Bestattung:Muslime wehren sich gegen die Sargpflicht in Bayern

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Salih Güler, Imam und Leiter des Bestattungsunternehmens Hakim-I Guraba, vor einem islamischen Grabfeld auf dem Südfriedhof. (Foto: Florian Peljak)

Denn sie macht eine Bestattung nach islamischem Recht unmöglich. Doch alle Versuche, die Sargpflicht abzuschaffen, waren bislang vergeblich.

Von Eva Casper

Mehr als 2000 Kilometer hat Familie Mohammad die Großmutter im Rollstuhl geschoben. Und wenn der Boden kein Schieben erlaubte, dann haben sie die alte Dame getragen. Von Griechenland bis nach München. Laufen konnte Sophie Shannan auch daheim in Syrien schon nicht mehr richtig. Über 90 sei sie gewesen, sagt Vater Khaled.

Dass sie die Flucht überhaupt geschafft hat, war ein kleines Wunder. Jetzt stehen Khaled, seine Frau und ihre beiden Kinder auf dem Neuen Südfriedhof und schaufeln Erde in das frische Grab von Sophie Shannan. Zuvor hatten sie die Großmutter noch ein letztes Mal getragen. In einem schlichten Holzsarg, umhüllt von einem grünen Tuch. Seit kurzem ist die Familie in München. Die Großmutter starb nach zwei Tagen an einer Lungenentzündung.

Sargpflicht verhindert Bestattungen nach islamischem Recht

Familie Mohammad hätte die Großmutter auch ausfliegen und in ihrer Heimat bestatten lassen können. So, wie es laut der islamischen Religionsgemeinschaft Ditib noch die Mehrheit der Muslime in Deutschland tut. Weil sie sich ihrer Heimat verbunden fühlen, dort Familie haben oder sich eine Bestattung nach islamischem Recht wünschen.

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Die ist in Bayern durch die bestehende Sargpflicht nicht möglich. Für Familie Mohammad war bei ihrer Wahl aber ein anderer Punkt entscheidend: "Wir haben keine Familie mehr in Syrien", sagt Vater Khaled. Ihr Heimatland ist weitgehend zerstört. Da ist es ihnen lieber, wenn die Großmutter hier bei ihnen in München bestattet wird. Das mit "der Kiste", wie er den Sarg nennt, sei da nicht so wichtig.

Muslime werden traditionell nur in einem Tuch beerdigt

Viele Muslime sehen das allerdings anders. Ihnen ist es wichtig nach den Vorschriften des Islam zu bestatten, also ohne Sarg. Muslime werden traditionell nur in einem Tuch beerdigt. Der Verstorbene wird auf die rechte Seite gelegt, mit dem Gesicht Richtung Mekka.

Eine Bestattung soll dem Glauben nach so schnell wie möglich durchgeführt werden. Viele Muslime wünschen daher die Verkürzung der 48-Stunden-Frist, nach der ein Verstorbener in Deutschland frühestens beerdigt werden darf, auf 24 Stunden. Außerdem sind die Gräber - ähnlich wie im Judentum - für die Ewigkeit gedacht. Eine Neubelegung, nachdem die Ruhezeit verstrichen ist, wie in Deutschland, ist nicht vorgesehen.

Es gibt Bestrebungen, die Sargpflicht in Bayern abzuschaffen. Die Grünen haben im vergangenen Jahr einen Antrag gestellt. Mitte dieses Jahres gab es dazu eine Expertenanhörung im Innenausschuss des Landtages. Sowohl die evangelische und die katholische Kirche als auch die Kommunalverbände begrüßten damals den Vorschlag, muslimische Bestattungen zu erleichtern.

Auch vom Gesundheitsamt gab es keine Einwände. Trotzdem wurde der Gesetzesvorschlag jetzt von der CSU abgelehnt. Florian Herrmann (CSU), Vorsitzender des Innenausschusses im Landtag, sieht als Begründung für die Ablehnung schlicht keinen Bedarf an einer Gesetzesänderung.

Die Grünen wie auch Vertreter muslimischer Gruppen kritisieren das. "Die Ablehnung ist eine Farce", sagt Katharina Schulze, die für die Grünen im Innenausschuss des Landtages sitzt. "Offenbar gibt es seitens der CSU kein Interesse darauf einzugehen, dass sich die religiöse Zusammensetzung der Bevölkerung verändert hat." Auch Aykan İnan, stellvertretender Vorsitzender des Ditib Südbayern, kann die Ablehnung nicht nachvollziehen: "Wir haben auch nie Kritik aus der Bevölkerung bekommen, weil wir die Sargpflicht abschaffen wollen."

Salih Güler, Imam und Leiter des Bestattungsunternehmens Hakim-I Guraba in München, klagt: "Ich verstehe nicht, wie man bei über 500 000 Muslimen in Bayern sagen kann, es gäbe keinen Bedarf, das Gesetz zu ändern. Das ist absurd." Wenn die CSU wolle, dass die Muslime sich integrieren, müsse man ihnen auch entgegenkommen.

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Dabei wollen sich immer mehr Muslime in Deutschland bestatten lassen. Früher habe sich die große Mehrheit seiner Kunden ausfliegen lassen, sagt Güler. Heute ist es nur noch die Hälfte. Und er geht davon aus, dass es noch mehr werden. Während die Generation der Gastarbeiter noch eine starke Verbindung zur Heimat hatte, fühlt die junge Generation sich in Deutschland heimisch.

Nur der Bestatterverband äußerte Kritik

Viele Friedhöfe stellen Muslimen bereits gesonderte Grabflächen und Räume für die letzte rituelle Waschung des Verstorbenen zur Verfügung. In München gibt es insgesamt 1730 muslimische Gräber, verteilt auf den Neuen Südfriedhof und den Westfriedhof. Größter Streitpunkt bleibt aber die Sargpflicht, die neben Bayern nur in Sachsen-Anhalt und Thüringen noch gilt - auch wenn sich einige Muslime sich mit den bayerischen Vorschriften arrangiert haben.

Auf dem Neuen Südfriedhof stehen sogar einige blank polierte Grabsteine mit arabischen Inschriften. Für Muslime ist das eher unüblich. Traditionell sollte ein Grab sehr schlicht sein. Dennoch würde die Mehrheit der Muslime lieber auf einen Sarg verzichten.

Imam Salih Güler vermutet die Lobbyarbeit des Bestattungsverbandes, der um seinen Einnahmen fürchte, hinter der Ablehnung der CSU. Wäre die Sargpflicht komplett abgeschafft, könnten sich auch Nicht-Muslime ohne Sarg bestatten lassen. Schon in der Expertenanhörung im Ausschuss hatte der Bestatterverband als Einziger Kritik geäußert.

Der Bestatterverband bestreitet die Vorwürfe

Jörg Freudensprung, Geschäftsstellenleiter des bayerischen Bestatterverbands, geht es nach eigener Aussage aber nicht um die Einnahmen. Er habe nur Bedenken wegen der Hygiene. Wenn die Träger den Verstorbenen direkt anfassen, könnten Krankheitserreger übertragen werden. Außerdem müsste man die Bestattung ohne Sarg von der Bodenbeschaffenheit abhängig machen, um sicherzustellen, dass der Körper verwesen kann, sagt Freudensprung.

Auch wenn er durchaus sieht, dass Muslime schon eine Art Sargersatz hätten: Im Grab wird der Verstorbene nämlich traditionell mit Holzbrettern bedeckt. Dadurch entsteht ein Hohlraum, der eine ähnliche Wirkung bei der Verwesung hat wie ein Sarg. Der Einsatz solcher Holzbretter müsse aber trotzdem rechtlich geregelt werden, bevor man die Sargpflicht abschafft, fordert Freudensprung.

Der CSU-Abgeordnete Herrmann schließt für die Zukunft zwar nicht aus, dass man sich im Zuge der geplanten Reform des Bestattungsgesetzes noch einmal mit der Sargpflicht beschäftigen wird. "Im Moment sehen wir da aber keinen akuten Handlungsbedarf." Seine Begründung: Die Sargpflicht widerspreche nicht der Gleichstellung der Religionen. Muslime hätten ja unabhängig davon in Bayern dennoch die Möglichkeit sich bestatten zu lassen, wie die Zahl von islamischen Grabfeldern zeige, so Herrmann.

© SZ vom 23.12.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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