Hilfsaktion:Wie Münchner Schüler per Daumenabdruck syrischen Kindern helfen

Lesezeit: 3 min

Die achtjährige Marla (links) und die neunjährige Lilith helfen mit ihrem Daumenabdruck, dass im Libanon Zeltschulen entstehen. (Foto: Alessandra Schellnegger)
  • Ein Münchner Verein sammelt Spenden, um im libanesischen Grenzgebiet Schulen in Zelten einzurichten.
  • Hunderttausende Flüchtlinge leben dort in riesigen Lagern.
  • Mittlerweile sind bereits elf Schulen entstanden, die zwölfte soll in den Pfingstferien eröffnet werden.

Von Melanie Staudinger

Der erste Ansturm kommt schon um Viertel nach acht in der Früh. Obwohl Jacqueline Flory und ihre Helfer zu diesem Zeitpunkt schon seit mehreren Stunden auf der Theresienwiese beschäftigt sind, ist noch gar nicht alles vorbereitet. Doch als Mutter von zwei Kindern ist sie das Improvisieren gewohnt: Schnell stellt sie noch einen Tisch mehr auf, verteilt statt einem Unterschriftenheft drei und lässt die gut 300 Schüler, die bestens gelaunt im Wind warten, sich in drei Reihen anstellen.

Die Kinder aus Grund- und Mittelschulen, aus Kindergärten, Realschulen und Gymnasien sind zur Theresienwiese gepilgert, um mit ihren Daumenabdrücken Geld zu sammeln. Sie wollen syrischen Kindern ein besseres Leben ermöglichen, zeigen, dass jedes einzelne Kind etwas verändern kann. An diesem Tag ist jeder ihrer Abdrücke fünf Euro wert.

Integrationskurse
:Viele Lehrer für immer weniger Flüchtlinge

Die Zahl der Geflüchteten in München hat sich seit 2015 fast halbiert. Darum muss inzwischen mancher Deutschkurs verschoben werden - die Teilnehmerzahl reicht nicht aus.

Von Nadja Tausche

Vor zwei Jahren hat Flory den Verein "Zeltschule" gegründet. Die Übersetzerin spricht arabisch und hat viele Freunde im Nahen Osten, wie sie berichtet. Besonders die katastrophale Situation der syrischen Flüchtlinge im Libanon habe sie erschreckt. In der Stadt Bar Elias zum Beispiel, die vor dem Syrien-Krieg 50 000 Einwohner zählte und mittlerweile mehr als 250 000 Flüchtlinge in Lagern beherbergt. "Ich wollte etwas unternehmen", sagt sie.

Flory sprach mit den anderen Eltern im Elternbeirat der Tumblingerschule. "Da kamen wir auf die Idee, in den Flüchtlingslagern Zeltschulen zu bauen und den Kindern so Zugang zur Bildung zu ermöglichen", sagt Flory. Im August 2016 entstand die erste Schule, bis heute sind weitere sieben im Flüchtlingslager sowie drei Kellerschulen im zerstörten Homs für zurückgekehrte Flüchtlinge dazugekommen. In den Pfingstferien will Flory wieder in den Libanon reisen und die zwölfte Schule eröffnen.

In den Schulen unterrichten syrische Lehrer nach dem syrischen Stundenplan. "Damit die Kinder nahtlos wieder in den Unterricht einsteigen können, wenn sie nach Hause zurück können", sagt Flory. Offiziell bezahlt werden dürfen die Lehrer nicht, für erwachsene Syrer herrscht im Libanon Arbeitsverbot. "Wir geben ihnen 100 Dollar im Monat, die wir offiziell als Geschenk, nicht als Gehalt deklarieren", erklärt die Münchnerin. Die Familien der Kinder erhalten zudem Lebensmittel, Wasser und im Winter Holz zum Heizen. Damit will der Verein Zeltschule verhindern, dass die Väter illegalen Arbeiten nachgehen müssen oder gar die Kinder in gefährliche Jobs gedrängt werden.

Von dem Projekt sollen aber auch die Münchner Schüler profitieren. "Selbst junge Kinder haben schon eine sehr genaue Vorstellung davon, was Krieg bedeutet", sagt Flory, die ihre beiden sieben- und neunjährigen Kinder stets mit in den Libanon nimmt. Die Aktion soll dazu beitragen, zu zeigen, dass man den politischen Gegebenheiten nicht machtlos ausgeliefert ist.

Eine Zeltschule kostet meist zwischen 5000 und 6000 Euro

Auf der Theresienwiese verewigen sich die Kinder mit ihrem Fingerabdruck in einem Buch und gestalten alle zusammen ein großes Banner, das dann in der neuen Schule aufgehängt wird. Die Schüler der Klenzeschule haben Taschen bemalt, die die neuen Schüler im Libanon bekommen sollen. Flory wird davon Fotos machen und sie den Münchner Kindern zeigen. "Für sie ist es toll zu erfahren, dass sie das Leben von syrischen Kindern nachhaltig verändert haben."

So viel Engagement ist auch der Stadt nicht verborgen geblieben. Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) hat die Schirmherrschaft für die Aktion übernommen und Stadträtin Gabriele Neff (FDP) als seine Vertreterin auf die Theresienwiese geschickt. "Wir als Stadt können froh sein, dass es solche Initiativen bei uns gibt", sagt sie. Ehrenamtliches Engagement werde immer wichtiger in der Stadtgesellschaft. Umso besser sei es, wenn die Begeisterung für freiwillige Tätigkeiten bei Kindern früh geweckt werde.

2299 Unterschriften kommen an diesem Tag zusammen, von Kindern aus der Tumblingerschule, der Grundschule an der Schwanthalerstraße und jener am Gotzinger Platz. Der Zeltehersteller Tool Port spendet für jeden Fingerabdruck fünf Euro. Das reicht für den Bau einer Zeltschule, die meist zwischen 5000 und 6000 Euro kostet. Die dauerhafte Versorgung der Familien mit dem Nötigsten allerdings schlägt mit bis zu 45 000 Euro im Jahr zu Buche. Bisher finanziert der Verein das fast ausschließlich mit Spenden.

Nun suchen Flory und ihre Mitstreiter nach Unternehmen oder Stiftungen, die die Patenschaft für die laufenden Kosten einer Zeltschule übernehmen. Das würde finanzielle Sicherheit bringen. An vier Schulen ist das bereits geglückt, bei den anderen acht läuft die Akquise noch. Indes schließen sich immer mehr Schulen dem Projekt an. 20 Einrichtungen bayernweit sind fleißig am Sammeln - damit möglichst viele syrische Flüchtlingskinder die Chance auf eine Zukunft bekommen.

© SZ vom 07.05.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Flüchtlinge in München
:Oberlandesgericht bestätigt Freispruch im "Freisinger Kirchenasyl"

Ein Flüchtling aus Nigeria hatte 2016 in Freising Unterschlupf bekommen. Der Mann habe sich nicht des illegalen Aufenthalts strafbar gemacht, hat jetzt das Gericht in München entschieden.

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: