Thema Kinderpornografie bei "Günther Jauch":Ohnmacht vor dem Unbeschreiblichen

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Wie soll eine Gesellschaft mit Pädophilen umgehen? Antworten auf diese Frage kann die Talkrunde bei Günther Jauch kaum liefern. Familienministerin Schwesig wirkt betroffen - und offenbart, dass sie wenig weiß von der Realität in Deutschland.

Eine TV-Kritik von Jana Stegemann

40 Minuten, bevor die Talkrunde im Berliner Gasometer beginnt, postet Sebastian Edathy auf seiner offiziellen Facebook-Seite: "Morgen Pressemitteilung. Es werden seit Wochen Regeln von Recht und Anstand massiv verletzt."

Wenig später fängt die Diskussion bei Günther Jauch an. "Lustobjekt Kind - Was tun gegen das böse Geschäft mit nackten Jungen und Mädchen?" lautet das Thema. Anlass ist der Fall Edathy, der die große Koalition in ihre erste große Krise stürzt. Der ehemalige SPD-Bundestagsabgeordnete hatte Fotos nackter Jungen im Internet geordert, der Verdacht auf Kinderpornografie steht im Raum. Der frühere Bundesminister Hans-Peter Friedrich hatte SPD-Chef Sigmar Gabriel von den Ermittlungen unterrichtet, der Verdacht auf Verrat des Dienstgeheimnisses steht im Raum.

Etwa ein Prozent der Bevölkerung sei pädophil, sagt Günther Jauch zu Beginn der Sendung; vor allem Männer, quer durch alle Bevölkerungsgruppen, Einkommensklassen und Bildungsschichten. Darüber sollen Familienministerin Manuela Schwesig und der Journalist Sebastian Bellwinkel mit dem Piratenpolitiker Udo Vetter, dem Sexualpsychologen Christoph Ahlers und Bernd Siggelkow, Pastor und Leiter eines Jugendhilfswerks, diskutieren.

Nein, sie kenne Edathy nicht gut, sagt Schwesig: Es gebe andere Parteikollegen in der SPD, die würden ihn seit Jahren kennen, hätten ihm stets vertraut und seien nun in einer schwierigen Situation. Für sie sei aber klar: Ein Mann wie Edathy passe nicht zu den Werten ihrer Partei. Da gebe sie Sigmar Gabriel recht. Der Parteichef sähe den Genossen lieber heute als morgen aus der SPD ausgeschlossen.

Schwesig gegen "falsche Toleranz"

"Edathy ist nach jetziger Rechtslage kein Täter", sagt Sebastian Bellwinkel, dessen TV-Dokumentation über das "Sexobjekt Kind" für den Grimme-Preis nominiert war. Davon lässt sich die stellvertretende SPD-Vorsitzende nicht beirren. Neben der strafrechtlichen Relevanz gebe es die moralische Relevanz. Solche Nacktbilder, die zum Schaden der Kinder gemacht würden, passten nicht zu den Werten der SPD. Kinderschutz müsse immer an erster Stelle stehen. Es dürfe "keine falsche Toleranz" in Deutschland gegenüber Pädophilen geben, findet Schwesig.

Insgesamt bringt die Diskussionsrunde aber kaum tiefgreifende Erkenntnisse. Das liegt auch an den zaghaften Fragen des Moderators Jauch, der besonders bei Schwesig, die stets ausweichend antwortete, nicht kritisch genug nachfragte. Die Wortwechsel in der Runde illustrieren vielmehr die Hilf- und Mutlosigkeit von Politik und Gesellschaft im Umgang mit Pädophilen und deren Opfern. Dabei gibt es wenige Themen, die so dringend angegangen werden müssen, wie dieses - und keines, das so sehr tabuisiert ist.

Wer über den Umgang mit Pädophilen debattiert, kommt zwangsläufig um das Thema Kinderpornografie nicht herum. Schwesig sieht hier Gesetzeslücken. "Jeglicher Handel von Nacktfotos von Kindern gehört nicht nur verboten, sondern auch unter Strafe gestellt." Der Fokus müsse sich auf Konsumenten und Verkäufer gleichermaßen richten, denn "beide missbrauchen Kinder". Die Bundesregierung werde darüber hinaus auch weiterhin auf das Löschen und nicht das Sperren von Internetplattformen, auf denen Kinderpornografie angeboten wird, setzen, sagt Schwesig. Der Pastor Bernd Siggelkow hatte eingangs gesagt: "Ich frag mich, warum muss man sich Nacktbilder von Kindern überhaupt anschauen? Das kann ja nicht gesund sein."

Schätzungen von Experten zufolge konsumieren 50.000 Menschen in Deutschland regelmäßig Kinderpornografie, viele seien täglich auf der Suche nach solchen Filmen und Fotos. 5747 Fälle sind im vergangenen Jahr aktenkundig geworden. In 198 Ländern der Welt ist Kinderpornografie geächtet und wird teilweise stärker verfolgt als in Deutschland. Und trotzdem: Es gibt unzählige Foren mit Filmen und Fotos, erstellt zumeist von Einzeltätern aus dem nahen Familienumfeld der Opfer.

"Die Gedanken sind frei"

"Es gibt keine lukrative Industrie für harte Kinderpornografie", sagt Udo Vetter. Es gebe keinen Markt, weil es durch die strenge Überwachung der Kreditkarteninstitute so gut wie keine legalen Zahlungsmöglichkeiten gebe. "Kinderpornografie ist der dokumentierte Kindesmissbrauch in den Schlafzimmern, in den Kinderzimmern, in der Nachbarschaft; von Privatleuten gemacht und in einschlägigen Foren gratis ins Netz gestellt." Zugang zu solchen Foren bekomme meist nur jemand, der ebenfalls Film- und Fotomaterial anbieten könne. "Es geht in diesen Fällen meist nicht um Geld", sagt Vetter.

Der Sexualpsychologe Christoph Ahlers behandelt seit Jahren Pädophile. "In der Therapie geht es vor allem Verhaltenskontrolle. Wichtig ist an erster Stelle, dass die Betroffenen keine Übergriffe mehr auf Kinder begehen." Dass sie sich zu Hause Wäschekataloge oder Fotos von Kindern im Strandurlaub anschauten, hält Ahlers nicht für strafrechtlich relevant. "Diese Fotos gibt es sowieso. Die Gedanken sind frei. Wichtig ist, dass die Betroffenen keine Übergriffe auf Kinder begehen."

Es ist bei Jauch viel die Rede vom "Leidensdruck der Betroffenen". Schwesig sagt dazu: "Wer den bei sich feststellt, kann gerne eine Therapie machen." Mit dieser Aussage offenbart die Ministerin, dass sie wenig weiß von der Realität in Deutschland. Einem Land, in dem Täter und Opfer auf erhebliche Hindernisse und lange Wartelisten stoßen, wenn sie Hilfe suchen. Pädophile, die auf einen Platz in dem Präventionsprogramm "Kein Täter werden" warten, dessen Finanzierung regelmäßig gefährdet und zumeist nur durch Unterstützung von privaten Stiftungen und gemeinnützigen Vereinen möglich wird. Opfer, die zumeist noch länger auf einen Platz in einer Therapieeinrichtung oder bei einem Psychotherapeuten warten und bei Krankenkassen häufig um Bewilligung und Verlängerung der Maßnahmen kämpfen müssen. Kurzum: Es fehlt Geld, viel Geld.

Und dann wären da noch die Polizei, die in einigen Bundesländern derart unterbesetzt ist, dass es zum Alltagsgeschäft gehört, beschlagnahmte Festplatten und Computer auf denen möglicherweise Kinderpornografie gespeichert wurde, ungeprüft an die jeweiligen Besitzer zurückzugeben - weil Fristen verstrichen sind. "Fristen, in denen keiner sich dieses Beweismaterial ordentlich anschauen konnte", geben sowohl Anwalt Vetter als auch Journalist Bellwinkel einen Einblick in den Alltag deutscher Ermittlungsbehörden. "Die Politik gibt sich sehr aktiv, doch Maßnahmen wurden bisher kaum umgesetzt, Geld nicht zur Verfügung gestellt. Das rückt das Ganze in die Ecke von hochgradigem Populismus", sagte Bellwinkel.

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