Gaffer bei Unglücken:"Wir sehen auf Facebook schon Bilder vom Unfallort, da sind wir noch gar nicht da"

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Proben für den Ernstfall: Ehrenamtliche der Freiwilligen Feuerwehr Ebersberg und Rettungskräfte bei einer Übung mit einem Schulbus auf der Staatsstraße 2080. (Foto: Christian Endt, Fotografie & Lic)
  • Seit dem schweren Busunfall, bei dem auf der A 9 zahlreiche Menschen starben, wird über die zunehmende Behinderung durch Gaffer diskutiert.
  • Die Schaulustigen handeln unverantwortlich, weil sie den Weg der Helfer blockieren, keine Rettungsgasse bilden - und es nicht selten zu Folgeunfällen kommt.
  • Auch Polizei und Feuerwehren im Münchner Umland werden bei Unglücken oft von Gaffern behindert. Sie haben keine richtige Handhabe gegen die Neugierigen.

Von Korbinian Eisenberger

Feuerwehrmann Gerhard Bullinger weiß, wie es sich anfühlt, wenn man vor einem Bus steht und nur noch hoffen kann, dass keiner mehr drinsitzt. Es war Anfang 2011, eine Schulklasse war auf dem Weg in ein Hallenbad nach Bad Tölz. Der Bus mit Lehrern und Kindern fuhr auf der A 94, als es auf Höhe von Parsdorf im Motorraum zu brennen anfing. "Autofahrer haben es dem Busfahrer signalisiert", sagt Bullinger, damals Kreisbrandrat. Als er mit seinen Kollegen von der Feuerwehr ankam, da war vom Bus nur noch verkohltes Gestänge übrig.

Seit Montag kennt fast jeder diesen Anblick. Seitdem auf der A 9 in Oberfranken 18 Menschen in einem Bus verbrannt sind, diskutiert ganz Deutschland über unverantwortliche Schaulustige, die den Weg der Helfer blockierten, weil sie keine Rettungsgasse bildeten. Dass Gaffer und unvorsichtige Autofahrer ein echtes Problem sind, das haben viele Betroffene aber schon vorher erlebt: Man muss sich die Geschichten der Feuerwehrmänner, Polizisten und Retter nur einmal anhören - einige Beispiele aus dem Landkreis Ebersberg.

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Auffällig: Einsatzkräfte, die schon länger dabei sind, sehen einen Trend. "Vor zehn Jahren hätte das noch niemand gemacht, da war es bei weitem nicht so schlimm", sagt Bullinger, der 25 Jahre lang Kreisbrandrat in Ebersberg war. "Bei Unfällen bremsen die Leute auf der Gegenfahrbahn runter und fotografieren mit dem Smartphone rüber", sagt auch Richard Kutscherauer. Er leitet die Autobahnpolizei Hohenbrunn und ist damit für die A 94 zuständig, die zwischen Forstinning und Parsdorf knapp 20 Kilometer durch den Landkreis Ebersberg führt.

Der Trend geht zum Gaffen, und damit andere mitgaffen können, wird das Handy gezückt. "Wir sehen auf Facebook schon Bilder vom Unfallort, da sind wir noch gar nicht da", klagt Bullingers Nachfolger Andreas Heiß, seit 2014 Ebersbergs Kreisbrandrat. Heiß erinnert sich an einen jüngeren Fall zwischen Oberpframmern und Putzbrunn, wo die Feuerwehr das Gelände abgesperrt und die Sicht verdeckt hatte. "Es gab einen Schwerverletzten und einen Toten", so Heiß. Dennoch stapfte jemand mit Kamera durch den Wald und machte von da Fotos. Die Feuerwehr kann dann zwar einen Platzverweis aussprechen, "wir dürfen aber niemandem den Fotoapparat abnehmen oder vom Unfallort entfernen", so Heiß. Das darf nur die Polizei.

Darin liegt eine Ursache, so sieht es zumindest der Ebersberger Feuerwehrkommandant Ulrich Proske: Für ihn ist eindeutig, dass es zu wenige Polizisten für zu viele Unfälle gibt. "In 95 Prozent der Fälle müssen wir uns um die Sicherung und Absperrung der Unfallstelle kümmern", sagt er. Eigentlich wäre dies Aufgabe der Polizei. Nicht ehrenamtliche Feuerwehrler, sondern Beamte des Freistaats wären hier zuständig. Gleich nach dem tödlichen Unfall in Oberfranken hatte Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) härtere Strafen für Schaulustige und "verstärkte Polizeikontrollen" angekündigt.

Oft passieren Folgeunfälle durch Gaffer

Ein Schritt, der für manche im Einsatz längst überfällig ist. Autobahnpolizeichef Richard Kutscherauer erinnert sich an einen Unfall auf der A 94 bei Parsdorf. "Als wir ankamen, lag ein Autotransporter quer über der Fahrbahn", so Kutscherauer. Der Transporter war auf dem Weg nach München ins Schlingern geraten, umgekippt und hatte dabei mehrere Autos verloren. Die Strecke wurde vollgesperrt, schweres Gerät musste her. Doch es war wie so oft, sagt Kutscherauer. "Man kommt kaum durch, und auf der Gegenfahrbahn bremsen die Gaffer auf 20 Stundenkilometer runter." Die einen verursachen Folgeunfälle, und die anderen versperren den Rettern den Weg.

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"Viele wissen gar nicht, wie sie sich bei einem Unfall korrekt verhalten müssen", vermutet Feuerwehrmann Bullinger. Dass bei Stau eine Rettungsgasse gebildet werden müsse, eine Reihe links, zwei Reihen rechts, sei vielen nicht bekannt. In seiner Zeit als Kreisbrandrat kämpfte der mittlerweile 66-Jährige für mehr Aufklärung. Erreicht hat er, dass auf der A 94 zwischen Anzing und München drei Rettungsgassen-Hinweise aufgehängt wurden. "Ich hätte gerne blaue Schilder gehabt, weil das ernsthafter aussieht", so Bullinger. Anders als in Österreich seien hier für Rettungsgassen keine offiziellen Verkehrszeichen vorgesehen. Und so wurden die Schilder gelb.

Ein weiteres Problem ist der fehlende Respekt. "Die Leute werden unverschämter", sagt Ebersbergs Kommandant Proske, seit 30 Jahren bei der Feuerwehr. Seine Leute sind vor allem auf dem Land im Einsatz, sperren Straßen ab und kommen in direkten Kontakt mit Autofahrern. "Wir dürfen uns Schimpfwörter von A bis Z anhören", so Proske. Ein Phänomen, das auch Tobias Vorburg kennt, er arbeitet als Rettungsassistent für die Aicher Ambulanz mit Einsätzen in Ebersberg, Erding und München. Für den Markt Schwabener ist es nicht mehr so ungewöhnlich, wenn er unter den Augen von Gaffern Verletzte versorgt. Mittlerweile wird er aber auch öfter mal aufgehalten "In München hat sich eine Frau bei mir beschwert, weil ihr die Sirene zu laut war", sagt Vorburg, da war er auf dem Weg zu einem verletzten Kind.

Vorburg kam noch rechtzeitig, wie Bullinger damals vor sechs Jahren. Als er eintraf, war der Bus zwar ausgebrannt. Kinder, Lehrer und Fahrer hatten es aber noch rechtzeitig rausgeschafft.

© SZ vom 05.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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