Schweizer "Tatort":In Mundart authentisch, auf Hochdeutsch eine Karikatur

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"In seiner Freizeit ist er gerne in der Natur" - das ist schon fast das Interessanteste an Kommissar Flückiger. (Foto: SWR)
  • In Deutschland kam der Tatort aus Luzern nie gut an; in der Schweiz hingegen schon.
  • Grund könnte die schweizerische Mundart sein, die für Deutsche nur mit Untertiteln verständlich ist, und auf Hochdeutsch nicht adäquat widergegeben werden kann.
  • Künftig soll der Schweizer Tatort aus dem modernen, weltoffenen Zürich kommen.

Von Charlotte Theile

Zürich, das kann man ohne allzu viel Pathos sagen, ist eine der besten Städte für Kriminelle. Gauner aus aller Welt, vor allem aber diejenigen, die es zu Geld gebracht haben, residieren an Zürichsee und Zürichberg. Dazu sitzen hier Organisationen, die jeden Krimi-Autoren ins Schwärmen bringen: der Fußballverband Fifa, die Europa-Niederlassung der Softwarefirma Google, einige Dutzend verschwiegene Privatbanken, die Geheimlabore der Eidgenössisch-technischen Hochschule Zürich. Ausgerechnet der Tatort aber spielt in der Schweiz bislang eben nicht dort, sondern in Luzern. Und als das Schweizer Fernsehen kürzlich verkündete, diese Idee enden zu lassen und von 2020 an aus Zürich zu senden, hatte man eigentlich nur eine Frage: Warum erst jetzt?

So richtig zufrieden konnte man mit den Ermittlungen der Kommissare Flückiger und Ritschard in den vergangenen acht Jahren eigentlich nicht sein. Die Quoten im deutschen Fernsehen waren auffallend schlecht - und auch in der Schweiz, wo die Reihe Marktanteile von 30 Prozent einspielte, ist man mit dem Luzerner Tatort nie so richtig warm geworden. Die Kommissare waren in erster Linie Ermittler, aus ihrem Privatleben erfuhr man kaum etwas. Die Kriminalfälle waren oft behäbig und durchschaubar. "Gnadenschuss" titelte die Neue Zürcher Zeitung recht gnadenlos und zeigte sich erleichtert, dass die "wenig ruhmreiche Geschichte" in Kürze endet. Vier Folgen werden noch aus Luzern gesendet, dann ist Schluss, und was jetzt natürlich die Frage ist: Was kommt danach - und wie kann es besser werden?

Die Geschichte des Schweizer Tatorts ist kompliziert und seit jeher geprägt von Übersetzungsschwierigkeiten in mehrerer Hinsicht. Nach zwölf Folgen aus der Hauptstadt Bern, die von 1989 bis 2001 gesendet wurden und trotz eines kleinen Budgets einige Fans hatten, machte die ARD dem Schweizer Fernsehen ein Angebot. Zweimal im Jahr, doppelt so oft, sollten die Schweizer senden dürfen. In Zürich begriff man das nicht als Ehre, sondern als Erpressung - und sagte Nein. Man sorgte sich um zu hohe Kosten, und, natürlich, den "Verlust der nationalen Identität" und stieg gleich ganz aus dem Tatort aus. Vereinzelt war danach noch ein Schweizer Kommissar namens Reto Flückiger (Stefan Gubser) bei grenzüberschreitenden Ermittlungen am Bodensee neben Klara Blum (Eva Mattes) zu sehen, ein freundlicher, biederer Single ohne besondere Eigenschaften. "In seiner Freizeit ist er gerne in der Natur, bewegt sich, liebt die Berge", so charakterisierte die ARD-Tatort-Webseite diesen Kommissar - und das ist tatsächlich das Interessanteste, was man über ihn sagen kann.

Die ARD will Hochdeutsch mit lokaler Färbung. Also wird synchronisiert, dass es kracht

2010 wurde Flückiger vom Bodensee nach Luzern versetzt, aber dadurch auch nicht unbedingt interessanter. Das Schweizer Fernsehen leistete fortan wieder regelmäßig Beiträge zum deutschen Sonntagabendprogramm und wurde regelmäßig von der Kritik zerrissen. Für die Schweiz war das zunehmend frustrierend, dort kamen die Krimis aus Luzern gut an.

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Mit dem Schweizer "Tatort" soll so viel Eidgenössisches wie möglich ins deutsche Fernsehen zurückkommen. In seinem ersten Fall erhält Stefan Gubser allerdings Unterstützung von einer bekannten TV-Kriminalerin aus Miami.

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Der Tatort lebt wie kaum ein anderes Format von Orten. Es geht um die Ermittler, ihre Stadt und ihren Fall. Nur wenn alle drei zusammenpassen, hat ein Team die Chance, Kult zu werden. Ein Nachteil für die Schweizer. Hamburg oder Köln können sich die meisten Deutschen vorstellen. Aber Luzern? Da gibt es nicht viel mehr als die Postkartenidylle von See und Alpen - und die üblichen Klischees: Käse, Schokolade, eine absonderliche Sprache. Daraus lässt sich kaum eine gute Serie für Deutsche machen. Und dann ist da auch noch die Kleinigkeit, dass auch Schweizer den Tatort schauen.

Die schweizerdeutsche Mundart, in der die Folgen immer geplant und gedreht werden, ist für Deutsche nur mit Untertiteln verständlich. Aus diesem Grund bekommen die Zuschauer in der ARD eine trickreiche Variante zu sehen. Im Prinzip ist es eine synchronisierte Fassung des Schweizer Produkts - allerdings werden die ersten zehn Minuten noch mal separat auf Hochdeutsch gedreht und eingebaut, damit womöglich nicht gleich am Anfang des Falls eine Lippenbewegung nicht zum Text passt. Dass trotzdem viel Atmosphäre verloren geht, versteht sich von selbst. Schweizer Zuschauer kennen den Effekt: Was in Mundart wie ein einigermaßen authentisches Sittengemälde wirkt, verkommt auf Hochdeutsch zur Karikatur.

Urs Fitze, der als Bereichsleiter Fiktion beim Schweizer Fernsehen für den Tatort zuständig ist, sitzt in einem Bürogebäude am Rand von Zürich. Der "Volkssport", über die Synchronisierungen herzuziehen, beschäftigt Fitze seit Jahren. Die ARD wünscht sich ein möglichst schweizerisch gefärbtes Deutsch ("Lokalkolorit!"), die Schauspieler aber wollen keinesfalls den Kuhschweizer geben. "Schauspieler können ja Bühnendeutsch sprechen", sagt Fitze. Dann imitiert er ein holperndes Schweizer Hochdeutsch, die ARD-Variante sozusagen. "Wenn sie dann auf einmal so sprechen sollen - das ist gar nicht so einfach."

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Auch deshalb geht es jetzt nach Zürich. Die Stadt verkörpert für Fitze nicht nur "eine moderne, weltoffene, urbane Schweiz". Sondern auch "eine gewisse Coolness, die auch mal arrogant wirken kann". Und: Zwischen Glastürmen, architektonischen Experimenten und noblen Seevillen kann man sich glaubwürdiger auf Hochdeutsch unterhalten als bei der traditionellen Luzerner Fasnacht.

Der Druck, dem Klischee des kuriosen, ländlichen Schweizers zu entsprechen, könnte sich damit erledigt haben. "Dieses wollen wir im Tatort nicht so gern bedienen", sagt Fitze offen. Stattdessen setzt man künftig auf digitale und diverse Szenarien: Ex-Pats, künstliche Intelligenz, die Zürcher Partyszene. Verloren soll die beschauliche Alpenwelt trotzdem nicht gehen: Die Kommissare in Zürich gehören nicht zur Stadt-, sondern zur Kantonspolizei. Im Kanton Zürich finden sich auch ruhige Dörfer und verschlafene Vorstädte.

Viel weiter will sich Urs Fitze nicht in die Karten schauen lassen. Gerade wird konzentriert am Konzept gearbeitet, 2019 beginnen die Dreharbeiten. Sicher ist: Die Kommissare werden mehr Persönlichkeit bekommen. "Ich wünsche mir Figuren mit mehr emotionaler und sozialer Verankerung. Es gibt aber keine Erzähltradition, an der wir uns orientieren, weder skandinavisch noch amerikanisch" sagt Fitze. Er ist optimistisch: "Die Ermittler werden in Zürich eine ganz neue Dynamik erhalten."

Natürlich spekulieren alle auf bessere Quoten in Deutschland. Die größte Stadt der Schweiz sei vielen Deutschen bekannt und habe einiges zu bieten, was deutsche Städte "vielleicht so nicht haben", sagt der Tatort-Verantwortliche. Auch deshalb entschied man sich gegen einen Tatort Basel: Einen Rheinhafen gibt es eben auch in Köln. Nun will Fitze alles daran setzen, "mit den verbleibenden vier Folgen aus Luzern nochmals maximale Aufmerksamkeit zu generieren".

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Im Sommer senden ARD und Schweizer Fernsehen eine Folge, die das schon ihrer Form wegen verspricht. "Alte Männer sterben nicht" heißt die Folge von Dani Levy ( Alles auf Zucker!), die in einer einzigen Kameraeinstellung gedreht wurde, also komplett ungeschnitten ist. Darin wird es um ein heikles Kapitel Schweizer Geschichte gehen: den Umgang des Landes mit jüdischen Flüchtlingen während der Nazi-Zeit. Allerdings: Die Zuschauer in Deutschland werden einen anderen Film zu sehen bekommen als die Schweizer. Der "One-Taker" wurde zwar von Anfang bis Ende durchgefilmt wie ein Theaterstück, aber eben zwei Mal - einmal in Mundart, einmal auf Hochdeutsch. Welche Fassung die bessere ist, dürfte klar sein.

© SZ vom 30.04.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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