Weltweites Fernsehen im Netz:Wer ist eigentlich dieser Schweighöfer?

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Netflix will mit global verbreiteten Sendungen US-Polizisten ebenso unterhalten wie Tom und Veit aus Deutschland - Mücke (l.) und Schweighöfer in dem Roadmovie Friendship. (Foto: Sony)

Globaler Ruhm ist selten. Für Netflix, Amazon und Co. ist es eine große Herausforderung, Shows und Serien für die ganze Welt zu produzieren - und die auch noch zu vertreiben.

Von Jürgen Schmieder, Los Angeles

Die Frage ist: Ist das witzig? Die Komikerin Chelsea Handler beginnt ihre Talkshow Chelsea mit dem Witz: "Ich bin wie eine coole Uni-Professorin, mit der man vor, nach und während der Vorlesungen high werden kann. Und mit der man Sex hat."

Dann gibt es einen Einspieler über die fiktive Universität des Streamingdienstes Netflix, der mit oralem Geschlechtsverkehr endet, gleich danach verkohlt Handler den amerikanischen Bildungsminister John B. King, der neben ihr auf der Couch sitzt und die Entlassung jenes Pressesprechers plant, der ihn in diese Sendung gesetzt hat.

Also, ist das witzig? Natürlich ist die Frage völlig unsinnig: Weswegen sich der eine vor Lachen beinahe in die Hose macht, findet der andere fad. Und doch ist diese Frage entscheidend für Netflix, weil es Chelsea in 190 Ländern gleichzeitig veröffentlicht hat und auf weltweiten Erfolg hofft.

Aber finden es Japaner witzig, wenn Coldplay-Sänger Chris Martin ein Lied für die Moderatorin singt? Freuen sich Inder, wenn die Schauspielerin Drew Barrymore ein Glas Wein trinkt? Und wie viele Deutsche wissen überhaupt, wer John B. King ist? Oder, mal ehrlich, Chelsea Handler?

Die Sendung, deren 90 Episoden bis zum Jahresende jeweils von Mittwoch bis Freitag um neun Uhr (MESZ) bereitgestellt werden, ist Teil des gewaltigen Versprechens, das Netflix-Chef Reed Hastings im Januar auf der Technologiemesse CES in Las Vegas abgegeben hat. "Sie werden Zeuge der Geburt des ersten weltweiten Fernsehsenders", hat er damals gesagt und damit eine deutliche Botschaft geschickt - nicht nur an die amerikanischen Konkurrenten, sondern ans TV weltweit.

20 Sprachen und 50 Videoformate in 190 Ländern gleichzeitig

Netflix will seine Inhalte nicht wie herkömmliche TV-Sender über internationale Lizenzen vertreiben, sondern sie dem Zuschauer selbst anbieten. So wie das Portal über das Wann-und-wo-immer-Gucken die Rezeption von Film und Fernsehen drastisch verändert hat, so will es nun verändern, wie diese Produkte vertrieben werden.

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Chelsea, das erste große Experiment für Hastings' weltweiten Sender wird jeweils zwei Tage vor Veröffentlichung aufgezeichnet, innerhalb von 36 Stunden in 20 Sprachen übersetzt, manchmal synchronisiert, in 50 verschiedene Videoformate konvertiert und schließlich in 190 Ländern gleichzeitig bereitgestellt. Bei Erfolg sollen weitere Projekte folgen. Die Spielshow Ultimate Beastmaster ist schon in der Produktion.

Ob das Experiment gelingt, wissen nur die Mitarbeiter von Netflix: Das Unternehmen veröffentlicht keine Zuschauerzahlen. Um die jedoch geht es bei Netflix und den Konkurrenten Hulu, Amazon Video oder HBO längst nicht mehr, es geht darum, eine Infrastruktur zu schaffen und die Mittelsmänner loszuwerden.

Die Portale sind gewaltige Videotheken, zu denen jeder unbegrenzten Zugang hat, der den Monatsbeitrag zahlt. Es ist ein bisschen wie in der Stadtbücherei, in der man sich so viele Bücher ausleihen kann, wie man möchte - nur teurer.

Offenbar scheint es aber doch noch nicht so richtig zu klappen mit der Welt-Revolution, wie Hastings nun einräumen muss. Netflix veröffentlicht als börsennotiertes Unternehmen zwar keine Quoten, aber ein paar andere interessante Zahlen.

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In den USA etwa gibt es mittlerweile knapp 47 Millionen Abonnenten, in den anderen 189 Ländern jedoch nur insgesamt 34,5 Millionen. Für das laufende Quartal prognostizierte Hastings nur noch einen Zuwachs von zwei Millionen, erwartet wurden 3,4 Millionen.

Netflix braucht dringend mehr exklusive Inhalte, das Unternehmen investiert deshalb allein in diesem Jahr mehr als fünf Milliarden Dollar in eigene Formate, die dann ausschließlich auf Netflix gezeigt werden. "Wir haben jeweils eine Sendung in Deutschland, Frankreich, Spanien, Italien, dazu mehrere in Japan und Brasilien - aber das müssten fünf oder zehn Mal so viel sein", sagt Hastings: "Wir müssen Inhalte lokal produzieren, sie aber weltweit verfügbar machen."

Vielleicht sind doch Inhalte für den kleinen Markt notwendig

Das Ziel sei, jeden Tag jeweils eine neue Staffel oder Show zu veröffentlichen. Die Quote für europäische Produktionen, die die EU-Kommission gerade für die Streamingdienste diskutiert, wollen die Portale ohnehin erfüllen. Das müssen sie vermutlich aber auch, um in diesen Ländern relevant zu bleiben oder es zu werden.

Sie müssen Inhalte produzieren, die möglicherweise dann doch nicht weltweit erfolgreich sind, sondern nur in dem kleinen Markt, für den sie produziert werden. Oder, um bei der Eingangsdebatte zu bleiben: Wie viele Menschen außerhalb Deutschlands wissen schon, wer Matthias Schweighöfer ist, der gerade für Amazon die Serie You Are Wanted produziert?

Netflix hat das Wettrüsten um die Gunst der weltweiten Zuschauer begonnen, aber andere ziehen nach. Der damalige CEO des Streamingportals Hulu, Jason Kilar, kündigte schon vor ein paar Jahren an: "Wir werden nicht zufrieden sein, bis das hier ein globales Angebot ist."

Derzeit gibt Hulu sechs Milliarden Dollar für eigene Serien und Zukäufe aus, ein Drittel mehr noch als Amazon. Aber auch der Pay-TV-Sender HBO (zwei Milliarden Dollar für eigene Inhalte) will gerne weltweit streamen und hat deshalb das Portal HBO Now gestartet.

Mittlerweile haben sich sogar traditionelle Sender der Revolution angeschlossen, den Comedy-Dienst Seeso von NBC etwa gibt es in den USA gegen einen Aufpreis von vier Dollar bei Amazon.

Sie alle haben eins gemein: Sie wollen ihre Inhalte nicht mehr lizenzieren, sondern selbst an die Zuschauer bringen. Für deutsche Fernsehsender könnte das bedeuten, dass es schwieriger wird, Programmstunden mit Sitcoms und Krimiserien aus den USA zu füllen.

Schon jetzt sind die Sender hierzulande unter Druck, die einzelnen Folgen möglichst schnell zu veröffentlichen. Einer Studie von IHS Technology zufolge ist die durchschnittliche Wartezeit im vergangenen Jahr von 170 auf 61 Tage geschrumpft. Doch selbst das ist im Zeitalter des Immer-und-überall-verfügbar eine Ewigkeit.

Einfach umschalten - auf einen anderen der weltweiten Fernsehsender

Es klang so einfach und optimistisch, als Reed Hastings im Januar die Geburt des ersten weltweiten Fernsehsenders verkündete. Dieser Sender, er muss sich außerhalb der USA nun tatsächlich beweisen.

Deshalb noch einmal zurück zur Ausgangsfrage: Wer es nicht lustig findet, wenn Chelsea Handler mit dem amerikanischen Fußballer Robbie Rogers darüber diskutiert, warum Fußball in den USA "Soccer" heißt und nicht "Football", der wird wohl kein Fan dieser Sendung. Er wird nicht wie früher umschalten, sondern vielleicht ein anderes Streamingportal nutzen. Einen anderen der neuen, weltweiten Fernsehsender.

© SZ vom 16.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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