Herkunft von Straftätern:Wie Zeitungen mit der Nationalität von Tatverdächtigen umgehen

Silvestereinsatz Kölner Polizei

Polizeiaufkommen am 31. Dezember 2016 vor dem Kölner Dom. Seit der Silvesternacht nennen Zeitungen die Herkunft von Straftätern deutlich öfter.

(Foto: Henning Kaiser/dpa)

Seit der Kölner Silvesternacht nennen Zeitungen die Herkunft von Straftätern häufiger. Mit der Kriminalitätsstatistik dürfte das jedoch nichts zu tun haben.

Von Karoline Meta Beisel

Ein Mann begrapscht eine Frau. Spielt es da eine Rolle, ob der Mann Asylbewerber ist oder nicht? Die Diskussion um die richtige Berichterstattung über Straftaten war nach der Silvesternacht 2015/2016 heftig geführt worden, in der Männer aus dem nordafrikanischen und arabischen Raum am Kölner Hauptbahnhof Frauen belästigt und beklaut hatten.

Nach einer langen Debatte entschied der Deutsche Presserat im März, an der bisherigen Richtlinie in Ziffer 12.1 des Pressekodex festzuhalten: Die Herkunft eines Tatverdächtigen soll in der Presse nach wie vor nur genannt werden, "wenn für das Verständnis des berichteten Vorgangs ein begründbarer Sachbezug besteht". Aber auch, wenn der Wortlaut des Pressekodexes sich nicht verändert hat: Die Berichterstattung über Straftaten hat sich durchaus verändert.

In den Wochen nach dem Jahreswechsel 2015/2016 haben Zeitungen sehr viel häufiger als zuvor die Nationalität von Tatverdächtigen genannt oder darauf explizit hingewiesen, wenn ein mutmaßlicher Straftäter Asylbewerber war. Das ist das Ergebnis einer Untersuchung, die der Kommunikationswissenschaftler Florian Arendt an der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität durchgeführt hat.

Vermehrte Nennung der Herkunft Straftätiger, vor allem im Januar

Für die Studie, die in diesem Jahr veröffentlicht werden soll, hat Arendt von Dezember 2015 bis Februar 2016 beispielhaft die Berichterstattung über Straftaten in drei Tageszeitungen ausgewertet: in der Bild, im Kölner Express und in der Süddeutschen Zeitung. Er zählte, wie häufig in Artikeln über Straftaten die Begriffe "Nordafrikaner", "Asylbewerber" oder eine konkrete Nationalität genannt wurden. Berichte, Analysen und Kommentare über die Ereignisse am Kölner Hauptbahnhof selbst hat er bei dieser Untersuchung außer Acht gelassen: Ihm ging es darum zu prüfen, ob sich die Debatte auch über das konkrete Ereignis hinaus auf die Berichterstattung ausgewirkt hat.

Das Ergebnis war deutlich: "Der Anstieg war bei allen untersuchten Begriffen sichtbar, und zwar sprunghaft im Januar", sagt Arendt. Der Trend zeige sich bei allen drei Zeitungen. Sei noch im Dezember in nur sieben Prozent aller Berichte über Straftaten die Herkunft des Täters genannt worden, sei das im Januar in jedem fünften Artikel der Fall gewesen. Der Begriff "Nordafrikaner" sei bis Silvester nur in einem Prozent der Artikel über Straftaten aufgetaucht. "Im Januar waren es acht Prozent", sagt Arendt.

Andere Handhabe von Ziffer 12 des Pressekodexes?

In einem nächsten Schritt will Arendt seine Daten mit den Ergebnissen der Kriminalitätsstatistik abgleichen, die noch nicht erschienen ist: Theoretisch wäre es ja auch denkbar, dass die Kriminalität unter Ausländern in diesem Zeitraum tatsächlich so stark angestiegen ist, und dass Zeitungen schon aus diesem Grund mehr über straffällig gewordene Asylbewerber berichteten.

"Aber nach all dem, was der Bundesinnenminister bis jetzt zu dem Thema schon gesagt hat, können wir nicht davon ausgehen", sagt Arendt. Vielmehr deuteten seine Daten darauf hin, dass sich in den Redaktionen die Handhabe von Ziffer 12 des Pressekodexes verändert hat, die die Nennung der Herkunft von Straftätern regelt.

Arendts Befund ist nicht nur für Akademiker interessant. Wenn die Presse anders über Straftaten berichtet, hat das auch Einfluss darauf, wie Ausländer, Asylbewerber oder Mitbürger mit Migrationshintergrund in der Gesellschaft wahrgenommen werden. "Wenn Personen in der Zeitung wiederholt über kriminelle Ausländer lesen, verändert sich über die Zeit tendenziell auch ihr Weltbild", sagt Arendt. Das hätten Studien im In- und Ausland bereits bewiesen.

"Begründbarer Sachbezug" als grundsätzliche Frage

Die grundsätzliche Frage, wann es geboten ist, die Herkunft eines Straftäters zu nennen, und wann nicht, beschäftigt auch den Presserat weiterhin. Im März des vergangenen Jahres hatte sich das Selbstkontrollorgan der Presse nach einer langen Diskussion darauf geeinigt, Leitlinien zu erarbeiten, um Redaktionen den Umgang mit dem Diskriminierungsverbot in Ziffer 12 zu erleichtern. Das aber brauche Zeit, sagt Geschäftsführer Lutz Tillmanns: "Es ist schwierig, eine Art best-practice-Leitfaden zu erstellen. Die Spruchpraxis, die wir über die Jahre gesammelt haben und die wir jetzt auswerten, betrifft ja immer Fälle, in denen sich jemand beschwert hat - das ist also eher eine worst practice-Sammlung."

Auch gebe es unter den Mitgliedern des Presserats unterschiedliche Auffassungen darüber, was einen "begründbaren Sachbezug" darstellen soll und was nicht: Reicht zum Beispiel die Tatsache, dass in einer bestimmten Region sehr viele Flüchtlinge leben, um die Nennung der Nationalität in jedem Einzelfall zu rechtfertigen.

Leser sind sensibler und zeigen Presserat häufiger Diskriminierungen an

Auch Tillmanns beobachtet, dass Medien die Herkunft eines Tatverdächtigen heute häufiger als früher nennen. "Wir haben aber nicht den Eindruck, dass die Nationalität fahrlässig genannt wird", sagt er. "Dafür gibt es fast immer nachvollziehbare redaktionelle Gründe."

Zugleich sei aber auch die Sensibilität der Leser in dieser Frage gestiegen: Die Beschwerden wegen des Diskriminierungsverbotes hätten im vergangenen Jahr zugenommen, von 100 im Jahr 2015 auf 133 im vergangenen Jahr. Von den Beschwerden zur Kölner Silvesternacht war übrigens keine begründet: Nach dem Pressekodex war es zulässig, in diesem Kontext Nationalitäten zu nennen.

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