Kulturpolitik:Braucht's des wirklich?

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Kein Ort ohne Kultursaal oder Bürgerhaus. Unbedingt nötig ist das sicher nicht. Aber es schadet auch nicht

Von Udo Watter

Der Blick vom Fluss hinauf zum dicht bewaldeten Isarhochufer bleibt hängen an dem Gebäude mit der großen Glasfront, das sich imponierend an der Hangkante erhebt. Kein klassischer Musentempel - aber ein Hingucker. "Das schaut aus wie das Hauptquartier eines James-Bond-Bösewichts", hat einmal ein Kollege über das Pullacher Bürgerhaus gesagt. Würde ja passen: Pullach, BND, James Bond. Andere nannten das 1996 eröffnete Haus weniger schmeichelhaft "Liftstation".

Ja, das Gebäude war ästhetisch zunächst umstritten, und auch heute würde es nicht jeder als Augenweide bezeichnen. Was hingegen nicht umstritten ist: Der Gewinn, den die Isartalgemeinde aus dem Bau eines eigenen Bürgerhauses gezogen hat: Ein hochkarätiges Kulturangebot lockt seither zahlreiche Besucher aus dem Münchner Süden an, es gibt eine Bücherei, Räume für Vereine und mit dem "Treibhaus" ist eine Kneipe im Gebäude integriert. "Das Bürgerhaus hat die Ortsmitte belebt. Jeder Pullacher kommt hier mal rein", sagt Leiterin Hannah Stegmayer.

Felix Maiwald, CSU-Ortsvorsitzender im benachbarten Baierbrunn hat das Pullacher Bürgerhaus in seinem Bürgermeister-Wahlkampf im Frühjahr als positives Beispiel gebracht, wenn er für eine seiner Lieblingsideen warb: einen "zukunftsfähigen Kultursaal", einen "Bürgersaal für alle", den er gerne als integrativen Teil der neuen Grundschule in Baierbrunn verwirklicht sähe. Nun, gewählt wurde Wolfgang Jirschik (ÜWG), der die Prioritäten ein wenig anders setzte und die schulfamiliären Bedürfnisse in den Fokus rückt. Keine "Visionen", sondern "klare Zielsetzungen" wie Jirschik erklärte.

Kultur ist wichtig, Kultur kostet Geld

Katharina Ruf neigt offenbar auch nicht zu überstiegenen Plänen: Die Kirchheimer Kulturreferentin stellte jüngst bei einer Gemeinderatssitzung die Notwendigkeit eines neuen Bürgersaals mit 400 Plätzen am Ort infrage: Sie sähe beim derzeitigen Budget, das ihr zur Verfügung stehe, keine Notwendigkeit für einen großen Veranstaltungsraum. Um den nämlich regelmäßig auszulasten, müsste man deutlich mehr Geld in die kulturellen Angebote investieren.

Für das jetzige Programm reichten in der Regel kleine Veranstaltungsräume, für die wenigen größeren gebe es das Gymnasium. Man wird sehen, wie sich das entwickelt, immerhin gab es ja in der Gemeinde einen Bürgerentscheid mit mehr als 70 Prozent Zustimmung zum Konzept "Kirchheim 2030" inklusive Bürgersaal.

Kultur ist wichtig. Kultur kostet Geld. Kultur ist aber auch eine Imagesache. Die Frage ist: Braucht wirklich jede Gemeinde ihr eigenes Bürgerhaus? Braucht jede größere Kommune einen großen Veranstaltungssaal, der Hunderten Leuten Platz bietet? Oder gibt es im Landkreis nicht ohnehin ein Überangebot? "Wir haben hier schon eine unglaubliche Veranstaltungs- und Aktionsdichte", sagt Barbara Schulte-Rief, Kulturamtsleiterin in Unterföhring. Und Michael Blume, der Leiter des Taufkirchner Kultur- und Kongresszentrums betont, wie energisch man um Zuschauer werben müsse ob der direkten Konkurrenz im Münchner Südosten - von Unterhaching über Oberhaching bis Ottobrunn und Grünwald. Und er sagt auch ungeschminkt: "Damals hat halt jeder Dorffürst so ein Haus hingestellt."

Ende der Siebziger bis Mitte der Neunziger sind die meisten der heutigen Bürgerhäuser respektive Kulturzentren entstanden, das 1979 eröffnete Bürgerhaus Garching ist das älteste in der Region. Hintergrund war nicht zuletzt der Anspruch, Kultur für alle zu ermöglichen, am besten im Ort und mit Förderung der lokalen Kreativen. Kurze Wege, kleine Preise. Aber natürlich galt damals wie auch heute, dass sich die Lokalpolitik gerne mit einem kulturellen Leuchtturm schmückt - Prestigedenken spielt durchaus eine Rolle.

Dabei stellt sich dann auch die Frage, inwieweit so ein lokaler Tempel vornehmlich den überregional bekannten Künstlern Bühne ist oder doch mehr den örtlichen Dorftheatergruppen und Vereinen offensteht. Schulte-Rief, die mit dem 2010 eröffneten und rund 30 Millionen Euro teuren Bürgerhaus in Unterföhring die Leitung des modernsten und architektonisch fast schon monumentalen Kulturzentrums im Landkreis inne hat, war genau damit öfter konfrontiert: Wenn lokale Vereine oder Künstler sich nicht angemessen behandelt gefühlt hatten, kam schnell der Vorwurf auf, das Haus wie einen "Kulturpalast" zu führen und nicht wie ein Bürgerhaus. Schulte-Rief, die am Anfang auch Bedenken hatte, wie sie angesichts der nahen Konkurrenz - ob das Bürgerhaus in Garching oder das Riesenangebot in München - das Haus regelmäßig füllen könne, ist angesichts der Entwicklung inzwischen entspannt. Die Resonanz sei gut und "auch die Unterföhringer, die bis zu 60, 70 Prozent der Zuschauer ausmachen, haben das Haus gut angenommen".

Experimentelles findet sich nicht allzu oft auf dem Spielplan

Die Ottobrunner genießen schon länger ein kulturelles Zentrum mitten im Ort. Das Wolf-Ferrari-Haus, das nicht nur hochkarätige Veranstaltungen anbietet, sondern auch Bibliothek, Kegelbahn und ein Restaurant beherbergt, gibt es seit 1986. Bernd Seidel war lange Gesamtleiter und ist heute künstlerischer Leiter des Hauses. Der Theaterregisseur betrachtet mit Skepsis und Neugier die Entwicklung: "Es gibt Tendenzen, dass es die hochsubventionierte Kultur, wie sie in Deutschland einmalig ist, vielleicht bald nicht mehr so geben wird." Statt dessen mehr in den sozialen Bereich zu investieren, sei ja eine nachvollziehbare Forderung. Beim Kampf um das Publikum müsse man verstärkt auf Mainstream setzen. Dass jedes "kleine Kaff inzwischen ein Bürgerhaus haben will", finde er "sehr übertrieben". Und wenn dann überall flächendeckend die selben Kabarettisten engagiert würden, erfülle dies "auch keinen Kulturauftrag mehr".

In der Tat steht Experimentelles nicht allzu oft auf dem Spielplan, die Angebote etlicher Häuser ähneln sich. Man könnte also mit einem Programmtitel von Gerhard Polt fragen: "Braucht's des?!" Beim Blick auf die Zuschauerzahlen könnte man dagegen auch sagen: Passt schon! Die Resonanz an vielen Häusern ist konstant gut, viele Gemeinden leisten sich mit einer gewissen Selbstverständlichkeit ein großes Kulturprogramm - das Ganze ist freilich immer ein Zuschussgeschäft. Manche Kommunen haben ein spezielles, großes Veranstaltungszentrum. Manche, wie Unterschleißheim, gleich zwei, manche, wie Ismaning, haben mehrere, kleinere Säle, die kleine Gemeinde Grasbrunn hat - sapperlot! - drei Bürgerhäuser. Kleingemeinden wie Straßlach-Dingharting oder Baierbrunn sehen mitunter begehrlich rüber zu den kulturell attraktiven, potenten Nachbarn Grünwald und Pullach.

Eines ist klar: Ein Bürgerhaus bereichert einen Ort oft spürbar, zumal wenn es fürs Vereinslebens offen steht, andere Institutionen beherbergt oder als Ausstellungsort fungiert. Und mit Vermietungen für Firmen, Seminare oder Hochzeitsfeiern fließt auch Geld in die Kassen. In kleineren Kommunen ist ein Saal gerade auch für lokale Dorftheatergruppen oder Volksmusikanten wichtig und hat lokalen, identitätsstiftenden Charakter.

Die Frage bleibt freilich, ob jede halbwegs größere Gemeinde im Raum München einen großen Veranstaltungsort braucht, ein entsprechendes Kulturbudget, um dann ein Programm anzubieten, dass es ein paar Kilometer in ähnlicher Form auch gibt. Wahrscheinlich nicht. Aber es schadet auch nicht.

© SZ vom 02.06.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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