Immobilien:Was München für bezahlbare Wohnungen tut

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Auf dem Domagk-Gelände an der Gertrud-Grunow-Straße wird ein Haus hochgezogen. In anderen Stadtteilen ist für große Bauvorhaben kaum noch Platz. (Foto: Alessandra Schellnegger)

Nichts braucht die Stadt dringender. Oberbürgermeister Dieter Reiter hat ehrgeizige Pläne. Doch wie viele Wohnungen fehlen überhaupt?

Von Anna Hoben und Dominik Hutter

Wie ein großes Schiff liegt sie da, die Baustelle am Dantebad im Stadtteil Gern. Abgerundete Betonwände bilden Bug und Heck, oben auf dem Deck laufen Dutzende Matrosen alias Bauarbeiter umher. Liegt es am Schwimmbad daneben, dass man an maritime Bilder denkt? Nur die Geräuschkulisse ist anders als am Meer. Statt Möwen kreischen Kreissägen, von der anderen Seite tönt ein Hämmern. Hinter den Baumreihen, die auf beiden Seiten die Baustelle säumen, steigt die Sonne langsam höher.

Bisher hat man nur im Kran den Überblick über das, was hier entsteht: ein Stelzenbau, auf den früheren Parkplatz des Schwimmbades gesetzt, 86 Einzimmer- und 14 Zweieinhalbzimmerwohnungen auf vier Stockwerken. Das Projekt ist Teil des Sofortprogramms "Wohnen für alle", das zügig Wohnraum für Geringverdienende und anerkannte Asylbewerber schaffen soll.

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Der Oberbürgermeister will den Pflichtanteil an gefördertem Wohnraum bei Neubauten erhöhen - und stößt auf heftige Kritik bei den Unternehmern.

Von Dominik Hutter

Es ist eines von vielen Vorhaben, die zur Lösung einer der drängendsten Aufgaben in München beitragen soll. Die SZ fasst die wichtigsten Fragen und Antworten zum Wohnungsproblem zusammen.

Wie viele Wohnungen fehlen?

Das städtische Planungsreferat rechnet damit, dass mittelfristig pro Jahr etwa 8500 neue Wohnungen notwendig sind. Mitberücksichtigt sind dabei nach Auskunft der Behörde der Ausgleich für abgebrochene Wohnhäuser, der Geburten-Boom sowie der stetig steigende Platzbedarf pro Einwohner, der sich wegen der hohen Mieten zwar verlangsamt hat, aber immer noch deutlich spürbar ist.

Die Rechnung geht allerdings davon aus, dass in jeder Wohnung statistisch rund 2,5 Personen leben - je nachdem, wie stark der Zuzug pro Jahr ausfällt. Das ist deutlich mehr als in der von Ein-Personen-Haushalten geprägten Stadt München derzeit üblich ist (statistisch nur rund 1,95 Personen pro Wohnung).

So gerechnet, müssten pro Jahr rund 10 000 bis 13 000 neue Wohnungen entstehen. Das Planungsreferat erklärt diese Differenz damit, dass es bei den Neubauten vor allem um großstädtischen Geschosswohnungsbau geht. Im Bestand seien auch Häuschen mit nur einem Bewohner abgebildet, diese Wohnform sei ja nicht Ziel der Förderprogramme. Rechnet man das auf Geringverdiener, Wohnungslose und Flüchtlinge zugeschnittene Programm "Wohnen für alle" mit ein, steigt die Zielzahl der jährlich fertiggestellten Wohnungen zumindest bis 2019 auf etwa 10 000 pro Jahr.

Wie viele werden tatsächlich gebaut?

Bis vergangenes Jahr lag die Zielzahl bei 7000 Neubauwohnungen pro Jahr und wurde laut Planungsreferat seit 2012 eingehalten - gerechnet im Durchschnitt mehrerer Jahre, der Zuwachs erfolgt stets unregelmäßig. Laut Michael Mattar (FDP), dem Vorsitzenden der gemeinsamen Stadtratsfraktion von FDP, Piraten und Wählergruppe Hut, ist dieses Resümee jedoch schöngerechnet, da die Abbrüche ausgeklammert seien. Netto seien im vergangenen Jahr nur etwa 5000 Wohnungen dazugekommen.

Auf der Baustelle auf dem ehemaligen Parkplatz des Dantebades geht es flott voran. Auf vier Stockwerken sollen hier 100 Wohnungen entstehen. (Foto: Catherina Hess)

Die städtischen Gesellschaften Gewofag und GWG leisten einen erheblichen Beitrag. Allein die Gewofag will in diesem Jahr insgesamt 659 Wohnungen fertigstellen, darunter die 100 am Dantebad. Bei der GWG steht bis zum Jahreswechsel die Übergabe von 270 Wohnungen an. Wie viel münchenweit gebaut wird, hängt aber auch vom Engagement privater Investoren ab.

Was tut die Stadt?

Damit Gewofag und GWG mehr bauen können, schießt das Rathaus Millionensummen zu. Aktuell läuft ein Sonderprogramm, um die Zahl der jährlich fertiggestellten Kommunalwohnungen schrittweise auf 1250 zu erhöhen. Dafür überweist die Stadt in zehn Jahren insgesamt 250 Millionen Euro, dazu kommt noch eine jährliche Bareinlage von 15 Millionen. Prinzipiell fördert die Stadt nur den Bau bezahlbarer Wohnungen. Der freie Markt, so sagt es Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD), komme auch alleine klar.

Das Programm "Wohnen in München VI", das im Herbst in den Stadtrat kommt, umfasst Fördergeld von deutlich mehr als einer Milliarde Euro. Dafür werden soziale Gegenleistungen verlangt. So will die Stadt zu vergleichsweise günstigen Preisen Grundstücke an Investoren abgeben, wenn diese sich im Gegenzug verpflichten, einen festen Prozentsatz an geförderten und somit für die Mieter bezahlbaren Wohnungen zu errichten (konzeptioneller Mietwohnungsbau).

Bei privaten Grundstücken, auf denen bislang kein Baurecht besteht, verlangt die Stadt einen Zwei-Drittel-Anteil vom Planungsgewinn für Straßen, Wege, Schulen und Kindertagesstätten. Zudem muss 30 Prozent des Neubaus für den sozialen Wohnungsbau reserviert sein (sozialgerechte Bodennutzung). Das Programm "Wohnen für alle" läuft bis 2019 und soll 3000 geförderte Wohnungen umfassen.

Welche Mittel hat die Stadt, bestehende Mieten zu begrenzen?

Die Mieten bei den städtischen Wohnungsunternehmen liegen deutlich unter dem Mietspiegel. Für gesetzliche Obergrenzen bei den Mieten, die sogenannte Kappungsgrenze etwa oder die Mietpreisbremse, ist der Bund zuständig. Die Stadt kann aber in Erhaltungssatzungsgebieten die Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen sowie Luxussanierungen verhindern. Zudem verfügt sie über ein Vorkaufsrecht, wenn ein Haus versilbert werden soll. Aktuell gibt es in München 20 Erhaltungssatzungsgebiete. Darin leben 239 000 Münchner in 136 000 Wohnungen.

Reichen die Bemühungen aus?

Keineswegs, findet FDP-Mann Mattar. Zwar sei eine aktive Rolle der Stadt in der Wohnungspolitik sinnvoll, das Geld werde aber nicht effizient eingesetzt. In München würden hoch subventionierte Wohnungen errichtet, ohne zu kontrollieren, ob die Bewohner nach einigen Jahren überhaupt noch berechtigt sind, diese Vorteile in Anspruch zu nehmen. Zudem werde zu teuer gebaut, die Standards bei Neubauten seien zu hoch. Mattar appelliert dafür, nicht den Wohnungsbau, sondern vielmehr bedürftige Menschen finanziell zu unterstützen.

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Die Stadt konzentriert sich dabei vor allem auf Neubauten mit möglichst niedrigem Mietniveau.

Von Dominik Hutter

Dies könne über ein kommunales Wohngeld viel gezielter erfolgen. Auch Grünen-Fraktionschefin Gülseren Demirel fordert Nachbesserungen, einen höheren Anteil an geförderten Wohnungen etwa. Um die Platzreserven gut auszunutzen, sollen künftig auch große Parkplätze überbaut werden - nicht auf Stelzen, sondern ersatzlos. SPD-Fraktionschef Alexander Reissl räumt ein, dass München eigentlich mehr Neubauwohnungen bräuchte als aktuell geplant. Allerdings seien die Möglichkeiten der Stadt begrenzt. "Wir lassen uns ja schon alles Mögliche einfallen." Reissl wundert sich, dass private Bauträger die Möglichkeiten zur Nachverdichtung nur sehr sparsam nutzen.

Wie viele Wohnungen können in München noch gebaut werden?

Stadtbaurätin Elisabeth Merk geht davon aus, dass im Stadtgebiet noch 62 500 Wohnungen entstehen können. Diese Zahl ist allerdings keine Obergrenze, sondern bildet das ab, was in den nächsten 20 Jahren planerisch realistisch erscheint. Theoretisch können noch weitere Flächen als Baugrund ausgewiesen werden. Allerdings ist das Stadtgebiet endlich, München füllt bereits weite Teile davon aus. Große Flächen stehen vor allem noch in Freiham und im Nordosten zur Verfügung. Oberbürgermeister Dieter Reiter setzt wegen der Flächenknappheit auf eine intensivere Zusammenarbeit mit dem Umland.

Stehen immer noch so viele städtische Wohnungen leer?

Die Zahl der städtischen Wohnungen, die länger als sechs Monate leer stehen, hat sich stark verringert, seit die Politik sich das Thema vorgeknöpft hat. Derzeit sollen noch etwa 150 Wohnungen in diese Kategorie fallen. Das geht zumindest aus einem Stadtratsbeschluss vom April hervor. Ob diese Zielzahl tatsächlich erreicht worden ist, wird sich allerdings erst Ende des Jahres genau sagen lassen. Im laufenden Jahr würden die Zahlen nicht erhoben, so ein Sprecher des Planungsreferats.

Fakt ist: Ende 2015 gab es 284 Wohnungen, die über längere Zeit leer standen. Noch vor zwei Jahren ließen die städtischen Wohnungsbaugesellschaften sogar 576 Wohnungen länger als ein halbes Jahr unbewohnt. Vor drei Jahren waren es 647. Die im Jahr 2013 begonnene Debatte über leer stehenden Wohnraum in München hat also bisher einiges bewirkt. Viel weiter als auf 150 wird die Zahl jedoch wohl nicht mehr zu drücken sein, weil immer wieder Sanierungen oder Modernisierungen anstehen, die nicht in sechs Monaten zu schaffen sind.

© SZ vom 10.09.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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