TV-Spielshows:Der Urschleim des TV-Schrotts kehrt zurück

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Attacke: Wer Takeshi’s Castle erobern möchte, darf weder Angst vorm Scheitern haben noch vor halbnackten Männern mit Gesichtsbemalung. (Foto: Comedy Central)

Physical-Challenge-Shows funktionieren immer, denn sie bieten Fernsehdarwinismus vom Feinsten. Nun gibt es eine Neuauflage von "Takeshi's Castle" - kommentiert von Oliver Kalkofe.

Von Ralf Wiegand

Oliver Kalkofe ist schon lange ein Meister im Geschäft mit dem Wahnsinn. 1990 heuerte der Moderator, Schauspieler und Komödiant als Praktikant bei Radio FFN in Niedersachsen an, wurde schnell fester Teil des Ensembles vom Frühstyxradio, einer Sendung, die bald Kultstatus erreichte. Kult heißt im Zusammenhang mit Produktionen für Funk und Fernsehen oft, dass sie die Hierarchen nerven, das Publikum aber erfreuen, weil sie im besten Fall Tabus brechen und Grenzen neu ziehen oder einfach nur durch Banalität provozieren. Die Arschkrampen, Onkel Hotte und der Kleine Tierfreund - das war die feine Gesellschaft, die Oliver Kalkofe sozialisierte, ehe er zum Fernsehen wechselte und mit Kalkofes Mattscheibe, einer bitterbösen Satire auf den Programmschrott im TV, zum zweiten Mal Kult wurde. Bis heute gilt: Wenn Kalkofe draufsteht, ist garantiert Irrsinn drin.

Wahrscheinlich musste das einfach alles mal bei Takeshi's Castle enden.

Das aus Japan stammende, Jump'n'-Run-Videospielen nachempfundene Format ist so etwas wie der Urschleim des TV-Schrotts. Es wurde schon 1986 erfunden, lange bevor Trash-TV Trash-TV genannt wurde. Die Show folgt einem epischen Trial-and-Error-Prinzip, wobei der Spaß im Scheitern liegt: 100 Kandidaten versuchen in mehr oder noch mehr sinnlosen Spielen, ein "Schloss" zu erobern. Je blöder sie sich dabei anstellen, umso besser. Im allerbesten Fall kommt dabei ein Pleiten-Pech-und-Pannen-Video in Endlosschleife heraus, Menschen kullern Rampen runter, fallen ungelenk ins Wasser, werden von sadistischen Wächtern in eine Schlammpfütze geschubst oder hechten in letzter Sekunde um Zentimeter am Ziel-Buzzer vorbei.

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Genau das also, was dem nach "Challenges" süchtelnden Fernsehpublikum so lange gefehlt hat: Takeshi's Castle, vor knapp 30 Jahren in Japan im Sendernirwana versickert und in Deutschland von DSF (heute Sport 1), RTL 2 und Nitro wiederholt, quillt knapp 30 Jahre später als Sparten-Rinnsal erneut an die Oberfläche. Ab diesem Samstag laufen frische, nun in Thailand produzierte Folgen im Kabelsender Comedy Central - mit Oliver Kalkofe als deutscher Kommentatorenstimme. Was sich der leidenschaftliche Berufszyniker sonst mühsam aus Tausenden Stunden Sendematerial zusammenschnippeln musste, kriegt er jetzt frei Haus: Menschen, die sich zum Deppen machen.

Das Genre ist nie ganz verschwunden

Man kann das konsequent nennen. Das Genre, das die asiatischen Schlossherren damals erfunden haben, ist schließlich nie ganz verschwunden. American Gladiators (1989 bis 1997), Battle Dome (1999 bis 2001), WipeOut ("Heul nicht, lauf!", 2009) oder zuletzt Big Bounce (2018) - all das waren Shows, in denen sich viele versuchten, am Ende aber nur einer durchkommen durfte. Fernsehdarwinismus vom Feinsten, heutzutage etwa auch vorgeführt von Prominenten im Dschungelcamp und Übergewichtigen in The Biggest Loser.

Diese Art von televisionärem Selbstbehauptungskampf scheint momentan sogar die Antwort schlechthin auf das Sterben der klassischen Samstagabendunterhaltung zu sein. Im Grunde ist es ja nichts anderes, als Mike Krüger schon mit 4 gegen Willi Ende der 1980er-Jahre dem deutschen Publikum zugemutet hat: Zwei Familien duellierten sich in Wettspielen mit unterschiedlichen Schwierigkeitsgraden, über die Ergebnisse wachte ein Goldhamster, Willi eben. Oder Wetten dass . . .?: Noch lange, bevor Heidi Klum ihre Möchtegern-Models in Challenges aufeinanderhetzte und Hochhäuser hinunterklettern ließ, auf dass ihnen die Mimik fotogen entgleist, rannten bei Frank Elstner und Thomas Gottschalk Menschen zum Beispiel Skischanzen hinauf. Hier die Herausforderer, dort die Herausforderung, und über allem droht die Verlockung des Scheiterns: Es steht schon im Alten Testament des Fernsehens, dass Schadenfreude immer funktioniert.

Der Witz dabei ist, dass Spielshows eigentlich als veraltet gelten - zu langatmig, zu aufwendig, zu wenig Publikum, das sich zur Primetime um das LED-Feuerchen im Wohnzimmer versammeln möchte. Früher sei das noch gegangen, da reiste eine Show wie Spiel ohne Grenzen durch halb Europa und zog ganze Städte in ihren Bann. Schon damals, Mitte der Sechzigerjahre des vergangenen Jahrhunderts, mussten die Kandidaten Parcours bewältigen, wie sie heute wieder - in verschärfter Form, etwa bei Team Ninja Warrior Germany (RTL) - aufgebaut werden. Ein Swimmingpool, ein schmaler Steg mit Seife, und los ging die wilde Hatz, die - platsch - allermeistens mit einem Slapstick endete. Von Camilo Felgen, 1964 erster Spiel-ohne-Grenzen-Moderator, bis zu Frank Buschmann und Jan Köppen, den heutigen Conferenciers bei Ninja Warrior, ist also gar nicht so viel passiert im deutschen Innovationsfernsehen.

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Auf diese Weise sind in der Geschichte der Challenge-Shows schon Abertausenden Menschen zu einer Sekundenbekanntheit gelangt. Viel mehr als ein paar Augenblicke sind die meisten nämlich gar nicht auf Sendung, gerade in den Ninja-Staffeln nehmen die Kandidaten oft genug schwungvoll Anlauf, um bereits im nächsten Moment am ersten Hindernis des Hochleistungsparcours zu zerschellen. Klettern, springen, hangeln, die Sendung hat das Prinzip der Straßencowboys, die auf diese Weise über Dächer hüpfen und Schächte erklimmen, in ihr fabrikhallengroßes Studio geholt. Aber ob der moderne Hindernislauf nun solche mitunter arg verbissenen sportlichen Motive hat oder komische wie bei Takeshi's Castle, die Teilnahme erfüllt für die Kandidaten doch immer eine uralte Sehnsucht. Formuliert hat sie schon in den 1990er-Jahren Herbert Görgens, eine von Ingolf Lück verkörperte Sketchfigur aus der Sat 1- Wochenshow. Der einfältige Bauer lockte stets einen Reporter in sein Zuhause, um ihm dort zum Beispiel zu zeigen, wie er aus einem Beutel und heißem Wasser Tee machen kann. Am Ende jeder Episode fragte Görgens stolz: "Komm ich jetzt im Fernsehen?"

Wer will, kommt im Fernsehen, denn das ist auf herzige Weise berechenbar geblieben - trotz aller Untergangsszenarien. Gerade in der Sparte Show und Unterhaltung sind ja diejenigen am lautesten, die lamentieren. Unvergessen ist das rauf und runter diskutierte Ende von Wetten dass...?, das schließlich gleichgesetzt wurde mit dem Aus der Samstagabendshow. Nie wieder werde es so etwas geben, weil das treulose Publikum sich so leicht ablenken lässt. Die Wahrheit ist: Alles kommt immer wieder, ein bisschen schneller und ein bisschen lauter, aber im Prinzip unverändert. ARD und ZDF haben Spielkonzepte, mit denen schon Joachim Fuchsberger Oma und Opa erfreute, wiederbelebt und nennen sie Klein gegen Groß oder Frag doch mal die Maus. Der angeblich sinkenden Aufmerksamkeitsspanne des in Häppchen konsumierenden Publikums setzen sie unbeirrt drei Stunden Sendezeit entgegen oder, wie es Stefan Raab mit Schlag den Raab vorgemacht hat, auch mal sechs. RTL gönnt den Ninja Warriors zwei Stunden beste Programmzeit, Takeshi's Castle wird als Doppelfolge gestreckt.

Die Spielshow ist tot, es lebe die Spielshow. Oder, wie Oliver Kalkofe sagt: "Schon lange vor allen Ninja Warriors und Dschungelcampern war Takeshi's Castle ein Kleinod des gehobenen TV-Irrsinns. Entsprechend freue ich mich sehr, als Teil dieses glorreichen Formats gemeinsam mit dem Zuschauer erneut Zeuge zu werden, wie schön das Scheitern sein kann."

Takeshi's Castle , Comedy Central, Samstag, 22 Uhr; Team Ninja Warrior Germany , RTL, Sonntag, 20.15 Uhr.

© SZ vom 05.05.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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