Doku über Antisemitismus:Trotz handwerklicher Fehler: ARD zeigt umstrittene Doku

Auserwählt und ausgegrenzt - Der Hass auf Juden in Europa

Szene in Auserwählt und Ausgegrenzt - Der Hass auf Juden in Europa: Anti-Israel-Demo in Berlin.

(Foto: WDR/Preview Production GbR)

Ein Film über Judenhass wird produziert, aber nicht gesendet. Jetzt strahlt die ARD den Film doch aus - und geht erst nachträglich möglichen Ungenauigkeiten nach.

Von Matthias Drobinski

Sie wissen bestimmt, dass die Juden an allem Unglück dieser Welt schuld sind - sogar am Untergang der Titanic". "Der Untergang der Titanic? Das war doch ein Eisberg!" "Eisberg, Goldberg, Rosenberg, ist doch alles das Gleiche, sage ich!" So geht sie los, die Arte-Dokumentation Auserwählt und ausgegrenzt - der Hass auf Juden in Europa.

Sie kommt zum Palästinenserpräsidenten Mahmoud Abbas und von dort zu Julius Streicher, Adolf Hitlers oberstem Hetzer gegen die Juden. Von dort geht es stracks zum Deutschen Evangelischen Kirchentag und der Hilfsorganisation "Brot für die Welt", zum rechtspopulistisch gewendeten Publizisten Jürgen Elsässer und zu linksautonomen Pro-Palästina-Demonstranten.

Bald stehen die Filmautoren Sophie Hafner und Joachim Schroeder vor dem Tor zum Gazastreifen, in dem die islamistische Hamas herrscht, um schließlich in Frankreich zu landen, bei Juden, die planen, das Land zu verlassen.

Es wäre nicht der erste Film im Öffentlich-Rechtlichen, der aus dem Zorn der Autoren entstand

Das also ist er, der Gegenstand des Streits: 90 übervoll gestopfte Minuten über die Frage, ob es linken Antisemitsmus gibt und wie er sich äußert, darüber, ob Hilfsorganisationen vor lauter Solidarität mit den Palästinensern die Frage vergessen, wen sie da wirklich unterstützen, Exkurse über mehrere Jahrhunderte Judenhass und die Wurzeln des Nahostkonflikts inklusive.

Der Auftraggeber Arte hatte den vom WDR verantworteten und dort bereits abgenommenen Film zurückgehalten: er sei anders als vereinbart ausgeführt, der WDR meldete "handwerkliche Bedenken" an.

Als dies öffentlich wurde, gab es einige Entrüstung: Josef Schuster, der Präsident des Zentralrats der Juden, forderte, dass die Sendung gezeigt werden müsste, die Historiker Michael Wolffsohn und Götz Aly warfen dem Sender Feigheit und Zensur vor, das Internet-Portal Bild.de stellte eine offenbar nicht ganz fertige Version des Films ins Netz.

Das Beste, was der WDR tun konnte

Der WDR hat nun nachgegeben. Am Mittwochabend wird die Doku in der ARD ausgestrahlt, danach folgt eine Diskussion bei Maischberger. Festgestellte Mängel im Film würden "thematisiert und kommentiert", erklärt der WDR. Es kann also jeder selber den Film sehen und ihn gut oder schlecht finden. Das ist das Beste, was der Sender tun konnte: den Film der Filmkritik zugänglich zu machen.

Und da lässt sich sagen: Die Sendung ist weniger eine Dokumentation, sondern vielmehr ein Statement und auch eine Polemik. Eine Dokumentation soll dokumentieren, was der Reporter zusammengetragen hat. Sie braucht nicht meinungsfrei sein, soll dem Zuschauer aber doch Gelegenheit geben, sich selber ein Bild zu machen, ein eigenes Verhältnis zum Gezeigten zu finden.

Sophie Hafner und Joachim Schroeder wollen das nicht. Der Zuschauer soll auf ihrer Seite stehen. Er muss, denn auf der anderen stehen Julius Streicher und die Hamas, mögen sie auch im lila Gewand von unbedarften Kirchentagsmitwirkenden daherkommen. Es geht nicht um Argument und Gegenargument, es geht um Enttarnung und Demaskierung, um die Aufrüttelung der Ahnungslosen.

Nun wäre es nicht der erste Film, der aus dem Zorn der Autoren heraus entstanden ist. Und Antisemitismus ist ohne Frage ein Thema, das Zorn verdient hat; über Judenfeindschaft lässt sich schwerlich differenziert berichten.

Notwendige Einordnungen - Fehlanzeige

Wohl aber ist Differenzierung nötig, wenn es um Antisemitismusvorwürfe geht, oder um die Frage, wo eine Israelkritik sich antisemitischer Stereotype bedient oder ganz ins Antisemitische kippt. Unterscheidung braucht es auch, wenn es darum geht, historische Zusammenhänge zu erklären und Geschichte nicht einfach als Steinbruch zur Untermauerung der eigenen Meinung zu sehen.

Hier hapert es bei den Filmemachern. Die Geschichte der Flucht, Umsiedlung und Vertreibung der Palästinenser von 1948 erzählt ein israelischer Veteran mit leuchtenden Augen - als hätte es hier nicht Historiker gegeben, die das seriöser und informierter können.

Wichtigste Informationsquelle der Autoren ist, was die Arbeit der Hilfswerke im Gaza-Streifen und dem Westjordanland angeht, die israelische Organisation NGO-Monitor - sie steht der Regierung von Benjamin Netanjahu nahe. Das macht die Informationen nicht automatisch falsch, sauber wäre aber eine entsprechende Einordnung gewesen, die der Film nicht liefert.

Die Vielzahl der Fehler lässt ein Unbehagen beim Zuschauer wachsen

Gezeigt wird ein unsäglicher antisemitischer Ausspruch des Mitarbeiters einer Organisation, die von Brot für die Welt unterstützt wird; unterschlagen wird aber die Darstellung der Hilfsorganisation, dass der Mann 2014 genau deswegen entlassen wurde.

Es ist die Vielzahl dieser handwerklichen Fehler, die das Unbehagen beim Zuschauer wachsen lässt und den Eindruck verstärkt, dass dieses Handwerk den Autoren auch nicht wichtig ist - es nimmt doch nur den Schwung, wenn man die Gegenseite zitiert, es kostet doch nur Sendeplatz, wenn man dem Zweifel Raum gibt. Und dann geht es irgendwann nicht mehr einfach ums Handwerk, um eine schräg eingedrehte Schraube oder falsch eingebaute Tür. Es klemmt die ganze Konstruktion.

Das ist schade - und mehr noch: Es ist ein Schaden. Denn das Thema ist tatsächlich einen Film wert, der scharfe Fragen stellt und hart recherchiert. Es gibt einen wachsenden Antisemitismus, der als Israelkritik getarnt daherkommt: Wenn Zionismus und Nationalsozialismus gleichgesetzt werden, wenn "die" Israelis als Tätervolk diffamiert werden und Palästinenser nur Opfer sind.

Es gibt berechtigte Fragen an die Arbeit der Hilfsorganisationen in den Palästinensergebieten, es gibt eine Palästina-Solidaritäts-Szene, die nur die eine Seite wahrnimmt und nicht die andere.

Bestimmte Geschichten hätte es mehr geben sollen

Und es gibt vor allem Juden, die sich in Europa nicht mehr heimisch fühlen und ausgegrenzt, die sich nicht mehr trauen, mit Kippa durch die Stadt zu gehen, aus Angst, verprügelt zu werden, deren Kinder aus staatlichen Schulen gemobbt werden - auch, weil muslimische Jugendliche denken, sie würden hier nur die Mehrheitsmeinung in die Praxis umsetzen.

Der Film hat eindrucksvolle und starke Szenen. Die bedrückendsten und am stärksten berührenden sind jene aus dem Pariser Vorort Sarcelles, wo eine Pro-Palästina-Demonstration 2014 zum Pogrom wird, wo aus dem Inneren einer belagerten Synagoge heraus zu sehen ist, wie draußen der Mob tobt, wie jüdische Jugendliche erzählen, dass dieses Frankreich nicht mehr ihre Heimat sein kann. Solche Geschichten hätte es mehr geben sollen.

Es hätte ein guter, strittiger und auch zu Recht unangenehmer Film werden können. Zensur ist immer eine schlechte Sache. Redaktionelle Bearbeitung dagegen nicht. Sechs Rechercheure gehen derzeit den Behauptungen nach, die im Film aufgestellt werden, sagt der WDR. Da staunt man nun doch und denkt: jetzt erst?

Auserwählt und ausgegrenzt - der Hass auf Juden in Europa, ARD, Mittwoch, 22.15 Uhr; anschließend um 23.45 Uhr der Talk Maischberger zum Thema.

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