TV-Kritik: Reinhold Beckmann:Eine Prise Provokation

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Die Fragen waren groß, die Antworten rar: Beckmanns Diskussionsrunde zur umstrittenen Präimplantationsdiagnostik kam über die Schilderung von Einzelschicksalen kaum hinaus. Die waren immerhin erhellend.

Berit Uhlmann

Soll keiner behaupten, deutsche Talkmaster würden schwierige Themen vermeiden. Um Präimplantationsdiagnostik, kurz PID, ging es am Abend bei Reinhold Beckmann. Ein sperriger Name, eine komplexe Thematik. Und dann die Fragen, deren Beantwortung Beckmann ankündigte: Wer soll und darf über das Leben entscheiden? Wo liegt der Maßstab für erwünschtes und unerwünschtes Leben?

"PID - Traum vom Wunschkind oder Albtraum Designerbaby? Wer bestimmt über den Wert des Lebens?", fragte Reinhold Beckmann seine Gäste in seiner ersten Sendung im neuen Jahr. (Foto: NDR/Morris Mac Matzen)

Seine Diskussionrunde hatte sich viel vorgenommen. Schade, dass sie sich im Narrativen verlor.

PID bedeutet, Embryonen in der Petrischale zu zeugen, um zwischen gesunden und kranken trennen zu können. Nur die Embryonen ohne Erbdefekt pflanzen Ärzte dann in die Gebärmutter ein, die anderen lassen sie sterben. Das ermöglicht einem Paar mit Kinderwunsch, mit hoher Wahrscheinlichkeit ein gesundes Kind zu bekommen.

Somit war es kein schlechter Einstieg für Beckmann, zunächst einer betroffen Mutter das Wort zu überlassen. Animiert von einem aufgeräumten Moderator erzählte sie vom Leben mit ihren beiden schwerbehinderten Jungen und dem Wunsch, auch ein gesundes Kind großzuziehen. Die Frau nahm schließlich in Italien die PID in Anspruch und verdankt ihr eine gesunde, heute siebenjährige Tochter.

Es gehörte zu den überraschenden Momenten der Sendung, dass gerade das, was man als schweres Schicksal zu sehen geneigt war, dann doch sehr glückliche Momente offenbarte. Eine Lebenserwartung von zwei Jahren hatte man ihren beiden ersten Kindern vorhergesagt, heute sind die Jungen 15 und 17 Jahre alt. Sie können nicht laufen und nicht sprechen, haben aber nach den Worten der Mutter so viel vom Leben wie andere Kinder auch. "Ich möchte keine Sekunde mit ihnen missen", sagte die Frau.

Ähnliches zeigte auch das Schicksal von Peter Radtke, dessen Leben mit drei Knochenbrüchen begann und von etlichen weiteren Frakturen bestimmt war. Die Glasknochenkrankheit ließ seine Knochen immer wieder splittern. Und doch blickt der fast 68-Jährige heute auf ein erfülltes Leben, auf eine Karriere als Schauspieler und Schriftsteller zurück. Er ist Mitglied des Deutschen Ethikrates, seine Meinung ist gefragt. Vielleicht hätte er vieles nicht erreicht, wenn er nicht behindert wäre, bilanzierte er.

Die Geschichten der Betroffenen zeigten, wie unzutreffend Prognosen und Verallgemeinerungen sein können, wie schwer Grenzen des Lebens zu ziehen sind und hätten so viel Stoff für Diskussionen gegeben:

Welche Erkrankungen rechtfertigen es, betroffene Embryonen auszusortieren? Nur schwerste Behinderungen? Wenn ja, gehört Radtkes Glasknochenkrankheit dazu? Oder sollte auch auf Krebs getestet werden? In Großbritannien ist dies immerhin möglich. Und kann man ausschließen, dass Ärzte per PID künftig das Kind mit dem Wunschgeschlecht herauspicken, wie sie es in den USA schon heute dürfen? Solche Fragen blieben nicht nur unbeantwortet, sie wurden nicht einmal gestellt.

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Wenn die Moderatoren der deutschen Talkshows in Sommerpause gehen, dürfen sich auch die Gäste erholen. So mancher Sesselbewohner hat nun richtig viel Zeit.

Ursula von der Leyen, CDU-Sozialministerin, ausgebildete Medizinerin und Befürworterin der PID in relativ engen Grenzen, kam neben den Betroffenen am häufigsten zu Wort, steuerte aber hauptsächlich singuläre Erlebnisse aus der Zeit ihrer Schwangerschaften und Medizinerausbildung bei.

Matthias Bloechle schaltete sich leider nur selten in die Runde ein. Er ist der einzige Arzt Deutschlands, von dem bekannt ist, dass er die PID anbietet und er hat die Problematik bis vor den Bundesgerichtshof und damit an die Öffentlichkeit gebracht. Er hätte von allen Diskutanten sicher am meisten über die Gentests sagen können, doch er wiederholte im Wesentlichen die Meinung, die er schon in etlichen Medien vertrat: All die Umstände, die heutzutage in Deutschland eine Abtreibung rechtfertigen, sollten auch zulässige Gründe für eine PID sein.

Ehe man darüber nachdenken konnte, ob beide Sachverhalte vergleichbar sind, ging das Wort schon an einen anderen Diskutanten über. Dabei war die Sendung von einer Ruhe und Sachlichkeit geprägt, an der sich Beckmann offenbar selbst störte.

Gegen Ende versuchte es der Moderator doch einmal mit der Provokation und warf den Begriff des "Designerbabys" in die Runde. So richtig mochte es niemand aufgreifen. Also legte Beckmann nach und zitierte Kölns Erzbischof Kardinal Meisner, der die PID mit dem "Kindermord von Bethlehem" verglichen hatte. Das zielte auf den klerikalen Vertreter der Talkrunde, Weihbischof Anton Losinger aus Augsburg, der die Äußerung Meisners gerade einmal als "etwas überakzentuiert" bezeichnen durfte. Da driftete die Unterhaltung auch schon wieder davon.

Letztlich freute sich der Zuschauer, dass einem so sensiblen Thema wie der PID der talkshowtypische Krawall erspart blieb. Gleichsam war es schade, dass die Chance zur Diskussion vertan wurde. "Das ist ja alles noch recht vage", hatte der Arzt Bloechle zu Beginn der Talkshow die Positionen der deutschen Parlamentarier zur PID kommentiert. Sein Satz hätte auch das Fazit der Sendung bilden können.

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