Jauch über die Deutschen im Zweiten Weltkrieg:"Korken im Ozean"

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Nationalsozialismus, Zweiter Weltkrieg - und nur eine Stunde Zeit: Günther Jauch will in seiner Talkshow über deutsche Geschichte reden. Er schafft immerhin einen Anfang. Nun muss an den Küchentischen weiter geredet werden. Statt "Was hättest du getan?" muss es heißen: "Wie willst du dich heute verhalten?"

Eine TV-Kritik von Lars Langenau

Der Film "Unsere Mütter, unsere Väter" bewegt. Trotz aller Schwächen hat die ZDF-Trilogie gezeigt, dass während des Zweiten Weltkriegs die meisten Deutschen weder gut, noch ganz schlecht waren. Ein guter Mensch kann Verrat üben, jeder kann zum Mörder werden oder zum Helden. Das ist natürlich etwas, an das uns kurz vor Ostern auch das Leiden Jesu erinnern könnte. Doch nun also ein TV-Ereignis zum Zweiten Weltkrieg, über Geschehnisse von vor 70 Jahren.

Man kann sich fragen, ob der Titel passte, ob "Unsere Großeltern" nicht besser gewesen wäre. Doch die Auseinandersetzungen, die jetzt an den Küchentischen folgen, könnten spannend sein. Angesichts einer Wehrmacht, an der sich im Laufe der sechs Kriegsjahre mehr als 18 Millionen Deutsche beteiligt hatten, dürften noch viele Erinnerungen zu finden sein.

Vielleicht erreicht das, was da vergangene Woche im ZDF zur besten Sendezeit lief, die Dimension der US-Serie "Holocaust" von 1978 und löst tatsächlich wieder einmal eine gute, wichtige Diskussion aus, wie es all die guten und schlechten Bücher über den Zweiten Weltkrieg nicht vermochten. "Man muss die Wunde gelegentlich aufstechen, damit sie nicht vereitert", zitiert Günther Jauch in seiner ARD-Talkshow den Spiegel.

Wobei Talkshow diesmal nicht ganz passt, es ist eher der Versuch eines unaufgeregten Gesprächs ohne Showcharakter. Es ist natürlich ambitioniert, 60 Minuten, von 21.45 bis 22.45 Uhr, über Nationalsozialismus und Zweiten Weltkrieg zu reden. Aber dumm war es nicht, was geredet wurde.

"Wir mussten nur Befehle ausführen"

Jauchs Redaktion hat Rolf Weiss ausfindig gemacht, der mit 18 Jahren zur Wehrmacht eingezogen worden war und zwei Jahre an der Ostfront gekämpft hatte. Er sagte Dinge wie "Schuld? Wir, als kleine Landser, mussten nur Befehle ausführen!" Und "die jungen Leute haben keine Ahnung was da eigentlich los war", "wir haben nicht die Leute gezählt, die wir getötet haben" und "die reine Wahrheit wird nie zu Tage kommen." Damit spricht er aus, warum die nachfolgenden Generationen das Gespräch mit den Alten so lange vermieden hatten. Denn es waren ganz normale Leute, die sich in Bestien verwandelt hatten und die danach wieder zu anscheinend ganz normalen Leute wurden.

Der jüngste Teilnehmer dieses öffentlichen Lautsprechdenkens bei Jauch verwehrt sich gegenüber einer Aneinanderreihung von Anekdoten und liefert auch noch die klügsten Beiträge: Moritz Pfeiffer, 30, hat die Kriegsgeschichte seines Großvaters aufgeschrieben. Der Historiker des Kreismuseums Wewelsburg sagt, sein Opa sei ein liebenswürdiger Mensch gewesen - und habe doch mitgemacht in der verbrecherischen Kriegsmaschinerie und dann vieles verharmlost. Je länger die Gespräche mit seinem Großvater dauerten, um so realer seien seine Erinnerungen geworden. Nachdem er lange abgestritten habe, etwas von dem Mord an den Juden und den Gräuel der deutschen Soldateska gewusst zu haben, rückte er nach und nach mit seinem Wissen von dem Wüten der Sicherheitsgruppen und der SS raus.

Pfeiffer ist es dann auch, der die Frage "Wie hättest Du gehandelt?" zurückweist, weil diese völlig spekulative Frage niemand heute ernsthaft beantworten könne. Stattdessen müsse man diese Frage in Bezug auf Gegenwart und Zukunft stellen: Wie willst Du Dich verhalten?

Auch zwischen 1933 und 1945 war es mal schön

Jauch ist ein sensibler Gesprächsleiter, der nur einmal eine falsche Analogie benutzt, als er sich aus dem berühmten Buch von Ernst Jünger "In Stahlgewittern" über den Ersten Weltkrieg bedient. Gut bindet er SPD-Chef Sigmar Gabriel ein, der kürzlich in der Zeit offenbarte, dass sein vor einem Jahr verstorbener Vater zeit seines Lebens überzeugter Nazi war.

Gabriel hatte versucht, Gespräche mit seinem Vater zu führen. Doch der warf ihm nur vor, er sei "Opfer amerikanischer Umerziehung", Juden und Polen seien am Zweiten Weltkrieg Schuld gewesen und die Konzentrationslager seien Nachbauten der Amerikaner. Nie sei er einsichtig gewesen: "Mein Vater hätte dann ja sein ganzes Leben in Frage stellen müssen", sagt Gabriel.

Vernichtungskrieg im Osten
:"Die Wehrmacht war an allen Verbrechen beteiligt"

Historiker Christian Hartmann schildert die Arbeitsteilung zwischen SS und der Wehrmacht bei Massenmorden an der Ostfront.

Oliver Das Gupta

Der Sozialdemokrat wehrt sich bei Jauch dagegen, dass alle hätten mitmachen müssen: "Es gab auch andere Menschen, die Nein gesagt haben." Dass das die Ausnahme war und nicht jeder Willy Brandt oder Otto Wels heißt, war ihm auch klar. Eine ehemalige Schreibkraft im Lazarett, Elm Lalowski, holt ihn wieder auf den Boden zurück, als sie sagt, sie habe mit ihrer Familie nie über diese Zeit gesprochen. "Vom Grauen habe ich nichts gewusst." Und: "Wir waren jung, es gab ja auch schöne Sachen dabei."

Auch solche harmlos gemeinten Aussagen der 91-Jährigen erleichtern nicht unbedingt den Diskurs zwischen den Generationen. Dass zwischen 1933 und 1945 auch mal die Sonne schien, es auch schöne Momente gegeben hat, ist auch denen bewusst, die die Gnade der späten bis sehr späten Geburt erfahren haben. Die auch eingeladene Ex-Schauspielerin, Autorin und Ex-Grünen-Politikerin Barbara Rütting, 85, stellt die ganze Ambivalenz der Deutschen dar, als sie vom Aufbruch und Idealismus dieser Zeit spricht, vom "Führer" ohne Anführungszeichen und sogar noch Gebete für Adolf Hitler rezitieren kann.

"Ganz normale Jungs"

Der Schriftsteller Dieter Wellershoff, Jahrgang 1925, Kriegsfreiwilliger und nach dem Krieg dann Angehöriger der von dem Soziologen Helmut Schelsky analysierten "skeptischen Generation", sagt bei Jauch, dass er persönlich keine Verbrechen begangen habe und den Krieg "als Verhängnis erlebt" habe. "Wie ein Korken im Ozean", sekundiert Jauch. Wellershoff gesteht offen: "Ich weiß nicht, wie ich mich verhalten hätte." Etwa bei einem Massaker in Italien, an dem viele seiner Kameraden teilgenommen hätten. Und er sagt, das waren keine Sadisten, die sich freiwillig für Erschießungskommandos meldeten. "Das waren ganz normale Jungs."

Erinnerung stirbt aus, wenn man sich nicht um sie bemüht. Dann beginnt eine rätselhafte Zeit der Geschichtsvergessenheit. Deshalb müssen diese Gespräche an den Küchentischen weitergeführt werden, solange das noch möglich ist. Auch wenn es meist schwierig und manchmal unmöglich ist. "Unsere Mütter, unsere Väter" könnte ein Anfang sein, für vieles, was bislang versäumt wurde.

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