Dienst am Menschen:Reicher Landkreis, prekäre Jobs

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Eine zunehmende Armut in der Gesellschaft - auch in der Mittelschicht - beobachtet Beate Drobniak, Leiterin der Diakonie Freising.

Interview von Gudrun Regelein, Freising

"Diakonie" kommt aus dem Altgriechischen und bedeutet Dienst am Menschen. In Freising ist die Diakonie in den vergangenen acht Jahren stark gewachsen: 2010, als Beate Drobniak begann, bei der Kirchlichen Allgemeinen Sozialarbeit zu arbeiten, gab es zwei weitere Halbtagsstellen. Heute sind dort 25 Mitarbeiter tätig. Zu einem Dienstleistungsunternehmen aber sei die Diakonie nicht geworden, sagt die fachliche Leiterin im Gespräch mit der SZ Freising. "Gott sei Dank. Wir haben einen anderen Auftrag: Wir setzen uns für den einzelnen Menschen ein."

SZ: Frau Drobniak, was haben Sie sich gedacht, als Sie die Äußerung des neuen Gesundheitsministers Jens Spahn, Hartz IV bedeute nicht automatisch Armut, gehört haben?

Beate Drobniak: Ich würde ihm wünschen, einmal in einer solchen Situation zu sein und zu erleben, wie einem alles zwischen den Fingern zerrinnt. Als Hartz-IV-Empfänger, alleinerziehend mit zwei Kindern, zwei kleinen Hilfsjobs und unterschiedlicher monatlicher Abrechnung.

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Von Gudrun Regelein

Jedes fünfte Kind in Deutschland lebt in Armut. Wie ist die Situation bei uns, in einem eigentlich wohlhabenden Landkreis im Speckgürtel Münchens?

Wir leben zwar in einem relativ reichen Landkreis und haben den Flughafen, der vielen Menschen Arbeitsplätze bietet. Aber leider vielen in prekären Jobs oder mit Zeitarbeitsverträgen. Vor allem in Familien sind die Eltern häufig im Niedriglohnsektor beschäftigt. Armut ist ganz sicher auch bei uns ein großes Thema - ohne, dass es gleich sichtbar ist. Und gerade Kinder leiden sehr darunter.

Armut verändert die Gesellschaft: Wie macht sich das bei Ihnen bemerkbar?

Bei uns ist das vor allem in der Kirchlichen Allgemeinen Sozialarbeit und der Fachstelle zur Verhinderung von Obdachlosigkeit spürbar. Wir beobachten, dass Menschen, deren Existenz bedroht ist, drohen, zu vereinsamen. Sie gehen nicht mehr raus, ziehen sich zurück. Sie nehmen nicht mehr am gesellschaftlichen Leben teil. Deshalb begrüße ich auch sehr Initiativen, wie den Verein Kultur-gut, der gespendete Karten für kulturelle Veranstaltungen an bedürftige Menschen verteilt. Aber auch das ist - wie so oft - eine Eigeninitiative engagierter Bürger.

Das hört sich jetzt ein wenig vorwurfsvoll an. Wollen Sie damit sagen, dass die Politik immer mehr Aufgaben, die originär eigentlich ihre wären, auf Ehrenamtliche - oder eben Wohlfahrtsverbände - abschiebt?

Ich würde es so formulieren: Aufgaben, die ein Sozialstaat eigentlich erfüllen müsste, werden nicht wahrgenommen. Beispielsweise die Sicherung der Lebensbedingungen der Menschen. Schauen Sie auf die Tafeln, die sind heute nicht mehr wegzudenken. Auch in Freising müssen sie immer mehr Menschen nutzen. Sogar das Jobcenter verweist auf die Tafel.

Und Ihre Aufgaben? Werden auch diese immer mehr und immer komplexer?

Die Zahl unserer Klienten wächst kontinuierlich. Früher kamen die Menschen meistens mit einem Problem zu uns - inzwischen ist es ein ganzes Bündel: Arbeitslosigkeit, drohender Wohnungsverlust, Armut, zunehmend auch Altersarmut. Die ganze Existenz ist auf einmal in Frage gestellt. Menschen jeden Alters sind betroffen: Kinder, Familien, Alleinerziehende und Rentner. Auffällig ist, dass das Armutsthema inzwischen die Mittelschicht erreicht hat.

Sie bieten unter anderem seit vielen Jahren eine Asylsozialberatung. Denken Sie, dass die Integration gelingen kann?

Die Flüchtlingswelle ist zwar abgeebbt, aber die Asylthematik wird immer umfangreicher. Seit diesem Jahr gibt es die BIR, die Beratungs- und Integrationsrichtlinie. Die ist zwar im Ansatz gut, in der Ausführung aber miserabel. Weniger Berater sollen neben der Asylberatung nun noch eine Migrationsberatung leisten. Somit spart man schon mal Migrationsberater. Das kann man eigentlich nicht mehr stemmen. So zumindest kann die Integration nicht gelingen. Wenn wir die Integration wollen, müssen wir investieren: In Sprachkurse, Arbeitsplätze, schulische Ausbildung.

"TAFF": so heißt ein neues Projekt der Diakonie für Flüchtlinge. Was genau ist das?

Das ist ein therapeutisches Angebot für Flüchtlinge. Ziel ist es, die psychotherapeutische Versorgung von traumatisierten und psychisch erkrankten Flüchtlingen auszubauen und dauerhaft anzubieten. Bislang werden diese in unserem Versorgungssystem nur zu einem Bruchteil aufgenommen. Unter anderem geht es darum, ein Netz von Therapeuten aufzubauen, die bereit sind, mit Flüchtlingen zu arbeiten. Unterstützt wird unsere Initiative übrigens durch eine Stiftung.

Ihre Themen sind oft bedrückend, Ihre Klienten verzweifelt. Wie schaffen Sie es, sich abzugrenzen?

Das Wort "abgrenzen" mag ich nicht so gerne. Es bedeutet, eine Grenze zu ziehen. Mir geht es aber um Begegnungen. Ich fühle mit, aber ich mache das Problem des Anderen nicht zu meinem. Manche Themen sind hart, das stimmt, oft ist es die Vielfalt, die bedrückend ist. Aber ich liebe diese Arbeit, ich bin sehr damit verbunden. Was mir Entspannung bringt, ist, auf die Isar zu schauen. Die nimmt die schweren Themen alle mit. Ich bin oft dort und gebe etwas ab.

© SZ vom 09.04.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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