Schmidt und Gauck bei Maybrit Illner:Streiten über die mächtigste Frau Europas

Helmut Schmidt pflegt tagespolitische Entscheidungen seiner Nachfolger normalerweíse nicht zu kommentieren - doch diesmal weicht er von seiner Maxime ab: Angela Merkel handele in der Euro-Krise zu egoistisch, sagt er bei Maybrit Illner. Wenn die Kanzlerin in EU-Medien mit Hakenkreuzbinde abgebildet werde, sei das teils eigene Schuld. Das sieht der Bundespräsident etwas anders.

Oliver Klasen

German President Gauck talks with former Chancellor Schmidt before talk show Maybrit Illner in Berlin

Joachim Gauck und Helmut Schmidt vor der Sendung bei Maybrit Illner in Berlin

(Foto: REUTERS)

Als Maybrit Illner nach dem Raubtier-Kapitalismus fragt, da macht Helmut Schmidt eine kleine Pause und brummt. Nicht übertrieben laut, aber gut vernehmlich. Es ist das Brummen eines satten, altersweise gewordenen Bären, der auch mal ein Raubtier war. Aber eines, das eher überlegt handelt und nicht in blindwütiger Raserei. Ja, sagt Schmidt also, den Begriff Raubtier-Kapitalismus habe es schon in den neunziger Jahren gegeben, und er habe heute nichts von seiner Aktualität verloren. Kapitalistische Raubtiere finde man überall, bei den Bankern in der City of London, an der Wall Street, in Shanghai, in Dubai.

Joachim Gauck, der Bundespräsident, widerspricht Schmidt nicht, sieht die Lage aber etwas anders: Sicher, bei Banken und Investmentfirmen habe es manches Fehlverhalten gegeben. Aber das spricht für ihn nicht per se gegen das westliche Wirtschaftssystem, sondern höchstens dafür, "Banker mit Ethos" zu fordern. Jede Ordnung könne missbraucht werden, der Kapitalismus bestünde nicht nur aus Raubtieren. Und im Übrigen: Auch der Raubtier-Sozialismus sei ein Problem gewese. Und der Raubtier-Islamismus sei auch eins.

Es ist ein Muster, das sich wiederholen wird im Laufe dieser Sendung: Schmidt gibt den Warner, den Mahner, den Realisten. Gauck denjenigen, der in schwierigen Zeiten wenigstens ein bisschen Hoffnung verbreiten will. Das zeigt sich in kleinen Dingen, etwa wenn Schmidt beklagt, dass die Welt inzwischen "eine Welt von Twitterern" sei. Ein solch kulturpessimistischer Subtext verwundert nicht bei einem 93-Jährigen. Gauck dagegen betont, dass man auch mit 140 Zeichen "vernünftige Dinge" sagen könne und klingt dabei wie ein 72-Jähriger, der sich noch aktiv an den neuen Kommunikationsformen beteiligen möchte.

"Eher ja", sagt Gauck - Schmidt sieht das anders

Die Unterschiede zwischen Altkanzler und Bundespräsident werden auch bei den großen Themen deutlich, die in dieser Talkshow verhandelt werden - und das mit Abstand größte Thema dieser Tage ist: die Euro-Krise.

Kurze Videosequenzen werden eingespielt. Massendemonstrationen in Madrid, brennende Barrikaden in Athen, eine Kanzlerin, die in Boulevardblättern und auf Pamphleten mit Nazi-Uniform zu sehen ist. Die Frage: Handelt Angela Merkel richtig, mit ihrem eisernen Beharren auf den Sparkurs und dem Verweis darauf, dass Deutschlands Leistungsfähigkeit nicht unendlich sei?

"Eher ja", sagt Joachim Gauck. Mit seiner kürzlich angebrachten Kritik, das Handeln der Regierung in der Euro-Krise werde den Bürgern zu wenig erklärt, habe er der Kanzlerin "nicht an den Wagen fahren", sondern nur ein generelles Problem aller Politiker beschreiben wollen.

Schmidt sieht das anders. In der Finanzkrise habe Merkel "eine viel zu starke Zentralisierung der ganzen Fragenkomplexe auf ihre Person" zugelassen und die nationale, egoistische Sichtweise "zu stark" betont. Die Nachbarn hätten das Gefühl, dass sich Deutschland zum neuen Zentrum Europas aufschwingen wolle, das sei gefährlich.

Der Altkanzler redet sich jetzt in Rage. Normalerweise pflegt er tagespolitische Entscheidungen seiner Nachfolger nicht zu kommentieren, doch hier geht es um mehr. Es geht um den Euro, das wichtigste Projekt der europäischen Integration, das Schmidt 1979 mit dem damaligen französischen Präsidenten Valéry Giscard d' Estaing auf den Weg brachte. Er sei zwar nie ein begeisterter Europäer gewesen, sagt Schmidt, aber ein aus Einsicht überzeugter Europäer.

Das Bild jetzt irgendwie zusammenfügen

Deshalb legt er jetzt nach. Wenn die Kanzlerin in Medien anderer EU-Staaten mit einer Hakenkreuzbinde karikiert werde, dann sei das "zum Teil ihre eigene Schuld". Deutschland habe eine größere Verantwortung für den Kontinent als alle anderen europäischen Staaten. Warum, fragt Illner. "Weil wir sechs Millionen jüdischer Mitbürger fabrikmäßig umgebracht haben", sagt Schmidt.

Gauck muss das Bild jetzt irgendwie zusammenfügen, auch wenn die Euro-Münze auf der Videowand im Hintergrund in unzählige Einzelteile zerbröckelt ist. "Wenn Helmut Schmidt davor warnt, dass es eine deutsche Dominanz gibt, dann nehme ich das sehr ernst", sagt der Bundespräsident. Doch der Satz "Am deutschen Wesen soll die Welt genesen" lasse sich eben nicht auf die rationale und abgewogene Politik von Angela Merkel übertragen. Schließlich argumentiere die Kanzlerin hinsichtlich Griechenland im Interesse aller anderen Geldgeber-Länder. "Wir sind nicht mehr diese Mörder", sagt Gauck dann noch, und nach gut 60 Jahren Rechtsstaatlichkeit und Demokratie in der Bundesrepublik sei das auch allen Nachbarn klar.

Historie ist ein großes Thema an diesem Abend - und so auch Helmut Kohl. Jener Kanzler, der die Einigung Europas zu seinem Lebenswerk gemacht hat. Die CDU hatte an diesem Donnerstag einen Festakt für ihn ausgerichtet. Keine drei Kilometer entfernt von dem Kulturzentrum, in dem Illner ihre Sendung aufzeichnet, haben sich im Deutschen Historischen Museum Weggefährten, Mitstreiter und Freunde versammelt, sogar Wolfgang Schäuble ist da, mit dem Kohl seit der CDU-Spendenaffäre in herzlicher Abneigung verbunden war.

In der Talkshow werden jetzt noch einmal die alten Bilder gezeigt. Elefantenrunden vor den Bundestagswahlen. Schmidt, wie er 1982, fast auf den Tag genau vor 30 Jahren, Kohl im Bundestag nach dem konstruktiven Misstrauensvotum zur Kanzlerschaft gratuliert.

Eine "Meisterleistung"

Wie so viele andere habe auch er Kohl anfangs unterschätzt, sagt Schmidt. Aber der Zehn-Punkte-Plan, mit dem der damalige Kanzler bereits Ende November 1989 den Weg für die deutsche Einheit vorzeichnete, sei eine "Meisterleistung" gewesen, die viele andere Fehler aufgewogen habe. Und dann brummt er noch einmal, der satte, altersweise und vielleicht auch ein bisschen altersmilde gewordene Bär.

Ins Publikum hat sich die Moderatorin für diesen Donnerstag Schüler und Studenten geladen. Es ist die Generation, die irgendwann am Haus Europa wird weiterbauen müssen, wie es immer heißt. Drei Abiturientinnen aus Offenburg sollen die beiden Politiker direkt befragen. Zu den Themen Volksabstimmungen in der EU und Souveränitätsverlust durch Staatsanleihenkauf der Europäischen Zentralbank. Die Fragen wirken dann so gestelzt, als hätte die Sozialkundelehrerin zur Sicherheit nochmal Hand angelegt, um eine ordentliche Formulierung zu gewährleisten.

Aber in Zeiten wie diesen, wenn selbst Experten oft völlig ratlos wirken angesichts der komplexen Probleme an den Finanzmärkten, da wäre es wohl eher peinlich, wenn ausgerechnet Schüler den Fachleuten ernsthaft gefährlich würden. Oder auch neue oder alte Bundeskanzler oder Bundespräsidenten.

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