieht er eine solche Maßnahme aber nicht in Betracht.

Cengiz Özcan hat an diesem Freitag in Garching die Nummer 30 gezogen. Ruhig steht er in der Schlange, bis er dran ist. Am liebsten nimmt er Fleisch und Joghurt mit. Ursprünglich kommt Özcan aus der Türkei, er lebt aber seit 13 Jahren in Deutschland. Er ist froh, beim Garchinger Tisch Lebensmittel beziehen zu dürfen. Den Aufnahmestopp für Ausländer bei der Essener Tafel kann er nicht verstehen. In Garching sei die Beziehung zwischen deutschen Bedürftigen und Bedürftigen mit Migrationshintergrund gut. Streit gebe es keinen. "Hier gibt es kein Neid und keine Rangeleien."

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Deutschland geht es gut wie nie, doch an den Tafeln streiten die Bedürftigen um die besten Plätze. Es spiegelt sich dort die Rücksichtslosigkeit der Politik.

Kommentar von Ulrike Heidenreich

In einer früheren Version dieses Artikels stand, dass die Caritas 13 Tafeln im Landkreis betreibt.

© SZ vom 03.03.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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