Zum Siegeszug der Grünen:Stunde der Heuchler

Auch ein Porsche Cayenne eignet sich dazu, Altglas zum Container zu bringen: Im Siegeszug der Grünen drücken sich die Widersprüche aus, in denen der westliche Mensch heute steckt.

Johan Schloemann

Auch ein Porsche Cayenne eignet sich dazu, das Altglas zum Container zu bringen. Ein Porsche Cayenne ist aber sehr, sehr schlecht für die Umwelt. In der Standardausstattung hat das Auto 290 Pferdestärken. Das ist völliger Wahnsinn. Aber dieser Wahnsinn, den die Porsche AG mit Sitz in Stuttgart-Zuffenhausen produziert, verschafft rund 7500 Vollzeitbeschäftigten in Deutschland einen sicheren Arbeitsplatz.

Zum Siegeszug der Grünen: Blick in die Solarsiedlung des Freiburger Quartiers Vauban. In dem teilweise autofreien Stadtteil erreichten die Grünen bei der baden-württembergischen Landtagswahl am vergangenen Sonntag mehr als 70 Prozent der Wählerstimmen.

Blick in die Solarsiedlung des Freiburger Quartiers Vauban. In dem teilweise autofreien Stadtteil erreichten die Grünen bei der baden-württembergischen Landtagswahl am vergangenen Sonntag mehr als 70 Prozent der Wählerstimmen.

(Foto: APN)

Wird nun der neue grüne Ministerpräsident von Baden-Württemberg, der im Wahlkampf eine grünere Automobilindustrie gefordert hat, hingehen und die Porsche-Werke von einem auf den anderen Tag schließen lassen? Konsequent wäre es.

Wenn die Partei der Grünen im Kern des südwestdeutschen Bürgertums angekommen ist, wie jetzt geschehen, wenn sie in den Kleinstädten über zwanzig Prozent liegt, wenn sie in den Großstädten und Universitätsstädten an die vierzig Prozent herankommt - dann wird das Grün der Grünen endgültig zum zeitgemäßen Ausdruck der Widersprüche, in denen der leidlich aufgeklärte Mensch der westlichen Welt heute steckt. Man könnte auch sagen: Es ist die Stunde der Heuchler.

Der global verbreitete urbane Lebensstil ist durch die Ökologie insgesamt in Frage gestellt: Mobilität durch Bildung, Pendelverkehr und Flugreisen, kapitalistische Produktvielfalt, Ästhetik des Konsums, Partizipation durch Wohlstand, leuchtende Städte, Massenmedien, der riesige Stromverbrauch des Internets, beheizte Wohnungen und warme Duschen - all das steht auf dem Spiel oder müsste massiv eingeschränkt werden, wenn die Gesellschaft tatsächlich radikal auf Nachhaltigkeit umgestellt würde.

All jene, die das ein bisschen erkannt haben und zugleich aber den westlichen, modernen Lebensstil im Ganzen nicht so gerne aufgeben wollen, wählen Grün.

Ökologisch korrigierte Lebensstile

Es geht bei diesem historischen Umbruch der Parteienlandschaft nicht so sehr um einen läppischen Bahnhof oder eine arrogante CDU, es geht noch nicht einmal nur um die Kernenergie. Es geht um die strukturell unvermeidliche Verlogenheit, wenn ökologisch korrigierte Lebensstile innerhalb des bestehenden Gesellschaftssystems als Wende zur generellen Veränderung verkauft werden.

Wenn die wohlhabenderen, gebildeteren, liberaleren Kreise sich im Kleinen bemühen, alles ein ganz bisschen sauberer und richtiger zu machen, und zugleich die großen Strukturfragen zur Gewissensentlastung an die Partei der Grünen delegieren. Wenn die biologisch wertvollere Lebensweise unterschwellig als soziales Distinktionsmittel dient, denn beim Aldi ist es ja wirklich so was von eklig. Die Grünen sind keine Chaoten und Aussteiger mehr. Die Grünen, das sind wir alle.

In Baden-Württemberg wird das Dilemma nun augenfälliger denn je. Viele Menschen wünschen sich aus ehrenwerten Motiven, dass die konsumptive, raumgreifende und gefährliche Dynamik der Moderne von den Grünen gebremst wird. Sie müssten aber, wären sie konsequent, eigentlich verlangen, dass zusammen mit den Atomkraftwerken auch gleich die Kohlekraftwerke und die Autofabriken abgeschaltet werden.

Es sind aber dieselben Menschen, die im Alltag die Grenzen des Wachstums beherzigen wollen und die zugleich ungemein erleichtert darüber sind, dass der Wirtschaftsaufschwung nach der Finanzkrise wieder in Gang gekommen ist, gerade im Südwesten.

Baden-Württemberg verdankt seine bemerkenswerte Prosperität seiner Industrie; allein die nicht sehr ökologieverdächtige chemische Industrie hat in Baden-Württemberg knapp 100.000 Beschäftigte und 28 Milliarden Euro Jahresumsatz. In jedem Winkel des Landes gibt es ein erfolgreiches mittelständisches Unternehmen, das mit großem Energie- und Rohstoffverbrauch Maschinen herstellt, die dann anderswo in der Welt ihrerseits wieder Energie verbrauchen, und das alles geschieht zum Wohle der Exportnation Deutschland und zum Wohle der Sparbücher und Karrierechancen jener Mittelklassen, die zu Hause ganz brav ihren Müll trennen.

Lesen Sie weiter auf Seite 2, wo die Grünen schon jetzt mehr als 70 Prozent bekommen.

Sieg einer neuen Aufrichtigkeit?

Das ist also das Lebensmodell, wenn die Grünen zur Mehrheitspartei werden: Der Mann arbeitet bei Bosch und macht irgendwelche klimaschädlichen Sachen - Bosch ist zum Beispiel der weltweit größte Hersteller von Verpackungsmaschinen für Konsumgüter -, während die Frau, die gegen Stuttgart 21 ist, im Ökosupermarkt leckeren Biokäse aus der Region und vollmundigen Biowein aus Apulien kauft, möglichst Verpackung vermeidend. Die Tochter studiert in Tübingen, demonstriert gegen Atomkraft und wird von ihrem Freund abgeholt, der praktischerweise ein Auto hat und dann mit ihr über die Autobahn rast. Nicht so schön aber wär's, wenn den vielen Indern und Chinesen ihr Wunsch nach einer passablen Wohnung, einem kleinen Auto und einem Besuch im Steakhaus erfüllt würde. So etwas muss auf Regierungskonferenzen unbedingt verhindert werden, idealerweise von grünen Ministern, unsere Kinder werden es uns danken.

Nach der Landtagswahl - Winfried Kretschmann

Wird nun der neue grüne Ministerpräsident von Baden-Württemberg, der im Wahlkampf eine grünere Automobilindustrie gefordert hat, die Porsche-Werke schließen lassen? Zum ersten Mal in der deutschen Geschichte wird es mit Winfried Kretschmann (im Bild) einen Ministerpräsidenten der Grünen geben.

(Foto: dpa)

Wie sehr die bessere, nachhaltigere Lebensführung auf dem Freiheitsgewinn beruht, den der umgebende Wohlstand gewährleistet, das lässt sich auf jedem Biomarkt der westlichen Welt beobachten, besonders hübsch aber im Vauban-Viertel in Freiburg im Breisgau.

Das Quartier heißt nach einem französischen Marschall, weil es aus früheren französischen Kasernen besteht; diese wurden nach Abzug der Soldaten in eine Art Mustersiedlung für ökologische Stadtbürger umgebaut. In Vauban haben am Sonntag bei der Landtagswahl die Grünen 72,2 Prozent der Stimmen erlangt. Die CDU schaffte dort 3,6 Prozent. Das sind alles sehr nette, behütete und freundliche Menschen in Jack-Wolfskin-Jacken; wer aber einmal durch das Vauban-Viertel gegangen ist, der weiß auch, wie sanfter Tugendterror in unserer Zeit aussieht.

Nun könnte man sagen: Wäre es nicht trotzdem gut, wenn es überall so zuginge wie in der Vauban-Siedlung? Das wird aber nicht passieren, auch nicht, wenn die Grünen die absolute Mehrheit bekommen. Denn das gute ökologische Leben erfüllt gegenüber der Gesamtgesellschaft dieselbe Funktion wie die journalistischen Selbstversuche nach dem Muster "Ein halbes Jahr klimagerecht leben" oder die Aktionen, bei denen für eine Stunde das Licht ausgemacht wird - und dann wieder angestellt.

Der unersättliche Kapitalismus, der unsere Lebensform garantiert, bildet den Hintergrund für das grüne Lebensgefühl der Mittelklassen; mit fundamentaler Umkehr hat das alles nichts zu tun. Man muss ja schließlich auch Geld verdienen. Deshalb wird auch gerne die Illusion genährt, aus derselben Wachstumsdynamik, die Ressourcen verbraucht, entstünden auch bald jene Erfindungen, die den Ressourcenverbrauch stoppen - und uns zugleich im Wesentlichen so weiterleben lassen wie bisher. Wer wollte das nicht?

Natürlich kann man das Ganze auch wohlwollend sagen: Demokratie besteht aus Kompromissen, und inkonsequente Grüne können trotzdem ein Korrektiv der kapitalistischen Landnahme sein. Und das Aushalten von Widersprüchen ist nun mal das Signum unserer Zeit. Das mag sein - insofern ist die Expansion der Partei eben ganz und gar zeitgemäß.

Behaupte nur keiner, das neue grüne Bürgertum sei der Sieg einer neuen Aufrichtigkeit.

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