Ausstellung "Sinn-Bilder":Zwischen Charity und Kunst

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Die Stiftung Pfennigparade stellt in der Hypokunsthalle aus, darunter auch digitale Kunst von Kathrin Becker. (Foto: Catherina Hess)

Die Stiftung Pfennigparade setzt sich dafür ein, dass Menschen mit Behinderung ein selbstbestimmtes Leben führen. Dazu gehört auch: künstlerisch tätig sein. In der Hypo-Kunsthalle kann man sich die Werke ansehen.

Von Barbara Hordych

Stephanie Picker war auf der Fahrt zur Abiturfeier, setzte sich als Beifahrerin in ein Auto, dessen Fahrer vermutlich alkoholisiert war. Auf der Feier sollte sie nie ankommen, sie wachte im Unfallkrankenhaus Murnau wieder auf. Wann das genau war, kann sie heute nicht mehr sagen, "vielleicht vor zehn Jahren?". Dass sie die Frage nicht präzise beantworten kann, hängt mit dem Schädelhirntrauma und der Halbseitenlähmung zusammen, die sich die 42-Jährige bei dem Verkehrsunfall zuzog.

Doch auch wenn sie sich vielleicht schon morgen nicht mehr an die Besucherin erinnern kann, der sie heute in den Ateliers der Stiftung Pfennigparade in Milbertshofen ihre Bilder mit den oftmals provokativen Randbemerkungen wie "Ach wie gut, dass niemand weiß" zeigt, ist die Leidenschaft für die Malerei in ihr immer präsent. Seinerzeit hatte sie einen Kunst-Leistungskurs besucht, auch mit dem Gedanken gespielt, nach dem Abitur Kunst zu studieren. Heute malt sie Bilder von Figuren und Porträts, die sich durch Kühnheit in der Strichführung und Heftigkeit in Farbe und Ausdruck auszeichnen. Entstanden sind sie in der Ateliergemeinschaft "Groupe Smirage", zu der 26 körperbehinderte Künstler gehören, die täglich mit den unterschiedlichsten Mal- und Zeichentechniken in der Werkstatt der Pfennigparade zusammen arbeiten.

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Gleich neben ihr hat Elisabeth Müllner ihre Staffelei aufgestellt. Sie wuchs auf dem Land, in der oberbayerischen Gemeinde Egling auf. Bei der Geburt ihres Sohnes vor 17 Jahren erlitt sie eine Gehirnblutung. Zurückgeblieben sind eine Halbseitenlähmung und ein stark eingeschränktes Sprachvermögen. In ihrem früheren Leben arbeitete die 54-Jährige als Kürschnerin. Heute malt sie großformatige naturalistische Ölgemälde von Raubtieren auf dem Sprung, Tiger und Wölfe haben es ihr besonders angetan. "Ich bin eine Wolfsfrau", sagt sie freundlich lächelnd über sich und ihr inneres "Krafttier".

Bilder dieser beiden Künstlerinnen sind derzeit gemeinsam mit Werken von 25 weiteren Künstlern aus der Vereinigung "Groupe Smirage" sowie aus dem digitalen Kunstbereich "Mouse Art" bis 29. Mai in der Ausstellung "Sinn-Bilder" in der Hypo-Vereinsbank zu sehen. Der Titel ist bewusst vieldeutig gewählt: Einerseits weist er darauf hin, dass die Bilder Beruf und Lebenssinn für die jeweiligen Künstler darstellen. Andererseits stehen sie sinnbildlich für eine Geschichte, die in dem jeweiligen Bild zu ergründen ist. Und natürlich ist es darüber hinaus sinnvoll für die Betrachter, die Bilder anzuschauen und die Künstler dahinter kennenzulernen.

"Wir bewegen uns in einem Bereich, der irgendwo zwischen Charity und Kunst angesiedelt ist", sagt Thomas Heymel. Er ist Kommunikationsleiter der Stiftung Pfennigparade, die sich als eines der größten Rehabilitationszentren deutschlandweit seit über 60 Jahren mit den Schwerpunkten Bildung, Arbeit und Wohnen für ein selbstbestimmtes Leben für Menschen mit Körperbehinderung einsetzt. Dazu werden knapp 2000 Bildungs-, Reha-, Pflege- und Werkstattplätze genutzt.

Er erklärt, dass die Künstler der Ateliergemeinschaften Auftragsarbeiten wie etwa die Gestaltung von Weihnachtskarten oder Kunstkalendern übernähmen. In den vergangenen Jahren ist es Heymel gelungen, Unternehmen wie etwa die UniCredit, MunichRe, BMW Group, Telefónica, Payback, Hagebaumarkt und Bosch für eine Zusammenarbeit zu öffnen und "Nischen zu identifizieren". Es gehe darum, die körperbehinderten Menschen wertschätzend einzusetzen, sagt er. Denn sie hätten etwas zu bieten, das nichts mit Bedürftigkeit zu tun habe.

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(Foto: Catherina Hess)

"Wolfsfrau" Elisabeth Müllner posiert mit einem Tiger im Sprung.

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(Foto: Catherina Hess)

Müllner gehört ebenso wie Stephanie Picker (im Bild) ...

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(Foto: Catherina Hess)

... und Mike Köb der Ateliergemeinschaft "Groupe Smirage" an.

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(Foto: Catherina Hess)

Kathrin Becker arbeitet im digitalen Kunstbereich mit Computer und Photoshop.

Die Künstler coachen auch Führungskräfte

"Sehr gute Erfahrungen haben wir bei der Fortbildung von Führungskräften gemacht", sagt Heymel. Die arbeiteten im Modul "Malerei" mit den Künstlern zusammen, die im Anschluss ihre Beobachtungen mitteilten. "Der Vorteil unserer Künstler ist, dass sie ungeachtet jeder Konvention viel klarer in ihrem Feedback sind", sagt Heymel. Anders als gewöhnliche Coaches, die bei ihren Rückmeldungen immer auch an ihren Folgeauftrag denken würden, hätten sie nichts zu verlieren.

"Da gibt es Menschen wie Klaus Klein, der in seinem alten Leben Brunnenbaumeister war, beispielsweise das Fundament zum ,Walking Man' auf der Leopoldstraße gegossen hat", sagt Heymel. Nach einer Gehirnblutung hat er eine Halbseitenlähmung und ein stark eingeschränktes Sprachvermögen. Sein neues Leben führte ihn zur bildenden Kunst, in dem das Motiv Wasser ebenfalls eine zentrale Rolle spielt. "Darüber hinaus besitzt er ein hohes Maß an Sensibilität für zwischenmenschliche Kommunikation." Einem Personalchef habe er nach einem Modul ganz klar gesagt: "Merken Sie das nicht - Sie quatschen immer dazwischen."

Sinn-Bilder, Ausstellung bis 29. Mai, Hypo-Vereinsbank, Filiale Promenadeplatz/Maffeistraße

© SZ vom 16.05.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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