Frauenzeitschriften:Die Mär vom "einfachen Leben"

Junge Frau Twen sitzt am Boden an Holzbalken gelehnt liest model released *** Young woman twen

Die Frauen, die den Magazinen vorgestellt werden, betreiben Foodtrucks, rühren Naturkosmetik an, basteln Geburtstagskarten und nähen alte Bettwäsche zu Blusen um.

(Foto: imago/allOver)

Aktuellen Frauenzeitschriften gelingt eine Umdeutung, wie sie nur der Kapitalismus ausbrüten kann: Der Weg zum Weniger führt über das Mehr.

Von Silke Burmester

Damit Hans im Glück sein Seelenheil fand, musste er ganz schön weit gehen. Und zunächst schwer an seinem "kopfgroßen" Klumpen Gold tragen. Aber er fand zuverlässig jemanden, der sein Gut in immer minderwertigere Dinge tauschte, bis er zum Schluss auch noch die Steine verlor, die er gegen seine Gans gehandelt hatte, und er glücklich befreit von der Last des Besitzes nach Hause ging.

So viel Weg muss die moderne Frau nicht zurücklegen. Will sie sich von der Last des Zuviels befreien, kann sie einfach ins Zeitschriftenregal nach einem Heft wie Slow oder Flow greifen, Happinez, Fogs oder Servus. So kann sie "Runterkommen". "Genießen". "Einfach. Gut. Leben". Oder, greift sie zu Hygge, ein Wort, das bei den Großmeistern des Glücks, den Dänen, für "gemütlich", "behaglich", "geborgen" steht: "Einfach glücklich sein".

Jahrzehntelang hatten Zeitschriften sehr erfolgreich damit Geld verdient, dass sie Leserinnen nahelegten: Ich forme mein Ich durch die Dinge, die ich erwerbe; jetzt wollen Verlage auch dadurch Geld verdienen, dass ihre Zeitschriften die Losung ausgeben: Ich forme mein Ich durch Verzicht. Ich finde mein Glück im Einfachen. Und weil die moderne Frau vom vielen Klimbim, den Kindern, dem Mann und dem Internet ganz wuschig ist, braucht sie dafür Anleitung. Die liefert Flow. Und Slow. Und Servus. Servus kommt aus Österreich, aus dem Red Bull Media House, und sein Motto "Einfach. Gut. Leben." wird in dem großformatigen Magazin anschaulich nahegebracht. Etwa, wenn die Leserin in das "zauberhafte Schloss Amerang im Chiemgau" entführt wird. "Freiherr und Freifrau zu Crailsheim bitten zum Gespräch" und lassen sich dabei nicht nur mit ihrem Pferd in der Küche beim Essen einer Banane fotografieren, sondern sagen auch, wie das so geht mit dem einfachen Leben: "Schön ist, wenn man ein Schloss besitzt. Noch schöner ist, wenn man ein Schloss und Geschmack besitzt. Da sind wir jetzt."

Um weniger Stress zu haben, soll die Frau vor allem mehr tun

Wer da noch nicht ist, bekommt fünf Seiten weiter eine Anleitung für "Himmlische Herbergsbesuche - Dieses Jahr häkeln wir unsere Weihnachtskrippenfiguren einfach selbst." Jesus sieht zwar aus, wie die Raupe Nimmersatt nach der Verpuppung - aber gefragt sind ja die einfachen Dinge.

Den Zeitschriften gelingt mit der Mär vom "einfachen Leben", ihren gefühligen Fotos mit viel Gegenlicht und Kuchenkrümeln auf Holzbrettern, eine Umdeutung, wie sie nur der Kapitalismus ausbrüten kann: Der Weg zum Weniger führt über das Mehr. Um weniger Stress zu haben, weniger Zeit zu verdaddeln, weniger die Umwelt zu belasten, soll die Frau vor allem mehr tun. Mehr Schränke bemalen. Mehr Brot backen. Mehr Korn mahlen. Mehr Kilometer zurücklegen, um dahin zu kommen, wo die Körner in Mehrwegverpackungen verkauft werden. Sie soll unablässig kochen, basteln und ihren Lebensraum verschönern, für Freunde und Familie da sein.

"Wenn wir gemeinsam Zimtsterne backen, Kalender befüllen, zeigt uns das: Wir gehören zusammen", rührselt Hygge über "geliebte Weihnachtsrituale", auf die die betreffende Autorin, offensichtlich bisher verschont von den Folgen des einfachen Lebens, "niemals verzichten könnte". Die Frauen, die vorgestellt werden, betreiben Foodtrucks, rühren Naturkosmetik an, basteln Geburtstagskarten und nähen alte Bettwäsche zu Blusen um. Es ist ein Frauenbild, als säße Adolf Hitler unterm Tisch und mache Familienpolitik. Während draußen die Welt Einmischung und politisches Engagement bräuchte, wird das Zuhause zum Flausch-Bunker hergerichtet.

Das "einfache Leben" bleibt ein Leben in der Komfortzone

Do it yourself, Re- oder Upcycling, Aussortieren - das Propagieren des Weniger ist für Verlage ein ungewöhnlicher Weg, leben sie doch von Werbeanzeigen, die zum Kauf neuer Dinge führen sollen.

Der allgemeine Anzeigenrückgang trifft die gesamte Printbranche hart, doch fällt auf, dass selbst eine so erfolgreiche Zeitschrift wie Gruner + Jahrs Flow mit einer starken hauseigenen Vermarktungsagentur im Rücken bei einem Umfang von 140 Seiten nur 13 Seiten Werbung enthält, die keine Eigenanzeigen sind. Bei einer Auflage von 96 851 Exemplaren und einem Verkaufspreis von 7,50 Euro dürfte der Verlag trotzdem sehr gut über die Runden kommen. Hygge kommt selbst in der Weihnachtsausgabe bei 164 Seiten gerade mal auf 8,5 Seiten Anzeigen, Slow aus dem Emotion-Verlag auf 13 bei 116 Seiten Umfang. Lena Wohnen Hygge kommt völlig ohne Anzeigen aus, jenes ganz neue Wohnmagazin aus der OZ-Verlagsgruppe, das G + J so erzürnte, weil ihre Macher es sich erlaubten, das Wort "Hygge" in den Titel zu nehmen. Frances Evens, CEO, nennt die Lena-Ausgründung eine "Probefahrt". Entsprechend gehe "es hier noch nicht um den Verkauf von Anzeigen", sondern darum, "ob dieses Thema bei unserer gewünscht anspruchsvollen Community ankommt."

Heiko Hager, Executive Director, also Gesamtanzeigenleiter bei G + J, sagt über die Herausforderung, mit Anti-Konsum-Titeln Anzeigen zu generieren: "Viele Werbungtreibende schätzen die positive Grundstimmung von Titeln wie Flow und Hygge." Als Anzeigenkunden kommen vor allem Markenartikler infrage, "die in ihrer Kommunikation die Themen Nachhaltigkeit, Entschleunigung, Achtsamkeit, Natürlichkeit und Regionalität besetzen." Ein Blick auf die üblichen Anzeigen von Frauenzeitschriften zeigt: Viele sind das noch nicht. Und weil obendrein viele Produkthersteller aus dem Bereich "einfaches Leben" lieber ins Netz gehen, als im klassischen Print zu werben, bedeutet das für Verlage oft, dass der Businessplan eines solchen Magazins auf Vertriebserlöse setzen muss, also auf höhere Verkaufspreise statt auf Anzeigen. Werberückgänge sind ein Thema in der gesamten Printbranche, die Achtsamkeits-Hefte reagieren darauf mit seltener Konsequenz.

Leserinnen sollen Bücherriemen kaufen, Birkenstockschuhe und Erfolgsratgeber

Wenn sie nicht doch hie und da Produktseiten ins Heft integrieren. Die bringen nicht viel, helfen aber, eine gewisse Konsumfreude zu transportieren. So erklärt sich etwa, dass in Slow für das im Editorial angepriesene "Runterkommen" die Seiten "Besser leben" eingerichtet wurden, auf denen die Leserin erfährt, wie sie die angestrebte Einfachheit umsetzt: Etwa, indem sie ihre Arbeitsmaterialien und das iPad mittels eines "personalisierten" Bücherriemens für 130 Euro statt einer Tasche durch die Gegend trägt, schwarz-weiß gemusterte Birkenstockschuhe an den Füßen hat und das "Female Founders Book" kauft, um zu lernen, wie Erfolg geht.

Das "einfache Leben" bleibt ein Leben in der Komfortzone. Es ist ein neuer, aufs Private und Häusliche ausgerichteter Lifestyle einer satten Wohlstandsgesellschaft. Wirklichen Verzicht will hier keiner. Es sind Brot und Spiele für eine Generation von Frauen, die gegen die Umstände ihrer Erschöpfung, den Verursacher der Überforderung nicht rebelliert. Die prekäre Arbeitsverhältnisse und ein Auspressen bis zum Burn-out widerstandslos hinnimmt. Und sich einreden lässt, sie müsse nur mal Backen, dann gehe es schon wieder. So dämlich wäre Hans im Glück nie gewesen.

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