Denkmalschutz:Wenn der Charakter Obergiesings auf dem Spiel steht

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Ein Blick in die Kiesstraße zeigt noch das charakteristische Aussehen der ursprünglichen Siedlungsstruktur. (Foto: Stephan Rumpf)
  • In der Feldmüllersiedlung fanden im 19. Jahrhundert viele Arbeiter ein Zuhause. Sie prägten den Charakter Obergiesings.
  • Mit den Wohnhäusern und auch mit den Mietskasernen in anderen Quartieren erwarb es sich den Ruf eines Arbeiterviertels.
  • Inzwischen aber hat auch die Gentrifizierung vor Giesing nicht Halt gemacht, die sanierten Herbergshäuser laufen Gefahr zur puren Dekoration zu werden.

Von Günther Knoll, München

Solche Häuschen kennt man zum Beispiel aus der Fuggerei in Augsburg: schmal, geduckt, eingeschossig, so niedrig, dass man die Dachrinne fast auf Augenhöhe hat. Und doch waren sie der ganze Stolz ihrer damaligen Besitzer, einfache Handwerker und Tagelöhner, die sich damit den Traum vom eigenen Heim erfüllten. Das war für ihre Entstehungszeit zwischen 1840 und 1845 etwas Ungewöhnliches, Besonderes.

Therese Feldmüller, verheiratete Tochter eines Wirts aus Schliersee, hatte im damals ländlichen Dorf Giesing ein Anwesen erworben, dessen Grundstücke sie nach und nach an einfache Leute verkaufte, die darauf ihre Häuschen mit kleinen Gärten bauten. So entstand in Obergiesing zwischen der Tegernseer Landstraße, der Gietlstraße, die früher Gottesackerweg hieß, dem Pfarrhof an der Ichostraße und der Heilig-Kreuz-Kirche die nach der Grundstücksbesitzerin benannte Feldmüllersiedlung.

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Für die Besitzer der Häuschen bedeutete das im 19. Jahrhundert einen enormen sozialen Aufstieg, für Giesing, für München, ja für das Königreich Bayern etwas damals Einmaliges. Eine in Parzellen gegliederte und geordnete Arbeitersiedlung, die ihr Entstehen auch der planerischen Fürsorge der damaligen Regierung Ludwig I. verdankte, wo diese Bevölkerungsschicht doch sonst in Behausungen leben musste, in denen Enge, Düsternis, schlechte Luft und entsprechende hygienische Verhältnisse herrschten.

Und als mit der gründerzeitlichen Stadterweiterung Münchens das Baugewerbe einen Aufschwung erlebte, konnten auch viele Kleinhäusler ihre Gebäude aufstocken, so dass in einigen Teilen der Feldmüller-Siedlung zweigeschossige Vorstadthäuser entstanden. München wuchs, und mit der Hauptstadt ganz besonders auch Giesing, das bereits im Jahr 1854 eingemeindet wurde: Zählte man 1850 noch rund 3500 Einwohner, so waren es fünfzig Jahre später, 1900, bereits 25 000.

Im Zweiten Weltkrieg wurden viele Wohnhäuser zerstört. Mit Beginn der Nachkriegszeit setzte durch den Wiederaufbau dieser Gebäude und die Erschließung von Baulandreserven eine rege Neubautätigkeit ein, rund drei Viertel des Wohnungsbestands wurden nach 1948 erbaut. Da erst erkannte man den historischen Wert und die Einmaligkeit der Feldmüller-Siedlung, die nach und nach zu verfallen und durch unkoordinierte Bauten ersetzt zu werden drohte. Doch was tun mit den vielen vollkommen veralteten und kleinen Wohnungen in den Häuschen? 1984 beschloss der Stadtrat eine Sanierungssatzung für das Gebiet, um es als denkmalgeschütztes Ensemble zu erhalten.

Die Münchner Gesellschaft für Stadterneuerung (MGS), eine städtische Tochter, erwarb viele Häuser in der Siedlung und verkaufte sie im Rahmen des sogenannten Herbergenprogramms - früher wurden solche Wohnungen Herbergen genannt - vorzugsweise an einheimische Handwerker, die mit Hilfe von Fördermitteln die Gebäude sanierten und mit ihren Familien bewohnten.

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(Foto: Stephan Rumpf)

Ein typisches eingeschossiges Wohnhaus aus der Ursprungszeit der Siedlung ist das Gebäude Obere Grasstraße 21.

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Raum für Eltern-Kind-Initiativen und andere Gruppen aus dem Viertel bietet das sanierte Kleinhaus in der Unteren Grasstraße 34.

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(Foto: Stephan Rumpf)

Ein Blick in die Kiesstraße zeigt noch das charakteristische Aussehen der ursprünglichen Siedlungsstruktur.

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(Foto: Stephan Rumpf)

Als zweigeschossiges Vorstadthaus wird dieses Haus an der Kiesstraße 4 in der Denkmalliste aufgeführt.

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(Foto: Stephan Rumpf)

Mehrmals aufgestockt und umgebaut wurde das Haus in der Kiesstraße 6. Der erste Besitzer war ein Holzhändler.

So wurden die für die Siedlung ursprünglich typischen Eigentumsverhältnisse gestärkt und ihre historischen Strukturen bewahrt. Dazu entstanden Kindertagesstätten sowie Frei- und Erholungsflächen. Die Wasserversorgung wurde erneuert, eine Tiefgarage gebaut.

Mit den Wohnhäusern und auch mit den Mietskasernen in anderen Quartieren erwarb sich Giesing den Ruf eines Arbeiterviertels, in dem sogar manche Häuser jahrzehntelang unbewohnt blieben und Zug um Zug verfielen. Wo Luxussanierung lang ein Fremdwort war, blieben die Mieten und Pachten verhältnismäßig günstig. Inzwischen aber hat auch die Gentrifizierung vor Giesing nicht Halt gemacht, die sanierten Herbergshäuser laufen Gefahr zur puren Dekoration zu werden. Die Bewohner aber haben ihren Wert erkannt. Das zeigen ihre Reaktionen auf den illegalen Abriss des sogenannten Uhrmacherhäusls an der Oberen Grasstraße.

© SZ vom 06.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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