"Klartext, Herr Schulz!" im ZDF:Martin Schulz im Bürgertalk: Hier werden Sie geholfen

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Nur selten steht Martin Schulz am Dienstagabend in der ZDF-Sendung Klartext, Herr Schulz! an seinem Stehpult. (Foto: dpa)

Dem SPD-Kanzlerkandidaten fällt das Gespräch mit Wählern leicht. Im ZDF spielt er seinen Vorteil aus: Schulz lobt eine Frauen-Bürgerwehr, will persönlich dreiste Vermieter anrufen und verspricht, die AfD "rauszuschmeißen".

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Martin Schulz spielt das Kinderspiel "Reise nach Rom". So wirkt es zumindest im ZDF-Hauptstadtstudio. Die Sendung: Klartext, Herr Schulz! Das Format: Bürger stellen dem Kanzlerkandidaten Fragen, er muss sie live beantworten.

"Was tun Sie gegen den Mietwucher?"

"Reformieren Sie die Rente?"

"Wie wollen Sie uns Frauen vor Übergriffen durch Flüchtlinge beschützen?"

Die Sendungsmacher haben Schulz ein Stehpult zugedacht, doch der SPD-Politiker geht lieber ins Publikum. Tigert auf den Rängen hin und her, gibt den Fragestellern demonstrativ die Hand, setzt sich neben sie. Er taucht unter Mikrofonen durch, vertreibt einen Zwölftklässler von dessen Sitz und nimmt auf der Kante einer Treppenstufe Platz. Alles, um in Augenhöhe mit den Gästen zu sprechen und, wenn nötig, ihre Schulter tätscheln zu können.

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Im TV-Duell suchte der Herausforderer noch verzweifelt nach inhaltlichen Unterschieden zwischen sich und der Kanzlerin. Beim Klartext-Format des ZDF nutzt er den einen Unterschied, den es wirklich gibt zwischen ihnen: Offenheit und Bürgernähe sind seine Stärken, nicht ihre. Der SPD-Kandidat kommt souverän rüber, obwohl das ständige "Warten Sie, ich setz mich dort hin, ach Moment, kann ich da mal kurz vorbei" Nerv- wie Fremdschäm-Potenzial hat.

Die Moderatoren sind Statisten in der Schulz-Bürgershow

Hinter ihm her hecheln neben den Kameraleuten zwei Moderatoren: Hauptstadtstudio-Leiterin Bettina Schausten, die zwischendurch die Einspieler anmoderieren darf, und ZDF-Chefredakteur Peter Frey, der in seinem Anzug mit dem blaugrauen Studiohintergrund verschwimmt. Die beiden sind Statisten in der Schulz-Bürgershow. In seinen Antworten verspricht der Merkel-Herausforderer, jedem Gast eine Lösung. "Schulz gibt wieder den Paten", schreibt jemand auf Twitter. Ein anderer Zuschauer bezeichnet Schulz als "Kumpel und Kümmerer".

Dem Rentnerehepaar, dessen Miete erhöht werden soll, sagt er zu, den Vermieter anzurufen. "Dann werde ich die städtische Wohnungsbaugesellschaft fragen, ob sie einen Knall haben!" Der Rheinländerin, die eine Bürgerwehr gegründet hat, stellt er in Aussicht, mehr Polizisten auszubilden. Im eingespielten Video sieht man, wie sie und zwei Nachbarinnen in Capri-Jeans und Warnwesten mit Hunden durch ihr Viertel patrouillieren, um Einbrüche zu verhindern. Vor allem "als Frau" sei das bemerkenswert, findet Schulz.

Dem Fragesteller, der bei einer Meldestelle für antisemitische Vorfälle arbeitet, erklärt Schulz, dass er die AfD nicht dulden werde: "Ich kann Ihnen sagen, was ich mit solchen Leuten machen würde: Ich schmeiß die raus! Ich hab' sie ja auch aus dem Europaparlament rausgeschmissen." Schulz spielt darauf an, dass er als Chef des EU-Parlaments vergangenes Jahr einen griechischen Abgeordneten nach rassistischen Aussagen aus einer Plenumssitzung geworfen hatte.

Dem Pegida-Anhänger und der Bürgerin, die "sexuelle Übergriffe durch Flüchtlinge" fürchten, versichert er, dass kriminelle Asylbewerber unter einem Kanzler Schulz abgeschoben würden. Den Afghanen wiederum, deren Asylantrag abgelehnt wurde, garantiert er, dass sie nicht abgeschoben werden. "Die beiden Jungs", ein Hotel-Azubi und ein Autowerkstatt-Angestellter, sollten sich keine Sorgen machen. Dass kurz vor der Live-Sendung in Düsseldorf ein Flieger gestartet war, der zwölf Abgeschobene nach Kabul bringen sollte, verschweigt Schulz.

Die Sorgen der Gäste werden zu Sammelklagen zusammengefasst

Die Diskussion zur Flüchtlingspolitik bleibt oberflächlich. Da hilft es nicht, dass die Moderatoren dazu übergehen, die Sorgen mehrerer Gäste zu Sammelklagen zusammenzufassen, statt den Kanzlerkandidaten weiterhin konkrete Fragen beantworten zu lassen. Am Ende drängt, überraschenderweise, die Zeit. Schausten und Frey wirken wie ein Elternpaar, das das Kind vom Spielen bei Freunden abholt, wenn es gerade am schönsten ist.

Die Moderatoren versuchen dann noch, Schulz von einem Schlussplädoyer abzuhalten. Vergeblich. Der Kandidat, der sich in 90 Minuten überhaupt selten unterbrechen ließ, setzt sich durch. Er habe einen Brief an die Kanzlerin geschrieben, sagt Schulz, und habe sie darin zu einem zweiten TV-Duell herausgefordert. Sichtlich stolz auf diesen Coup erklärt er, im TV-Duell Anfang September seien die wichtigen Themen nicht zur Sprache gekommen. Eigentlich hat seine Konkurrentin ein zweites Duell bereits abgelehnt.

Angela Merkel stellt sich am Donnerstag in der Klartext-Sendung ebenfalls den Fragen der ZDF-Zuschauer. Von einem vergleichbaren Bad im Publikum ist wohl nicht auszugehen.

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