Globales Fernsehen:Freunde sind die bessere Quote

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Wie im Fernsehen ein neuer Mainstream entsteht, lässt sich gut beobachten, wenn mal wieder eine neue Staffel "Game of Thrones" startet. Die Logik der sozialen Netzwerke ist längst zum Marktfaktor geworden.

Von Jürgen Schmieder

Es gibt ja im Fernsehen kaum noch Programmsprecher, vielleicht auch, weil es kaum noch Programm gibt, bei dem alle Familienmitglieder gebannt oder gelangweilt (weil sonst nichts anders kommt) auf diese Kiste im Wohnzimmer starren. Deshalb eine Ansage: Verehrte Leser, am Samstag startet in den Vereinigten Staaten die sechste Staffel von Game of Thrones, in Deutschland wird sie einen Tag später auf dem Sender Sky Atlantic HD zu sehen sein.

Game of Thrones gehört zum Besten, was derzeit im TV, auf Streamingportalen, Online-Kanälen oder sonstwo zu sehen ist. Zur Premiere dürften mehr als neun Millionen Amerikaner einschalten, über On-Demand-Funktionen und Wiederholungen werden innerhalb einer Woche mehr als 20 Millionen Zuschauer erwartet. Für den Pay-Sender HBO sind das grandiose Zahlen.

Sie widerlegen ein bisschen die Behauptung, dass es keinen Mainstream mehr gibt, schon gar nicht im Fernsehen. Massenprogramm ist dieser neue Mainstream zwar nicht immer - gemessen an den Zuschauerzahlen. Aber die Kolumnistin Ann Friedman fragte kürzlich in der Los Angeles Times: "Warum habe ich 30 Dollar bezahlt, um The Force Awakens in 3-D zu sehen, obwohl ich kein Star Wars-Fan bin? Ich habe The Jinx - die Doku-Serie über Robert Durst - nicht gesehen und mich gleich wie eine krasse Rebellin gefühlt." Friedman hatte auch gleich eine Antwort auf diese Fragen: "Heutzutage ist das soziale Netzwerk bedeutsamer als der Zeitgeist. Der Druck, sich seinen Freunden verbunden zu fühlen, ist größer als der, mit der kompletten Gesellschaft übereinzustimmen." Erfolgreich ist, was sich unter Freunden auf sozialen Netzwerken verbreitet.

Verpasste Folgen sind kein Problem mehr, man kann ja jederzeit aufholen. Jemand schwärmt bei Facebook von einer Serie. Eine Kollegin verschickt Musikvideos, Gedichte oder Fotomontagen von Jan Böhmermann. Kim Kardashian fordert per Snapchat auf, an ihrem Leben teilzuhaben. Der Nachbar torpediert einen mit Jimmy-Fallon-Streichen. Es entsteht gerade eine neue Form von Marktverhalten.

Natürlich können wir sehen, was wir wollen und wann wir wollen - aber wir sehen häufig das, was das Umfeld empfiehlt. In Hollywood wird deshalb darüber debattiert, wie sich angesichts einer Unmenge an Inhalten etwas produzieren lässt, das möglichst vielen Menschen gefällt und damit auch finanziell erfolgreich sein kann.

Die erste Folge von Game of Thrones am 7. April 2011 wollten 2,2 Millionen Amerikaner live sehen, die Serie war ursprünglich als Nischenprodukt für Fantasy-Fans gedacht. Als zwei Monate später die erste Staffel endete, hatten mehr als zehn Millionen Amerikaner diese erste Folge gesehen, fünf Jahre später sind es knapp 40 Millionen. Was da passiert ist, gilt als Blaupause für Serienvermarktung. HBO setzte von Beginn an darauf, mit den Fans auf sozialen Netzwerken zu kommunizieren, neben den üblichen Second-Screen-Angeboten wie Foren und Facebook-Account gab es gleich neun Pinterest-Boards mit Rezepten aus Westeros oder Fotos von den Dreharbeiten. Es gibt einen eigenen YouTube-Kanal, dessen Inhalte geteilt werden dürfen, Twitter-Profile und einen Blog auf Tumblr mit den schönsten Fan-Gemälden.

Amazon setzt auf die Strategie, das Publikum abstimmen zu lassen, welche Projekte in Serie gehen. "Ich war total nervös, weil das Scheitern öffentlich stattgefunden hätte", sagt Frank Spotnitz, dessen Serie The Man in the High Castle vom Publikum für gut genug bewertet wurde: "Bei Erfolg ist das natürlich angenehm, weil man dann weiß, dass es bereits eine Fangemeinde gibt." Der Kabelsender AMC dagegen hielt trotz schwacher Quoten an Breaking Bad fest, weil die Fans auf Twitter lebhaft debattierten. Bei der Serie Scandal unterhielt sich Hauptdarstellerin Kerry Washington während der Ausstrahlung live auf Twitter mit Fans, bei Bones gibt es eine App, auf der die Drehbuchautoren ihre Entscheidungen begründen. Die Produzenten von Pretty Little Liars verschicken Vorschauen und versteckte Hinweise, die von Fans an Freunde verschickt werden.

"Was sich für uns Produzenten verändert hat: Es geht nicht mehr darum, möglichst viele Menschen zum Einschalten zu bewegen - über einen Cliffhanger oder die Ankündigung einer schockierenden Geschichte", sagt Breaking Bad-Erfinder Vince Gilligan: "Du musst die Leute dazu bewegen, dass sie über eine Figur oder auch die gesamte Show sprechen wollen." Kurz: dass sie ihr soziales Netzwerk darauf hinweisen. Bei Game of Thrones wurde das Startdatum der neuen Staffel verkündet, aber Journalisten durften keine einzige Folge vorab sehen. Die Verbreitung übernehmen die Fans, sodass nun alle wissen: Am Samstagabend US-Zeit, da gibt es neuen Stoff. Wer es verpasst, der ist selbst schuld.

© SZ vom 01.03.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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